Kalker StorYs
Die Halle Kalk stürzt in sich zusammen, eine zukünftige Ruine aus Trümmern und Beton. So weit wie auf dem Plakat, mit dem sich letztes Jahr das Kölner Schauspiel öffentlich über den städtischen Zickzackkurs zwischen Kulturhauptstadtambitionen und Kulturkürzungen lustig machte, wird es nun doch nicht kommen. Die Halle Kalk bleibt stehen. Und Köln erhält eine neue Tanzcompagnie: Die amerikanische Choreografin und Tänzerin Amanda Miller kommt mit ihrer Pretty Ugly Dancecompany von Freiburg nach Köln. Ihr Produktionsstandort soll die Halle Kalk werden. Das ist das vorläufig letzte Ergebnis einer längeren Diskussion um die rechtsrheinische Spielstätte.
Lange hieß es: Die Kölner Bühnen, die nach den drastischen Etatkürzungen von insgesamt 11,5 Millionen Euro zwischen 2005 und 2007 kaum andere Optionen hatten, wollten sich samt technischer Besetzung komplett aus Kalk zurückziehen. Zugegeben, Kalk ist als Spielort ziemlich weitab. Drumrum liegt ein eher unwirtlicher Stadtteil, auch die Suche nach der Halle (bis heute kaum ausgeschildert) konnte sich für Ortsfremde schwierig gestalten. Trotzdem: Die Halle
ist ein etablierter, ausbaufähiger Spielort, unverzichtbar gerade für experimentelle, raumbezogene, spartenübergreifende Projekte. Zudem belegt sie den Versuch, einen Problemstadtteil kulturell ans linksrheinische Zentrum anzuschließen. Sie hat einen
schönen, nackten Bühnenraum,
einen Sicht-idealen, hoch gestaffelten Sitzreihenbereich. Bei einer Schließung hätten vor allem der Tanz und die freie Tanzszene einen der wenigen möglichen Spielorte überhaupt verloren. Denn ohne das Abend- und Technikpersonal, auf das unter Bühnen-Intendant Marc Günther zuletzt auch freie Veranstalter zurückgreifen konnten, sind Aufführungen in Kalk den meisten schlichtweg zu teuer.
Das alles könnten jetzt Schreckgespenster der Vergangenheit werden. Die Imhoff-Stiftung hat für vier Jahre, so lange läuft Amanda Millers Vertrag, 1,6 Millionen Euro für eine Kölner Tanzcompagnie zur Verfügung gestellt. Weitere Mittelgeber sind die Stadtischen Bühnen mit 200.000 Euro (plus Infrastruktur im Wert von 100.000 Euro) und die KunstSalon-Stiftung mit 50.000 Euro pro Jahr. Die Realisierung einer solchen Residenz-Compagnie ist eine kleine Sensation, an die keiner mehr so recht geglaubt hat. Sollte nun auch der Standort Kalk gerettet sein, wäre das die bestmögliche Wendung, zumindest aus der Perspektive der Bühnen und des Tanzes betrachtet. Was allerdings mit der Halle als Spielort in Zukunft wirklich passiert, bleibt weiterhin unklar: Zwar wird Pretty Ugly in Kalk ihre Projekte vorbereiten, doch
ob sie sie dort auch aufführen werden, ist aufgrund der finanziellen Situation der Bühnen unentschieden. Pretty Ugly soll zunächst im Schauspielhaus und der Schlosserei sowie in spontan zu findenden, temporären Außenspielstätten auftreten.
Konzepte wie das von Inka Neubert und Alireza Varzandeh – die ein von ihrer freien Gruppe, dem Inteata, bespieltes, regelmäßig aber auch von anderen Kölner und überregional wichtigen Theatergruppen genutztes Theaterzentrum schaffen wollten – haben zunächst das Nachsehen. Ein solches Haus hätte allerdings ohnehin nur mit Verschiebungen innerhalb des städtischen Theateretats, also Verlusten andernorts, realisiert werden können. Jetzt wäre zumindest die Möglichkeit vorhanden, den Kalker Spielplan unter einer Residenz-Tanzcompagnie auch für Produktionen der freien Szene offen zu halten. Andererseits wäre das Inteata-Konzept endlich mal ein Anfang für ein Zentrum avancierter Theaterkunst gewesen, jenem Ort, der in Köln so bitter fehlt.
