Krepp Steine Blumen
Die Zeiten ändern sich doch. Nur ironisch wird er immer noch Heldensaal genannt, der übergroße und durch einen Innenbalkon auch von oben einsichtige Raum. An dieser Stelle des Museum Ludwig Köln hängt schon lange keine großformatige Epochalkunst mit Historienanspruch mehr. Auf Einladung von Direktor Kasper König und seinem Team arbeiten die mal mehr mal weniger bekannten Künstler und Künstlerinnen hier ausschließlich projekthaft, im nun dynamisch benannten »DC:Saal« (»DC«, englisch für Gleichstrom, dem der AC:Saal, Wechselstrom, als weiterer Ausstellungsraum gegenüber liegt). Die gezeigten künstlerischen Gesten konkurrieren weniger mit der Ewigkeit, sondern verkörpern bewusst ästhetische Versuchsanordnungen – situativ, vorübergehend. Damit soll denen, die ein Museum für Kunst erleben wollen, auch ein Forum für Experimente geboten werden. Ab 5. Juni werden jetzt wieder zwei Projekte parallel gezeigt: Während im AC:Raum der niederländische Video-Künstler Aernout Mik die Besucher mit einer Bürosituation als doppelte Realität konfrontiert, wird eine Kölner Künstlerin den DC:Raum bespielen.
Heike Beyer war bereits 2001 Gast im Museum Ludwig, als eine von zwölf Kunstschaffenden für eine Grafikmappenedition anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der Stadtsparkasse Köln. Erstmals begegnete Kasper König Beyers Kunst als damaliger Hochschuldirektor in Frankfurt, wo die Künstlerin, nach einer Zeit an der Kunsthochschule Braunschweig, ab 1997 für ein Jahr studierte. Im bunkerartigen Betoninnenraum eines Pfeilers der Frankfurter Friedensbrücke installierte sie in jenem Jahr unzählige Luftballons zu einer künstlichen, von hinten lichtdurchfluteten Scheinwand. Diese transluzente Plastik, als dreidimensionale Kulisse, wandelte die gesamte, zuvor als bedrückend empfundene Raumerfahrung. Plötzlich konnte sich der Betrachter wohlbehütet in einer zukünftigen Raumfahrtperiode wähnen, ganz entrückt von der eingangs erfahrenen Beklemmung, die von der eigentlich nicht für Besucher ausgelegten Funktionalität der Profanarchtitektur ausging. Auch hier bezwang der elastische David, im übertragenen Sinn, den starren Goliath. Schwerelos und sinnlich wirkte das besonders, als die Ballons über die Ausstellungstage zusehends schrumpeliger wurden.
Die Zeit ändert die Dinge. Die künstlerischen Werke von Heike Beyer bringen etwas manchenteils Unbeliebtes auf den Punkt. Ihre Materialien altern. Und das zeigt diese Kunst. Man könnte sagen, sie lebt geradezu davon. Es werden Prozesse angestoßen, mit ungewissem Ausgang, was auch Risiken bergen kann. Heike Beyers Kunstwerke zeigen diese kalkulierte Form der Veränderung über den Ausstellungszeitraum hinweg nicht nur mit ihren Materialien aus dem Alltag, früher besagte Luftballons, später erwärmter Zucker, Schnittblumen, bei dem aktuellen Projekt: Krepppapier. Durch ihre scheinbar beiläufigen Eingriffe taucht sie auch die Räume selbst für die Ausstellungszeit in einen ungewöhnlich surrealen Zustand der Veränderung.
Für die Preisträgerinnen-Ausstellung des Peter Mertes Stipendium 2003 stellte sie im Bonner Kunstverein einen zusätzlichen, architektonischen Pfeiler in den für Präsentationen schwierigen Durchgangsraum. So wurde sie unabhängig von der Situation, indem sie sie neu definierte. Den künstlichen Pfeiler hatte sie mit frischen, ab Ausstellungsbeginn welkenden Schnittblumen dekoriert, was Alteingesessene an die frühere Funktion des Kunstvereins als Blumenmarkt erinnerte.
