Alles spricht dagegen, alles spricht dafür
Wer eine Bewerbung abgibt, der will etwas. Köln will Kulturhauptstadt Europas sein und sich in die Zukunft beamen. Nüchterner betrachtet bewirbt die Stadt sich um einen Titel: »Europäische Kulturhauptstadt«. Am 31. März gibt sie ihre Bewerbung bei NRW-Kulturminister Michael Vesper ab, im Juni wird die Landesentscheidung an das Auswärtige Amt übermittelt, 2005 fällt die Entscheidung auf Bundesebene. 15 andere deutsche Städte bewerben sich ebenfalls; rein statistisch liegt Kölns Chance bei 6,25 Prozent.
Für ihre Bewerbungsgroßoffensive hat die Stadt Köln eine »Geschäftsstelle Europäische Kulturhauptstadt« im Kulturdezernat gegründet, eine Lenkungsgruppe aus Kölner Kulturplayern von WDR bis katholische Kirche gebildet, elf Arbeitskreise aus städtischen Vertretern und Kulturfachleuten, die Agentur TIOC wurde mit einer Kampagne beauftragt. Auf deren Plakaten steht jetzt: »Wir leben das.« Ein schöner, streitbarer Slogan. Wir, und da können ja nur alle Kölner gemeint sein, leben das. »Das«. Semantisch ist das nicht wirklich eindeutig, aber hier kann es nur meinen: Kultur. Tradition, Museen, Kalker Hiphop-Kids, Städtebau... Das alles gibt’s natürlich sowieso, mit oder ohne Titel, und das wird es 2010 geben. Und mancher Kölner fragt sich immer noch, was hier eigentlich gespielt wird. Als Antwort gibt es, wie immer, mehrere Geschichten.
Ein Geistesblitz von Melina Mercouri
Rückblende: 1983, Athen. Bei einem locker-informellen Treffen europäischer Kulturminister legt eine Griechin eine Idee auf den Tisch. Melina Mercouri, Sängerin und Schauspielerin, Symbolfigur des Widerstands gegen die Militärjunta, inzwischen Kultusministerin ihres Landes, hatte die Bedeutung urbaner Kultur für das Projekt »Europa« erkannt. Sie schlug schlug vor: Jedes Jahr solle der Spot auf eine andere europäische Stadt gerichtet werden, die sich selbst vorstellt und als Gastgeber anderen öffnet. Daraus wurde ein Projekt und ein Titel, und wenn 2010 das 25-jährige Jubiläumsevent gefeiert wird, weiß vielleicht kaum noch jemand, dass »Kulturstadt Europas« (damals noch ohne »-haupt-«) als privater Geistesblitz einer Künstlerin und Politikerin begonnen hatte. Die dachte sicherlich auch an die Werbeeffekte für ihre Stadt Athen (1985 erste »Kulturstadt Europas«), aber vermutlich nicht im Traum an Stichworte wie »Umwegsrentabilitätsstudie«.
Surft man heute über die Homepages der deutschen Bewerberstädte für das Jahr 2010, findet man dort neben Zukunftsstadtentwürfen und Projekten versammelt, was inzwischen mit dem Titel »Kulturhauptstadt« verbunden ist und den Skeptikern Argumente liefert: Stadtmarketingphrasen, Auflistungen der sonst vernachlässigten historischen »Kulturschätze« und der »lebendigen Kulturszenen«, Beschwörung der Synergieeffekte für den Wirtschaftsstandort, Tourismuswerbung aus Liebe zum Geld des Europäischen Nachbarn. Das macht nicht wirklich Lust auf Kulturhauptstadt.
»Kulturhauptstadt Europas – Ein Auslaufmodell?«, fragte 1998 die Zeitschrift für Kulturaustausch. Weimar, 1999 zweite deutsche »Kulturstadt« (nach Berlin 1988), ist heute mit 103 Millionen verschuldet, das für das Kulturjahr frisch sanierte Stadtmuseum wurde just geschlossen, die Stiftung Weimarer Klassik soll auslaufen. Die EU steuerte 1999 gegen, erneuerte Auswahlverfahren und Kriterien: Dezidiert kulturpolitische Ansätze, Nachhaltigkeit, Basisbeteiligung wurden festgeschrieben. Buntes Eventprogramm ist out, es geht um Inhalte: Gesucht wird ein »europäisches Kulturkonzept, das einem besonderen Thema mit Europäischer Dimension entspricht«, so Olaf Schwenke aus der EU Evaluierungjury im Dezember 2003.