Zwei größere Projekte, beide programmatisch auf die Halle ausgerichtet, wird es gegen Ende der Spielzeit in Kalk auf jeden Fall noch geben. Der Komponist und Regisseur Manos Tsangaris hat als eine Produktion des Schauspiel Köln eine »Döner-Schaltung« speziell für die Halle und ihr Umfeld entworfen. Dabei ist ihm wichtig, »dass da kein Zustandsbericht eines sozial brisanten Stadtteils, keine Ethno-Soap stattfinden soll.« Eher geht es um Zukunftsvisionen eines Wunschortes Kalk, wo man mangels gemeinsamer Sprache eventuell auch auf Gedankenkommunikation umsteigen kann. Realisieren will Tsangaris seine »Döner-Schaltung« als raumbezogenes Stationentheater: »Man kann sich das wie einzelne Fahrten auf einer Kirmes vorstellen. Du wirst in eine von neun Stationen geleitet, plaziert, dann findet für ein paar Minuten ein raumplastisches musiktheatrales Stück statt. Dann wirst du wieder abgeholt. So kann jeder sich die Reihenfolge des Theaters selber zusammenstellen.«
Ein weiteres Exempel, wie die Halle idealerweise zu nutzen wäre, will das Kölner Produktionsbüro tanzperformance vorführen. »Die Halle Kalk ist für jede Art von experimenteller Kunst ›der Ort‹ schlechthin«, sagt Heike Lehmke von tanzperformance. Schon im Dezember 2002 waren sie und Kollegin Madeline Ritter mit ihrer Gastspielreihe »HEISS« in Kalk. Das neue, zweiwöchige Festival »d.a.m.p.f.« will das Experiment fortsetzen, mit erweitertem Konzept. »Die Erfahrung mit der Halle Kalk bisher ist einfach: Man rast hin, sieht irgendetwas an und geht wieder«, sagt Lehmke. »Wir haben uns aber die Herausforderung gestellt, einen Ort zu schaffen, den die Leute mit Lust aufsuchen. Wo es eine Bar gibt, und nebenbei passieren Aktionen. Man wird neugierig, man geht vielleicht auch ins Theater. Wir wollen vierzehn Tage lang nicht nur ein Festival machen, sondern auch einen Ort beleben, zeigen, dass da viel Potenzial drin steckt.«
Das Hauptthema des »Internationalen Festivals für Tanz, Medien und Performancekunst« passt dazu: »Öffnen, Einbeziehen, Beleben«. Täglich sollen DJs auflegen, Kölner Designstudenten gestalten eine Lounge, draußen gibt es eine Café-Terrasse. Computerstationen mit einer Auswahl an CD-Roms und DVDs sollen im Foyer zum Thema Tanz und Theater informieren. Per Computer kann man
an einer Realitäts-Virtualitäts-Schnitzeljagd mit der Compagnie Blast Theory teilnehmen.
Ansonsten lockt erneut ein anspruchsvolles, sehr zeitgenössisches, teilweise experimentelles Programm wie es in Köln extrem selten geworden ist. »In erster Linie ist es ein Programm für eine Stadt«, meint Lehmke. »Wir möchten zeigen, was jetzt gerade im zeitgenössischen internationalen Tanz passiert.« Für ihr Programm hat tanzperformance wie bereits bei »HEISS« mit dem Kölner Schauspiel koproduziert.
Eingeladen werden konnten etwa der Franzose François Verret mit seiner Multimedia-Performance »Chantier Musil«, bei der in einer ausgefallenen Metall- und Maschinenarchitektur Musiker, Schauspieler, Tänzer und Akrobaten multiple Visionen der Realität inszenieren. Die Festivaleröffnung gestaltet die Gruppe She She Pop mit »Warum tanzt ihr nicht?« Die Hamburger Performer spielen seit Jahren interaktiv mit ihrem Publikum. Diesmal in einem Ballsaal, wo der Zuschauer auch als Tänzer gefragt ist.
Zwei Wochen lang internationales Programm – tanzperformance will sich als zukünftiger Veranstalter weiter profilieren. Heike Lehmke hofft, dass die Halle Kalk auch unter einer residenten Tanzcompagnie für Projekte wie ihres zugänglich bleibt: »Solange die Halle als Spielort erhalten bleibt, wäre die neue Entwicklung für mich auf jeden Fall positiv. Aber man sollte dort wirklich einen anderen Ort erschaffen, der geöffnet und belebt wird.«
»d.a.m.p.f«, Internationales Festival für Tanz, Medien und Performancekunst, 26.6.-9.7., Halle Kalk. Vollständiges Programm/Karten: www.tanzperformance.net oder Tel. 0221/2801
»Die Döner-Schaltung«, Musiktheater von Manos Tsangaris, 6. (Premiere), 8., 9., 12., 15.,18.,19., 20.6., durchgehender Einlass 20-21 Uhr, Dauer ca. 1 1/2 Stunden.
StadtRevue verlost 3x2 Gästelistenplätze beim d.a.m.p.f.-Festival für »pas_de_direction« von Francois Raffinot am 4.7. um 20.30 Uhr. E-Mail bis zum 29.6. an verlosung@stadtrevue.de, Stichwort: »kalkwerk«