Poetisches Paralleluniversum
Wer sich bemüht, Gefühle zu erzeugen oder zu zeigen, macht sich angreifbar: Schmalz, Gefühlsduselei und Abgeschmacktheit lautet allzu schnell das abgeklärte Urteil. Dieser Gefahr hat sich Regisseur Tim Burton oft entzogen, indem er stark stilisierte (»Sleepy Hollow«) oder die Emotionen ironisch bis albern überzog (»Mars Attacks«) und so eine sichere Distanz herstellte. In »Edward mit den Scherenhänden« hingegen gelang ihm der Balanceakt zwischen Sensibilität und Sentimentalität. Mit »Big Fish« wagt er nun erneut diesen Schritt.
Ed Bloom (Albert Finney) ist ein klassischer Storyteller – an sich schon ein amerikanischer Mythos. Wenn der Sterbenskranke aus seinem Leben erzählt, stilisiert er seine eigene Biographie zu einer Ansammlung rührend-verklärter Anekdoten. Dieses teilweise glänzend inszenierte Paralleluniversum wird von glasäugigen Hexen, gebeugten Riesen, siamesischen Zwillingen und poetischen Bankräubern bevölkert, mit denen sich der junge Ed (Ewan McGregor) tapfer herumschlägt. In wunderschönen Bildern lebt hier der amerikanische Süden auf, mythologisch stark aufgeladen. Anders als z.B. in »Forrest Gump« werden jedoch nicht historisch verbürgte Tatsachen in die Ereignisse eingewoben, um Authentizität vorzutäuschen. Die Abenteuer des romantischen Helden stehen für sich, sind im eigentlichen Sinne zeitlos.
Eds zweifelnder und entfremdeter Sohn Will (Billy Crudup) versucht beständig, hinter diese Fassade zu blicken, um den Vater vor seinem Tode noch einmal wirklich kennen zu lernen. Schließlich hat der ihm mit seiner Fabulierkunst schon die Hochzeit vermiest – ein Ereignis, an dem der Vater doch wohl endlich im Schatten seines Sohnes stehen sollte.
In »Big Fish« führt der Ästhet Burton die bewegten Bilder zurück zu einer fast schon vergessenen Bestimmung – Kino als die große Wunschmaschine, Eskapismus inklusive. Aber warum sollte ein visuell überaus begabter Regisseur nicht ein für sich stehendes Werk schaffen dürfen? Die hochkarätigen Nebendarsteller wie Danny DeVito oder Steve Buscemi genießen offensichtlich alle Freiheiten in einem Film, der mit seinem magischen Realismus von niemandem sonst als Tim Burton hätte realisiert werden können. Ein toller Film, aber nichts für Zyniker.
Big Fish (dto) USA 03, R: Tim Burton, D: Ewan McGregor, Albert Finney, Billy Crudup, 125 Min. Start: 8.4.