Wunderheiler und Hinterwäldler
Das Cover des neuen Albums von Sonic Youth ziert eine Zeichnung von Richard Prince: eine Krankenschwester, leicht weichgezeichnet und in ein tiefes Rot gebettet. Das Bild stammt aus der »Nurse«-Serie des Künstlers, aus der sich auch der Name des 17. Albums der New Yorker.
Als große Weltverbesserer und universale Krankenschwester präsentieren sie sich allerdings nicht. Sie geben sich als das, was sie schon immer ausgezeichnet hat: ein weltoffenes, nicht an Meinungs- und Klang-Paradigmen festhaltendes Künstlerkollektiv. Neben den zahlreichen Soloprojekten der einzelnen Mitglieder kehren sie immer wieder zur Band als integrale Einheit zurück, um die eigene sozio-politische Umgebung im Spannungsfeld aus Noise, Improvisation und traditionellen Songstrukturen zu thematisieren. Zum Interview mit Gitarrist und Sänger Thurston Moore wird in ihr Manhattaner Studio in der Murray Street geladen, nur einen Block von Ground Zero entfernt.
StadtRevue: Ihr archiviert die Mitschnitte Eurer Konzerte, es scheint bei einem Blick in eure vollgestopften Studioräume, als ob ihr alles, was mit Sonic Youth zu tun hat, sammelt. Wie wichtig ist der Aspekt der Dokumentation für Euch?
Thurston Moore: Wir schmeißen halt nichts weg. Dabei hatten wir nie Ambitionen, unsere Geschichte zu archivieren und eine Retrospektive zu machen. Eigentlich behalten doch alle Bands ihre Aufnahmen, oder? Vor fünf Jahren aber hat uns ein Kurator aus New York angesprochen, da er eine Ausstellung mit uns machen wollte – was wir so erst mal nicht verstanden haben. Er wollte die Videos, TV-Auftritte, unsere Nebenprojekte und Kooperationen mit anderen Künstlern. Kim Gordon hat Ausstellungen und Filme gemacht, Lee Ranaldo und ich beschäftigen uns mit Gedichten – wir stecken in sehr vielen Geschichten drin. Wir haben für die Ausstellung unsere Ablagen durchwühlt und die Show »Sonic Something« genannt.
Ein Moment des Rückblicks...
Wir haben die Sachen einfach nur an die Wand gehängt, nicht chronologisch aufbereitet. Das wollten wir nicht. Was das Aufbewahren der Sachen angeht: Ich selbst bin eigentlich schon immer groß gewesen im Archivieren. Ich archiviere alles mögliche, zum Beispiel Tausende von Nachkriegsgedichten, die weit unter dem Radar der Mainstream Poetry liegen, von 1950 bis heute.
Zur Gegenwart. Welche aktuelle Musik hörst Du gerade?
Ich mag die Yeah Yeah Yeahs. Der Schlagzeuger ist ein Swinging Drummer, er weiß viel vom Jazz. Und der Gitarrist, der weiß vielleicht nicht soviel von Nick Caves Birthday Party, aber dafür umso mehr von dem alten Impovisator Derek Bailey. (lacht laut) Ich mag auch die Liars, sie sind sehr radikal. Bands wie Interpol und die Strokes bedienen sich nur – wie so viele andere – bei früheren New- und No Wave-Bands, sie revitalisieren diese Musik, mehr nicht. Aber da sind auch diese wirklich tollen Underground-Bands, besonders in New York. Es gibt zwei Fraktionen derzeit. Eine sehr an Noise orientierte, in deren Mittelpunkt eine Band wie Wolf Eyes aus Michigan steht, sie machen improvisierte elektronische Noisemusik. Sehr trashig. Pretty hardcore. Und dann gibt es diese sehr introvertierte Folk-Drone-Szene mit Bands wie White Magic.
Im Info zu eurem aktuellen Album steht, dass Richard Hell, die NYer Punklegende der ersten Stunde, es produziert hat. Wie kam es denn dazu?
Er ist ein sehr alter Freund von uns. Er kam einfach vorbei, also haben wir ihn gefragt, ob er unser Producer sein will. Er meinte, er habe das noch nie getan. Na ja, dann haben wir uns noch ein bisschen unterhalten und er ist wieder gegangen.
