Schnurrbärte für Kurdistan: Demo gegen das PKK-Verbot | Foto: Manfred Wegener

»Die Situation bleibt kritisch«

Kurdistan-Aktivist Ulf Petersen über den Konflikt an der türkisch-syrischen Grenze

Herr Petersen, Sie sind vor kurzem aus der Region Kobani zurückgekehrt. Wie ist die Lage vor Ort?

 

Wir waren Mitte bis Ende Oktober auf der türkischen Seite der Grenze unterwegs. Die Kämpfe dort intensivieren sich. Die YPG (Volksverteidigungseinheiten) und YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) sind zuversichtlich und hoffen, dass sie Kobani innerhalb der nächsten Wochen befreien können. Sie sehen sich nun in der Offensive. Trotzdem gibt es täglich neue Tote zu beklagen. Die Situation bleibt also sehr kritisch, den Verteidigern mangelt es an allem. Das liegt daran, dass die Türkei den Islamischen Staat (IS) ungehindert gewähren lässt, die Versorgung der Kurden aber unterbindet. Außerdem droht bereits ein weiterer Vorstoß islamistischer Gruppen im Nordwesten Syriens.

 

Welche Lösung des Konflikts wünschen sich die Menschen dort?

 

Die PKK fordert, dass sich die Bevölkerung auf regionaler Ebene demokratisch selbst verwalten kann, so dass die Staatsgrenzen an Bedeutung verlieren. Kobani hat sich bereits im Sommer 2012 für unabhängig erklärt, samt Verfassung, Gesellschaftsvertrag und einer Frauenquote von vierzig ­Prozent für alle Institutionen. Das merkt man auch, wenn man in der Region unterwegs ist — überall trifft man auf Frauen, die als Kämpferinnen und Aktivistinnen Verantwortung übernehmen.

 

Seit 2011 hat die Türkei insgesamt 1,5 Mio. Flüchtlinge aufgenommen. Wie haben Sie die Situation erlebt?

 

Die von uns besuchte Grenzstadt Suruç etwa beherbergt momentan zusätzlich zu seinen 70.000 Einwohnern noch ganze 50.000 Flüchtlinge. Viele von ihnen sind in Zeltlagern, Garagen und Ställen untergebracht, es fehlt an Decken und Heizungen gegen den einsetzenden Winter. Die Bevölkerung der kurdisch regierten Grenzstädte zeigt sich sehr solidarisch mit den Flüchtlingen. Auch hier in Köln gibt es zahlreiche Menschen mit Familie oder Freunden in den kurdischen Verteidigungseinheiten. Außerdem kommen viele Flüchtlinge zu uns, aber einigen droht aufgrund der europäischen Drittstaatenregelung die Abschiebung. Egal, ob sie sich bereits hier eingelebt haben und Deutschkurse besuchen.

 

Bleiben wir in Deutschland — was tut sich hier?

 

Am 1. November, dem internationalen Solidaritätstag mit Kobani, fanden zahlreiche Demonstrationen statt. Dort wurde die Öffnung eines Hilfsgüter-Korridors von der Türkei aus, die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen in Europa sowie die Aufhebung des Verbots der PKK und damit eine Abkehr von der Unterstützung der antikurdischen Politik der Türkei gefordert. Um diese Punkte ging es auch bei der bundesweiten Demonstration gegen die Innenministerkonferenz in Köln am 6. Dezember.

 

Interview: Leopold Hutter

 


Ulf Petersen ist Aktivist der Kampagne »Tatort Kurdistan«

und beim Kölner Netzwerk »Kein Mensch ist illegal«