In ihrer Wirkung weit über die Abbildung des Realen hinaus gingen ihre Wandarbeiten mit gebranntem Zucker, etwa jene 2001 für die Gruppenausstellung »Zero Gravity« im Düsseldorfer Kunstverein. Rational betrachtet war es »nur« Haushaltszucker, dessen Wandverlauf sie lenkte und leitete als klebrige, bis zum Braunwerden erwärmte Flüssigkeit. Von der oberen Eckkante herab zum Boden entstanden organische Tropfen- und Linienbilder, die zu apokalyptischen Interpretationen verführen konnten. Dabei überließ sie es den Luftfeuchtigkeitsverhältnissen im jeweiligen Raum, die sirupartige Malmasse durch den Wasserentzug aus der Raumluft unwillkürlich immer weiter zu verflüssigen. Anlass zum weiteren Spekulieren boten oftmals die an der Wand annähernd abgetrockneten, blutähnlichen Spuren mit einer größer werdenden Bodenlache. Das heißt, dass die Erscheinung sich deutlich nach dem von der Künstlerin konstruierten Erstbild veränderte. Es ging alleine weiter. Dabei konnte die Bandbreite der Publikumsentschlüsselungen zwischen martialischen und floral-poetischen Befindlichkeiten pendeln. Der stimmungsvolle Verlauf der dunklen Bernsteinfarbigkeit wurde eben doch weit öfter als architektonische Wunde gelesen, als Bild für eine Öltankkatastrophe, oder es wurde auf die Anspielung eines Menschenmärtyriums kurzgeschlossen.
Aktuell nutzt Heike Beyer im DC:Saal des Museum Ludwig handelsübliches Krepppapier. Für diese Ausgabe der StadtRevue ließ sie ein Blatt des Magazinpapiers einbinden, das bei der Papierfabrik, die das Krepp herstellt, in einem Tauchbad durchgefärbt wurde. Das Dekorationsmaterial zum Basteln und Verzieren verändert schnell seine Farbintensität, bleibt nur für Stunden lichtecht, bleicht in diesem Fall pink zu rosa und dann zu hellbraun. Durch die Sonneneinwirkung können für kurze Zeit durch das beiläufige Liegenlassen von Gegenständen auf dem Papier fotogrammähnliche Effekte sichtbar werden.
Lange Bahnen dieses Papiers erzeugen im DC:Saal als schwebendes Gewebe, kreuz und quer durch den riesigen Raum verspannt, diesen hinfälligen Farbeindruck, der tatsächlich über die ersten Tage sehr schnell verblasst. Was bleibt, ist der luftige, sorglose und nach oben zart schützende Eindruck des hängenden Geflechts, darunter spärlich verteilt die Glasvitrinen eines steinkundlichen Museums. Die geschützt exponierten Bergkristalle, Salze, Gipse oder Quarze unterliegen keiner mineralogischen Ordnung. Das lichtvolle Materialgefühl vermittelt vermeintliche Haltbarkeit nur in der Nahsicht. Im Detail muten sie wie Landschaftsminiaturen an, kühl, winterlich, verschneit, obwohl sie von Natur aus verborgen und tatsächlich nur über Gruben erreichbar sind.
Steckt ein romantisches Kunstverständnis dahinter? Steht der Bergbau mit seinen Gruben als Übertragung für die Kunst oder den neugierig entdeckenden Menschen? Das Werkensemble von Heike Beyer schlingt jedenfalls wundervolle Assoziationsketten. Sie macht »Bergfink« zum gemeinsamen Titel für ihre Strecke von 16 Seiten Bildcollage in der StadtRevue und für ihre erste Einzelausstellung in einem Museum. »Bergfink« könnte eine liebevolle Umschreibung für Menschen sein, die gerne in Gruben herumstöbern oder für solche, die das Bergwandern lieben. Nachgelesen erweist sich der Bergfink als nordischer Vogel mit grau-meliertem Kopf und orangener Brust, der hier selten brütet. Bei uns kommt er meist als Wintergast vor, in großen Schwärmen, als Invasionsvogel.
Heike Beyer: »Bergfink« vom 5.6. bis 3.10.im Museum Ludwig, Eröffnung 4.6., 19 Uhr.
heike beyer
wurde 1967 in Siegen geboren.
Studium an der Hochschule für
Bildende Künste Braunschweig, Städelschule Frankfurt a.M.. Erste Einzelausstellung in Köln 1998,
»Liar, Liar« (mit Matti Braun) im Ausstellungsraum BQ. Es folgten u.a. 2000 die Einzelausstellung »Wildenstein«, Montparnasse,
Berlin; 2001 Teilnahme an der Gruppenausstellung »Zero Gravity« im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf und die Künstlerische Leitung der Ausstellung »Sex – Vom Wissen und Wünschen«, Stiftung Deutsches Hygiene-Museum, Dresden (mit Curtis Anderson, Matti Braun, Rosemarie Trockel, Astrid Wege u.a.). 2003
erhielt sie das Peter Mertes Stipendium des Bonner Kunstvereins.