Sprayer, Skater und die Stadt

Sprayer, Skater und die Stadt: Zwei Interviews mit Menschen, die sich mit Graffiti, Kunst im öffentlichen Raum und den Reaktionen darauf beschäftigen. Der Künstler Stefan Römer war in den 90er Jahren an den Kölner »InnenStadtAktionen« beteiligt, der ehemalige Writer und Sozialwissenschaftler Sascha Schierz schrieb seine Diplomarbeit zum Thema »Neoliberale Raumkontrolle am Beispiel Graffiti in Köln«.



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Christian Meier-Oehlke: Können Sie kurz skizzieren, was die Ausgangslage für die »InnenStadtAktionen« der Gruppe FrischmacherInnen in den 90er Jahren war, was erreicht werden sollte?

Stefan Römer: Die FrischmacherInnen waren kein singuläres Phänomen, es gab in anderen Großstädten ähnliche Gruppen mit ähnlichen Überlegungen. Wir wollten Kunst, Straßenaktivismus, politische Initiativen und Journalismus zu einer neuen Form von Auseinandersetzung verbinden, Bezug nehmen auf die damaligen öffentlichen Ausschließungsprozesse, auf Fragen der Migration, die Situation der Unterprivilegierten. Damit einher gingen Fragen nach Sicherheitsarchitektur, stadtplanerischen Elementen und Drogenpolitik. Die »InnenStadtAktionen« sollten in einer Woche in verschiedenen Städten zu diesen Themen stattfinden, um möglichst breite Wirkung zu erzielen. Die Aktionen wurden nicht überregional koordiniert, es gab lediglich Absprachen über Zeit und Schwerpunkte. Wir wollten nicht die klassischen Aktionsformen benutzen, attraktiver fanden wir die Verbindung aus Kommunikationsguerilla, journalistischen Interventionen und kleineren Illegalitäten.

Was genau passierte in den Innenstädten im Juni 1997? Welche Aktionen erzielten die größte Wirkung?

Es gab zum Beispiel ein Picknick in der Schildergasse inklusive Einbezug der Passanten. Eine andere Sache war der Ausflug nach Hahnwald – den Prototyp der erwirtschafteten Privatidylle mit privatem Sicherheitsdienst, der für die Überwachung des Stadtteils zuständig ist. Wir fuhren mit den Rädern hin, um uns die Szenerie mal anzuschauen, natürlich mit Polizeibegleitung. Es gab Aktionen wie das »Wohnzimmer Bahnhof«, um auf die Problematik der Umwandlung des Kölner Hauptbahnhofs zu einer Shopping-Mall mit privatem und staatlichem Sicherheitsdienst und Vertreibung unerwünschter Personen aufmerksam zu machen. Daneben gab es Aktionen, die gar nicht stattfinden sollten, sondern nur angekündigt wurden, um ein bestimmtes Thema zu lancieren bzw. die Polizei in Bewegung zu halten. Wir haben zum Beispiel angekündigt, Aktionen in Kölner Museen stattfinden zu lassen, um ganz im Sinne der Kommunikationsguerilla Irritationen auszulösen.

Es gibt immer wieder breite Kampagnen in Köln gegen Sprayer, die KASA ist da sicherlich prominentestes Beispiel. Wie schätzen Sie die Situation im öffentlichen Raum heute ein, wird Überwachung und Ausgrenzung weiterhin thematisiert?

Da gab es sicherlich keine großen Fortschritte, es gibt lediglich eine Kontinuität der Problematik. Beispielsweise gibt es eine Gruppe von Leuten, die die Arbeit der Sicherheitsdienste im Bahnhof beobachten und im Fall des Falles gegen rassistische Übergriffe vorgehen. Das ist sicherlich eine Spezifizierung unserer Aktionsformen. Das Problem ist aber keinesfalls gelöst, es wird eher schlimmer, es gibt die Strategie des Einfrierens der Gegensätze.

Warum gibt es Ihrer Meinung nach diese Ablehnung gegen Sprayer?

Graffiti ist Wildwuchs, eine nicht kontrollierbare Sphäre. Sprayer positionieren sich außerhalb der staatlichen Kontrolle, dagegen wird mit der klassischen Rhetorik des Eigentumsschutzes vorgegangen. Sprayer sind gegenwärtig, setzen ihre Zeichen, markieren ihr Revier, dagegen muss man dann eben vorgehen.


