Verlorenes Sendungsbewusstsein
Man feiert sich, und das zu Recht: 20 Jahre Privatfernsehen. Das heißt auch 20 Jahre RTL, davon 16 allein in Köln. In der Silvesternacht 1988, so wollen es die Annalen, erfolgte der komplette Umzug von Luxemburg an den Rhein. Nur das Frühstücksfernsehen blieb erstmal im Großherzogtum. Heute sieht man sich als »erfolgreichster TV-Sender Europas«, und blickt auch 2003 souverän auf ein superlatives Jahr zurück. Mit 14,9 Prozent war RTL erneut »der beliebteste Sender« in deutschen Landen – deutlich vor ARD (14 Prozent) und ZDF (13,2 Prozent) auf den Plätzen. Also erst recht hoch die Tassen, und so führt denn ein Blick auf den Bildschirm derzeit unweigerlich hinein in eine der schmocken TV-Jubiläums-Sendungen, die sich den trendigen Retro-Shows im Programm so trefflich beigesellen.
Weniger Geld für Dokumentarfilme
Wer mag in diesem farbenfrohen Freudentaumel schon vom Dokumentarfilm sprechen. Sinkende Budgets, siechende Produzenten, gestrenge Formatierung des Programms – man hat so seine Sorgen, das wurde im Herbst auch auf einem Kongress zum Thema (»Schema F?«) im Kölner Mediapark heftig debattiert (siehe StadtRevue 10/03). Nun ja, ein wenig verhockt ist die Branche gelegentlich und neigt auch mal zur Larmoyanz. Doch nun schmeißt der Kölner Fernsehjournalist und WDR-Redakteur Gert Monheim die Brocken hin, und man weiß spätestens jetzt: Die Lage ist ernst. Beim WDR ist Monheim als leitender Redakteur der Sendereihe »die story« verantwortlich für zahlreiche politische Dokumentationen und Reportagen – einstmals eine Domäne des WDR, der sich gern in liberaler, aufklärerischer Tradition sieht. Die investigativen Polit-Dokus, die zahlreiche Preise gewinnen konnten und sich auch international verkauften, sind eine starke Marke im ARD-Programm. Doch nun soll der Etat für den Programmplatz um 600.000 Euro gekürzt bzw. zum Teil auf aktuelle Reportage- und News-Formate umverteilt werden. Kontinuität und Qualität, sagt Monheim, seien so nicht mehr zu gewährleisten. Der 59-Jährige hatte immer wieder auf die schwierigen Produktionsbedingungen hingewiesen, junge Autoren warnte er geradezu vor dem Genre: reine Selbstausbeutung. Nun zog er die Konsequenzen.
Die Quote regiert
Es geht nicht nur um Monheim und den WDR. Ein weitaus größeres Rad wird hier gedreht: das vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinem Sendungsbewusstsein. Wie kaum ein anderes Genre repräsentieren Dokumentationen den öffentlichen-rechtlichen Mehrwert im dualen System. Doch die ARD entzaubert sich zusehends selbst. Unbequeme Themen und Formen werden an den Rand des Programms gedrängt oder finden nicht mehr statt. Selbst profilierten Marken wie »die story« oder auch »Das Rote Quadrat« vom Hessischen Rundfunk wird der Geldhahn zugedreht. So gnadenlos wie inoffiziell regiert die Quote: Zehn Prozent sollten’s schon sein im ARD-Programm. Dazu »Bunte-TV«, die Liederlichkeit im Sportrechte-Zock, Becker-Wochen im ZDF, das Ganze garniert mit der Arroganz der Führungskader – wie leicht gerät da so mancher ins Fahrtwasser der populistischen Gebührendrücker. Nicht zuletzt NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück hatte in der laufenden Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Moratorium angeregt. Jetzt dieses Signal aus Köln – der Mann dürfte frohlocken.
Digitales Fernsehen
Positive Signale aus Berlin hingegen werden in Kürze Weiterungen in hiesigen TV-Gefilden haben. DVB-T ist digitales Fernsehen, das per Antenne übertragen wird, Ende Mai soll es im Großraum Köln/Bonn starten. Gute Erfahrungen hatte man mit der neuen Technik in Berlin gemacht, wo bereits seit Sommer letzten Jahres das klassische Antennenfernsehen nurmehr digital ausgestrahlt wird. Die Vorteile liegen auf der Hand: Zwar muss eine Antenne auf dem Dach stehen und ein Receiver (ab 100 Euro) im Schrank, die TV-Programme (zunächst 16, später 24 Kanäle) sowie zahlreiche Zusatzdienste sind dann aber kostenlos und zudem auch über mobile Geräte zu empfangen, etwa in Autos oder über Handys. »Überall-TV« eben, tönt die DVB-T-Werbetrommel (www.ueberall-tv.de).
Instrument der Musikindustrie
Hektisches Treiben auch beim Kölner Musik-TV-Konzern Viva. Milka und Mola Adebisi gehen, vom Lieblinskonkurrenten MTV in München kommt Marketingdirektor Michael Will. Auf ihn wartet viel Arbeit: Während MTV seine Bruttoumsätze in den ersten neun Monaten auf 131 Mio. Euro steigern konnte, sackte Viva auf unter 100 Mio. Euro ab. Dazu der Ärger um »Payola«: Der Begriff meint, dass Plattenfirmen einem Sender Geld zahlen, damit der ihre Lieder spielt. Berichten zufolge hatte der Musikkonzern und Viva-Anteilseigner Universal einigen seiner Titel auf diese Weise die Heavy Rotation im Viva-Programm gesichert. Andere Gesellschafter und die Konkurrenz waren verärgert. Viva wiegelt ab: Artig sieht sich der Sender als unabhängiges, journalistisches Unternehmen, es habe sich nur um ein gemeinsames Projekt zur Kostenminimierung gehandelt. Aha. Natürlich ist Viva ein eigenständiges Programm, sonst könnte es sich am Zuschauermarkt nicht behaupten. Aber der Sender bleibt, was er ist: Ein Instrument der Musikindustrie, und die ist nur uneigennützig. Dass es da zu »gemeinsamen Projekten« kommen kann, liegt in der Natur der Sache. Nur könnten Akteure und Aufsichtsbehörden einen etwas reiferen Umgang damit pflegen.