Wo ist noch mal die »Willkommenskultur«?
Als »unverhältnismäßig und unsensibel« bezeichnete etwa Kirsten Jahn, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kölner Rat, das »massive Aufgebot« der Polizei. Jahn erinnerte daran, dass die Flüchtlinge in ihren Heimatorten häufig Gewalt erleiden mussten und traumatisiert nach Deutschland gekommen seien. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Integrationsrats, Tayfun Keltek. Bei der Razzia seien annähernd so viele Polizisten zum Einsatz gekommen wie bei dem Aufmarsch von Hooligans und Rechtsextremisten im Oktober. »Hier wird mit unterschiedlichem Maß gemessen«, so Keltek.
Die Polizei hatte im Vorfeld der Razzia noch nicht mal einen Verdacht gegen bestimmte Personen. Der Einsatz war vielmehr Teil einer grenzüberschreitenden Aktion gegen Einbrecher und Taschendiebe. Und wenn irgendwo 650 Menschen auf einem Haufen leben, dann könnte da doch was zu finden sein. Das sei wie beim Angeln, so Einsatzleiter Thomas Schulte gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger: »Kann funktionieren, muss aber nicht.«
Als Sigrid Leitner davon hörte, protestierte sie in einem Schreiben gegen Polizei und Politik. »Ohne einen konkreten Personenverdacht zu haben, hat man die Retraumatisierung der Flüchtlinge einfach in Kauf genommen, auch der 300 Kinder, die dort leben«, so die Professorin für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Köln. Leitner verweist auf das in der Verfassung festgeschriebene Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, das auch für Flüchtlinge gelte.
Polizeipräsident Wolfgang Albers rechtfertigte den Einsatz im Nachhinein damit, dass einzelne Flüchtlinge von Kriminellen in der Notaufnahme-Einrichtung drangsaliert worden seien und sich an den Sicherheitsdienst gewandt hätten. »Wir wissen, dass Straftäter dieses Heim als Unterschlupf missbrauchen«, so Albers.
Das mag stimmen, auch wenn die Polizei bei der Razzia — wie auch schon bei einer Aktion in einem Heim am Poller Holzweg Ende Oktober — nichts Nennenswertes gefunden hat. Die Frage ist allerdings, ob Razzien das Problem lösen. Oder ob man nicht dafür sorgen müsste, die Flüchtlinge angemessen unterzubringen, in kleineren Häusern oder Wohnungen. Dann müsste man auch nicht befürchten, dass sich Menschen dort aufhalten, die dort nicht gemeldet sind. Oder wie der Einsatzleiter der Razzia über »Sperrzonen und Stubendurchgänge« sinnieren.
Doch die Verwaltung sieht derzeit keine Möglichkeit, die Zustände schnell zu ändern. Im Gegenteil: Nachdem die Bezirksregierung in Arnsberg allein im Oktober 300 Asylbewerber Köln zugewiesen hatte, muss die Stadt derzeit mehr als 4500 Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf bieten. Das sind beinahe doppelt so viele wie zwölf Monate zuvor. Da neue, den Kölner Leitlinien zur Flüchtlingsunterbringung entsprechende Wohnheime, deren Bau bereits beschlossen ist, frühestens in zwei bis drei Jahren fertig sein werden, steigt die Zahl der Menschen in der Notaufnahme an der Herkulesstraße immer weiter.
Gleichzeitig werden Container aufgestellt und Hotels angemietet. Doch weil auch das nicht schnell genug geht, hat die Stadt zu zwei krassen Maßnahmen gegriffen: Im Porzer Gewerbegebiet sollen ab Januar 200 Flüchtlinge in einem leerstehenden Baumarkt schlafen. Bereits seit dem 13. November leben ebenso viele in Weiden in einer Turnhalle, die die Stadt in einer »Notmaßnahme zur Vermeidung von Obdachlosigkeit« beschlagnahmt hat. Während Trennwände den Flüchtlingen in Porz noch ein Minimum an Privatsphäre gewähren, schlafen die Menschen in der unterirdischen Turnhalle ohne irgendeine Art von Sichtschutz.
Die Feldbetten stehen dicht an dicht. Mit Klebeband sind Bereiche markiert, in denen jeweils eine Familie schlafen soll. Mindestens hundert Kinder und Säuglinge werden dort unterkommen und keine Ruhe finden können. »Diese Liegenschaft ist schon besonders anspruchsvoll«, sagt Marc Ruda vom Kölner Deutschen Roten Kreuz, das die Notaufnahme betreut. Ende der Weihnachtsferien sollen die Menschen wieder aus der aus der Turnhalle ausziehen, möglicherweise geht es dann gleich weiter in den Baumarkt nach Porz.
An der Herkulesstraße versucht man derweil, in der Massenunterkunft noch den Überblick zu behalten. Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts stehen am Eingang, doch eine systematische Kontrolle gibt es nicht. Das soll sich nun ändern: Die Verwaltung prüft derzeit ein biometrisches System zum Scan von Händen.
Sigrid Leitner glaubt nicht, dass sich so etwas verbessert. Sie fordert mehr Personal, mehr gut ausgebildete Sozialarbeiter. »Die Sozialarbeit an der Herkulesstraße ist von Logistik geprägt, es geht dort nur um Verwaltung und Organisation«, so Leitner. »Eine anwaltschaftliche Sozialarbeit oder eine Hilfe bei Traumatisierung ist unter den gegebenen Bedingungen überhaupt nicht möglich.«
Text: Anne Meyer
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