Allergische Reaktionen
In Köln ist das Wort »Kultur« in Verruf gekommen, und bei vielen Kulturschaffenden und Journalisten löst das Stichwort »Kulturhauptstadt« nur allergische Reaktionen aus. In letzter Zeit ist in dieser Stadt in Sachen Kulturpolitik fast alles schief gelaufen: von der Demontage der Kulturdezernentin durch den OB über das »Kölner Loch« am Neumarkt bis zum jüngsten Wortbruch bei den städtischen Bühnen. Das »I-Tüpfelchen ist eine Presselandschaft, die von einem alten Mann verwaltet wird, und die eine immer noch lebendige Stadt wie eine Mumie abbildet«, war im Kulturmagazin K.West im Februar zu lesen. Während das offizielle Köln euphorisch den Aufbruch ins Kulturhauptstadtjahr und sich selbst feiert, wollen viele damit nichts mehr zu tun haben.
Auch nicht mit der Bewerbung, wenn deren Motto lautet: Tradition. Elf an Inhaltslosigkeit kaum zu überbietende Kulturhauptstadt-Thesen, eine flaue PR-Kampagne und ein paar Pressemeldungen, zum Beispiel über ein »kommunales Gipfeltreffen« zur Unterstützung der Kölner Bewerbung – während der WDR-Karnevalssitzung im Grillrestaurant des Gürzenich. Der Kölner OB und Amtskollegen hatten sich in den Farben des Kulturhauptstadtlogos kostümiert. Partizipation, Transparenz, Kommunikation? Durchaus kulturelle Errungenschaften einer Stadt – aber Köln übt noch: Während etwa NRW-Konkurrent Münster seinen Bürgern seit einem Jahr jeden Monat einen Tag der offenen Tür und zwei Diskussionsveranstaltungen zur Bewerbung anbietet und die »Städtestadt« Ruhrgebiet seit Juni 2003 im Internet ein regelmäßig aktualisiertes Skizzenbuch betreibt, haben die meisten Kölner lange Zeit nur bunte Logos gesehen.
Vier Schwerpunkte
Seit Februar kennen wir nun auch das 60-seitige Bewerbungskonzept, das kein Konzept ist, sondern eine interessante Materialsammlung. Gute Ansätze mischen sich mit Platitüden und Bekanntem, garniert mit vielen Böll-Zitaten. Vielleicht müsste man die Kölner Bucht ein paar Meter anheben, damit man bis nach Europa und in die Zukunft sehen kann. Alles wäre plötzlich anders: Der Blick weiter, die Luft frischer, was der Stimmung und dem Denken zugute kommt, der Maßstab größer. Man würde sich an Europa messen, nicht an Düsseldorf.
Zurück zum Boden der Tatsachen, dem derzeitigen Entwurf »2010«. Vier Schwerpunkte werden formuliert: Das historisches Erbe stärker zugänglich machen, der Brückenschlag zu den europäischen Partnerstädten Kölns, bürgerschaftliches Engagement und die »innovative Kraft« der freien Szene. Kapitel eins der Schrift huldigt dem Dom; als aktuelles Projekt soll die (sowieso anstehende) Neugestaltung der Domplatte abgeschlossen sein. Das zweite Kapitel, »Stadt inmitten Europas«, versucht den Europa-Bezug herzustellen und enthält neben Austauschprojekten den heimlichen Trumpf, die gemeinsame Bewerbung Kölns mit Istanbul (Nicht-EU-Städte können Partner werden). Die Themen Migration, der Beitrag der »Gastarbeiter« zur Stadtkultur, die aktuelle und zukünftige Situation kulturellen Zusammenlebens könnten tatsächlich ein Stück europäische Dimension in das Projekt »2010« bringen. Wird die bis März erwartete definitive Zusage aus der Haupstadt Ankara negativ ausfallen, sieht die Bewerbung deutlich dünner aus. Erwähnt sei, dass derzeit das Dokumentationszentrum »Domit« und der Kölnische Kunstverein sich bereits mit dem mehrjährigen Projekt »Migration« diesen Fragen widmen – mit Mitteln der Bundeskulturstiftung.