Es ist also nur ein Witz? Er war nicht wirklich mit Euch im Studio?
Nein. Die Plattenfirma gab uns letztes Jahr eine Liste mit Produzenten, worauf wir antworteten: »Ihr wisst es vielleicht nicht, aber wir haben mit Jim O’Rourke einen der besten Produzenten, die es momentan gibt, in der Band, warum sollten wir uns also einen holen«. Und dann fragten sie, ob er das als Bandmitglied überhaupt machen will – aber er musste es tun. Erstens wollten wir keinen externen. Und zweitens lässt Jim sowieso keinen anderen ran. Ich habe ihn später tatsächlich gefragt, ob er die Arbeit nicht abgeben wolle, da er sehr krank wurde während des Endmixes, eine höllische Grippe hatte. Aber er traut niemand anderem! Ich glaube, er hat gerade wegen der Krankheit ein besseres Album gemacht. Die Halluzinationen haben ihn inspiriert. Das passt ganz gut zum »Nurse« im Albumtitel.
Themenwechsel. Der Songwriter und Filmemacher Vincent Gallo war in Europa schwer in der Kritik für seine rassistischen Äußerungen in einigen Interviews. Nun weiß ich um eure alte Bekanntschaft, die ja bis in die NYer Szene Ende der 70er Jahre zurückgeht. Das hat wohl auch den Ausschlag gegeben, ihn für das Festival »All Tomorrow Parties« zu buchen, das ihr kürzlich kuratiert habt. Widerspricht das nicht eurem politischen Anspruch? Müsst ihr euch, wenn ihr Gallo einladet, nicht selber sehr kritisch hinterfragen?
Ich habe viele ernste Diskussionen mit ihm. Er war immer ein Character, aber ich hasse seine politischen Einstellungen. They suck. Das sage ich ihm auch immer wieder. Er ist absolut auf dem falschen Weg, bringt die Republikanische Partei mit den religiösen Rechten in unserem Land durcheinander. Das sind zwei unterschiedliche Sachen. Die Republikanische Partei steht bei all ihren Fehlern nicht für Faschismus. Vincent hat konservative Ansichten, wie die Welt aussehen sollte. Das geht mich auch gar nichts an, das ist seine Wahl, aber er muss wissen, dass die Leute, die er unterstützt, aus der rechten Ecke des Christentums kommen. Sie stehen nicht mehr für Politik, sondern für faschistische Manipulation. Sie wollen die Welt nach ihrer gefährlichen Weltsicht verändern. We are in the line of fire right now. Es war noch nie so schlimm. Vincent polarisiert gerne, indem er extreme Positionen annimmt, aber bei dieser Sache geht es nicht um simple Polarisierung, sondern um das, was rechts ist und was schlichtweg falsch und gefährlich ist. Ich sage ihm immer wieder, dass er das durchschauen muss.
Versteht das nicht mittlerweile der letzte Hinterwälder?
Das Land ist komplett geteilt. Die eine Hälfte glaubt der Autorität und die andere hinterfragt sie. Ein Großteil der Amerikaner stellt seine Mama nicht in Frage. Sie sind wie kleine Babys, die nicht glauben wollen, dass Mama etwas falsches machen könnte.
Die Amerikaner, die man so trifft – und ich meine nicht nur die Leute aus den Subkulturen –, scheinen Mama sehr wohl zu hinterfragen. Langsam, aber sicher.
Aber es gibt da noch den Großteil, der das Land nie verlassen hat. Ich rede mit solchen Leuten – ich habe ja auch Verwandtschaft, die zu dieser Gruppe gehört. Diese Gruppe ist extrem groß: 90 Prozent der Amerikaner haben das Land noch nie verlassen. Ich frage diese Leute dann immer, ob sie nicht realisieren, dass viele Menschen außerhalb der USA Bush für einen Clown halten. Aber hier sehen sie ihn als jemand, der sich nichts gefallen lässt – und denken, so würde er auch weltweit wahrgenommen.
»Sonic Nurse« erescheint auf Universal/Motor
Music.