Mehr Schein als Sein
Die Identität dessen, der in dem Prosatext »Nachtwachen von Bonaventura« von 1804 durch die Dunkelheit wandelt, um als Nachtwächter seinen gleichfalls dunklen Gedanken über die Welt nachzuhängen, ist eigentlich belanglos. Ob er nach seinem »Kreuzgang« genannt wird, oder Bonaventura, wie im Pseudonym des Autors, oder so wie dieser tatsächlich heißt, nämlich August Klingemann – in den grabesschweren, selbstmörderischen und zynischen Episoden geht jeder Glaube an eine wiedererkennbare Person ohnehin verloren. Erst recht dann, wenn diese sich selbst aufgibt.
Der Nachtwächter könnte auch Hamlet heißen.
In der vierzehnten seiner Mondscheinplaudereien ist das tatsächlich so. Er spielt nämlich den ihm seelenverwandten Dänenprinzen im Theater. Und das so überzeugend, dass er die um die Liebe betrogene Ophelia nicht nur im Stück in den Wahnsinn treibt. Seine schauspielernde Kollegin wird tatsächlich irre und landet konsequenterweise im Tollhaus, wo die beiden sich wiedertreffen. Davon erzählt die XIV. Nachtwache in fantastischen, eindrucksvollen Sprachbildern.
Dass dieser Text aber selbst mit einigen Anstrengungen nicht für die Bühne zu gebrauchen ist, wird umso deutlicher, je länger Tomasso Tessitoris Inszenierung dauert. Da hilft es nichts, aus dem Original-»Hamlet« die entscheidenden Szenen an den Anfang zu stellen, es hilft auch nichts, die wortmächtigen Monologe Hamlets und Ophelias um eine durchaus spaßige pantomimische Nebenhandlung zwischen Irrenärztin und Priester zu ergänzen. Und es hilft erst recht nichts, wenn sich am Ende alles in eine Art Party auflöst, bei der die Beteiligten noch einmal anmerken dürfen, ob sie lieber fürs Sein oder fürs Nichtsein sind. Es hilft nichts, weil das Timing zwischen all diesen szenischen Fetzen nicht stimmt und sich allenfalls ein aufgesetzter, loser Zusammenhang ergibt.
Schade, schade, denn die Leistungen der Schauspieler sind durchweg gut bis glänzend (Katrin Schmieg, Francesco Leone), die Musik von Jörg Burger aka The Modernist und Alexej Malakhau am Saxophon großartig. Es bleibt zu hoffen, dass dieses sympathische Trüppchen sich bald eine erfahrenere Regie und einen bühnentauglichen Text sucht. Denn die »Nachtwachen« zeugen zwar auf fast jeder Seite davon, wie fasziniert ihr Autor (hauptberuflich Theaterleiter und Dramatiker) vom Theater war, aber sie scheinen kaum dramatisierbar. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass auch Klingemanns zahlreiche »echte« Stücke heute niemand mehr spielt.
»XIV. Nachtwache« nach Bonaventura, R: Tomasso Tessitori, M: Jörg Burger, ARTheater, 4, 5.3., 21 Uhr.