Info:
1997 und 1998 fanden in mehreren bundesdeutschen Städten »InnenStadtAktionen« gegen zunehmende »Privatisierung, Sicherheitswahn und Ausgrenzung« im städtischen Raum statt. In Köln wurde diese Aktionen auch unter dem Label »Klassenfahrt« bekannt. Stefan Römer, Künstler, Autor und Mitglied der Gruppe FrischmacherInnen, war an den damaligen Aktionen maßgeblich beteiligt.



Uh-Young Kim: Was bedeutet das Malen für den Writer?

Sascha Schierz: Für ihn ist es eine emotionale Maschine. Ich kann damit etwas verarbeiten und Gefühle erzeugen. Und damit meine ich nicht den überbewerteten »Kick«. Auf den kann jeder Writer verzichten, denn wer wird schon gerne verfolgt? Das Gefühl kann auch ein kollektives sein. Unzufriedenheit gehört dazu, dass man an die Wand geht. Innerhalb der Szene gibt es eine gewisse politische Richtung.

Wie äußert sich das Politische?

Das Politische muss sich nicht in den Bildern befinden, es liegt im Akt der Aneignung. Es verstößt gegen die Regeln der kapitalistischen Gesellschaft.

Der Konflikt um den status quo wird an der visuellen Oberfläche der Stadt ausgetragen.

Weil es um die Darstellung einer Ästhetik der Autorität geht. Wer hat die Macht, und wie wird die Stadt als schöne neue Welt des Konsums gestaltet? Der Stadtraum wird über den Eigentumsbegriff vermittelt. Diese Abstraktion von Raum wird von Graffiti gebrochen. Graffiti setzen eine andere Erzählung an, ein anderes Kommunikationssystem, eine andere Welt.

Was hat sich unter der sichtbaren Ebene verändert?

Die Wirkungsmacht der Broken-Windows-Theorie hat zu einem Umschwung in der Sozialpolitik geführt. Die mittlerweile etwas weniger als 750.000 Euro, die die KASA die Stadt kostet, sind mit Streichungen im sozialen Bereich verbunden. Man kann das auch als Übergang vom helfenden zum strafenden Staat bezeichnen. Diese autoritäre Haltung sorgt nicht für soziale Sicherheit, sondern für Recht und Ordnung. Menschen werden nicht mehr integriert, sondern ausgeschlossen.

Welche Rolle spielen die Bürger dabei?

Die Bürger sind die entscheidende Schnittstelle. Man versucht, eine gewisse Sichtweise zu implementieren, damit sie »Sichten & Berichten« und anzeigen. Dazu kommt bei ihnen ein Unsicherheitsgefühl gegenüber Kriminalität, was als Scheitern von Kontrolle wahrgenommen wird. Im Anti-Graffiti-Modell sind sie Teil der Kontrolle. Durch die technische Entwicklung könnte der so disziplinierte Bürger als mobile, mit Handy ausgestattete Videokamera eingesetzt werden – theoretisch. Ob das in der Realität funktioniert, ist eine andere Frage.

Wie schätzt du die öffentliche Akzeptanz von Graffiti für die Zukunft ein?

Je präsenter Graffiti – besonders durch die HipHop-Kultur – im Alltag werden, desto mehr können sie sich von der Frage der Illegalität lösen. Es muss ein öffentlicher Diskurs über Graffiti stattfinden, der über Denunziationen hinausgeht. Nicht Graffiti sind am falschen Ort, sondern vielleicht kann man der Stadt zum Vorwurf machen, dass sie die falsche Blickweise auf Graffiti hat: Ihr könnt damit nicht leben, weil ihr damit nicht umgehen könnt. Ihr seid darin nicht gebildet.

Info:
Sascha Schierz, geboren 1974, lebt in Köln und ist Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt Kriminologie. Seine Diplomarbeit schrieb er zum Thema: »Neoliberale Raumkontrolle am Beispiel Graffiti
in Köln«. Der ehemalige Writer ist Mitglied der Sprayer-Initiative CasaNova.



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