Im Kapitel »Kulturelle Voraussetzungen« schließlich (Kunst, Wissenschaft, Brauchtum, Architektur, Medien ...) finden sich auch Stadtentwicklungs- und Neubauprojekte. Darunter viele bekannte wie die »Via Culturalis«, das Großprojekt »Archäologische Zone« als unterirdischer halbkilometerlange Rundgang durch römische und mittelalterliche Geschichte und, ja, das Karnevalsmuseum.
Absichtserklärungen
Köln bereichern würden sicherlich die »Via Nova« durch das zeitgenössische architektonische Köln, Vernetzungsprojekte wie eine virtuelle »Academia Utopica«, mit Blick auf die Entwicklung des Rechtsrheinischen sollte der »Rahmenplan Rheinboulevard« für den beidseitigen Ausbau der Promenaden (als belebte öffentliche Zonen mit Fahradwegen, Skaterplätzen, Kunst...) erwähnt werden und schöne Ideen wie die »Stadtpartitur«. Wo also ist eigentlich das Problem? Wo doch vieles in jedem Fall eine Verbesserung des Gegenwärtigen bedeutet?
Wer eine Bewerbung abgibt, sagt: Ich will. In Köln wurden zuletzt so oft Pläne in den Sand gesetzt und Zusagen nicht eingehalten, dass Absichtserklärungen wenig gelten. Kann eine Stadt Kulturhauptstadt sein, in der die meisten Kulturschaffenden unzufrieden sind mit der Kulturpolitik? Wird Schramma für die Sache Kulturhauptstadt jetzt noch mehr Kölschfässer anstechen und sich kompetenzüberschreitend in die Kulturpolitik einmischen? Steht die Benennung Franz Xaver Ohnesorgs als Kulturhauptstadt-Promoter, ein neuer Alleingang von OB und Klüngelelite unter Protest vieler Beteiligter, für die »neue« Zukunft?
Drei Thesen und ein Versuch
Kulturhauptstadt 2010, alles spricht dagegen, alles spricht dafür. Drei Thesen zum Weitermachen. Erstens: Es bringt nichts, wenn die alten Geschichten von den gleichen Leuten weitererzählt werden. Köln tritt vor allem gegen sich selber an. Wenn die Stadt die Sache ernst meint, ist sie gezwungen, genau das zu tun, was sie verlernt hat: in die Zukunft denken, inhaltlich substanzielle Konzepte entwickeln und umzusetzen, statt kölsche Lösungen irgendwie zusammenzuklüngeln und jede gute – und das kann auch heißen: radikale – Idee auf provinzielles Mittelmaß herunterzuschrumpfen. Dann könnte man die Bewerbung durchaus als therapeutischen Prozess verstehen.
Zweitens: »Kulturhauptstadt 2010« kann nur als Übernahmeaktion funktionieren: Überall in Köln gibt es Leute, dieKultur schaffen und andere, neue Geschichten erzählen, das macht diese Stadt immer noch aus. Die müssen ans Ruder – vom »offiziellen« Köln ist nicht viel zu erwarten. Drittens, um Missverständnissen vorzubeugen: Das alles trifft natürlich auch zu, wenn Köln schon von der NRW-Jury rausgeworfen wird. Oder soll dann etwa alles so bleiben wie es ist?
Versuchen wir es also mal mit einer positiven Definition, probeweise. Europäische Kulturhauptstadt 2010, das könnte heißen: Neue Geschichten nach vorn zu erzählen, und möglichst viele Menschen daran zu beteiligen. Wie wollen wir 2010, 2020, 2030 leben? In welcher Stadt, in welcher Gesellschaft, mit welcher Kultur? Darüber nachzudenken und zu diskutieren könnte richtig Spaß machen.
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