Poor Little Rich Girl

Kindheitsbewältigung: »Missverstanden«

von Asia Argento

Aria ist neun und arm dran — trotz topverdienender Eltern. Ihre Mutter ist Konzertpianistin aus bestbürgerlichen Verhältnissen, ihr Vater Filmschauspieler. Die Hand sitzt bei beiden locker. Jedes Elternteil hat ein Kind mit in die Ehe gebracht — auf das es sich nun, da die Beziehung zerfällt, jeweils konzentriert. Ungeliebt und unverstanden macht sich Aria auf die Suche nach Freundschaft und Zuneigung. Sie findet sie bei einem gleichaltrigen Mädchen und einer Katze. Zunächst einmal. Denn nichts ist von Dauer, wie sich zeigt.

 


Der Originaltitel von Asia Argentos dritter Regiearbeit, »Incompresa«, lässt Erinnerungen und Bilder aufsteigen aus Altmeister Luigi Comencinis brillantem »Incompreso« (1966) und aus Jerry Schatzbergs nicht minder bewunderungswürdigem »Misunderstood« (1984). Beides sind Adaptionen eines 1869 erschienen Romans von Florence Montgomery über eine zerbrochene Familie und das Ringen der Generationen miteinander. »Missverstanden« ist zwar keine weitere Verfilmung des Stoffs, für Argento ist er aber klar ein Referenzpunkt — und sei es auch nur, um einen gewissen Abstand gewinnen zu können von ihrer eigenen Biografie. Zumindest spielt sie damit.

 


Aria ist Asias Argentos Geburts­name, ihre familiären Verhältnisse sind vage vergleichbar — Vater Dario ist bekanntermaßen ein Genre­kinomeister, Mutter Daria war jahrelang seine Hauptdarstellerin und Muse —, zudem spielt die Geschichte ungefähr zu der Zeit, in der Asia Argento selbst im Alter ihrer Hauptperson war, nämlich Mitte der 80er Jahre. Dass sie gestalterisch hier einen populäreren Zugang sucht als in ihren ersten beiden Werken »Scarlet Diva« (2000) und »The Heart Is Deceitful Above All Things« (2004), lässt ebenfalls ahnen, dass sie gerne besser verstanden werden würde — am Ende bittet Aria das Publikum sogar ganz direkt darum. Andererseits spielt Argento nun schon seit Jahren mit ihrer Goth-Göttin-Persona — warum sollte deren Sofia-Coppola-Variante wahrer sein als die anderen?

 


»Missverstanden« ist vor allem gescheit und liebenswürdig, gerade wegen all der Charakteristika, die Argento von der gerade erwähnten anderen Tochter eines Filmgroßmeisters unterscheiden: ihr Zug zum Unberechenbaren, ihr schöner Wille zur Stilisierung (auch um ihrer selbst Willen), die Brutalität, mit der sie die Dinge eskalieren lässt, das Gefühl für die Wahrhaftigkeit von Kitsch und Flitter, die Lust daran, sich selbst nicht übermäßig ernst zu nehmen und dabei auch nicht ständig in allem ernst genommen werden zu wollen.