Die Mitte ist ein langer Fluß

Laut Kulturhauptstadtbewerbung bleibt der Dom stehen, und der Rhein wird frisch gemacht: Bis 2010 soll ein großzügiger »Rheinboulevard« entstehen. Professor Gerhard Curdes hat die Idee mitentwickelt und sprach mit Kay von Keitz über Flussmythen, Freizeitzonen und eine Kölner Planungsoffensive »von unten«

Das Projekt: In der Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2010 wird der Ausbau beider Ufer zu einem Rheinboulevard vorgeschlagen. Der Fluss wird als neue lineare Mitte Kölns interpretiert. Der Boulevard soll sich aus den vorhandenen Uferstraßen, Wegen, Plätzen, Grün- und Restflächen zu einem durchgehend nutzbaren Flanier-, Kultur-, Kunst- und Freizeitraum entwickeln. Durch die »Aufladung« mit Skulpturen, Lichtkunst, Windkunst, neuer Architektur, poetischen und grafischen Landmarken entsteht ein linearer Kunstraum. Plätze, Aussichtspunkte, Restaurants und Cafés bilden eine Kette von Aufenthaltspunkten mit Blick auf den Strom, die ganz unterschiedliche Besucher vereinen. Eine Perspektive, die weiter verfolgt werden könnte, mit oder ohne Kulturhauptstadt-Titel.

StadtRevue: Herr Curdes, welche Bedeutung haben Flüsse heutzutage in großen Städten – jenseits ihrer Funktion als wirtschaftlich genutzte Wasserstraßen?

Gerhard Curdes: Der Fluss ist eine der Ursprungsbedingungen von Städten. Städte an Flüssen entstanden ja nicht zufällig am Fluss, sondern sie hatten dort eine Funktion, unter anderem als Hafen. Aber der Fluss ist auch ein Verbindungselement, das eine ganze Region von der Mündung bis zu seiner Quelle verknüpft – von Köln könnte man flussaufwärts bis in die Schweiz fahren –, und Ströme wie der Rhein, die Oder, die Elbe sind kulturelle Verbinder. Über den Fluss kamen auch die Eroberer, der Fluss war der erste Verkehrsweg, und so hat sich über Flüsse historisch zunächst der Raum entwickelt.

Inwiefern gilt für Köln, dass der Rhein als ein solcher »kultureller Verbinder« funktionierte?

Köln ist in dieser Beziehung eine ganz besondere Stadt. Der Rhein war fast vier Jahrhunderte östliche Grenze der Zivilisation: im Westen die Römer mit ihrer Hochzivilisation und im Osten die »Barbaren«, die weder Schrift noch Steinhäuser kannten. Köln war der wichtigste nördliche Vorposten der römischen Zivilisation, was man daran erkennen kann, dass von Köln aus sieben römische Radialen nach Norden, Süden und Westen gehen und keine einzige nach Osten. Das ist noch heute erkennbar: Einem wohl geordneten Westteil steht ein chaotisch wirkender Ostteil gegenüber – nicht zuletzt daraus entstand die despektierliche Bezeichnung »Schäl Sick«. Jetzt springen einige Kulturfunktionen hinüber, aber es wird sehr lange dauern, bis dieser historische Bruch überwunden werden kann.

In ihrem Konzept sprechen sie auch vom Strom als einem »zutiefst mythischen Element«. Gibt es das tatsächlich noch, abgesehen von Beschwörungen in sentimentalen Liedern?

Diese Lieder sind ein zivilisatorisch-kultureller Hintergrund, der »Ursumpf«, aus dem sich vieles speist. Das, wonach Sie fragen, ist heute eher ästhetisch zu beantworten: Der Strom mit seinem Licht, mit der Weite, mit dem Erlebnis des Raumes, der Bewegung auf dem Wasser, ist doch ein unglaublich starkes Element, das jeden, der an einen solchen Strom geht, immer auch tief berührt. Wenn Sie daran denken, wie sich die Wirkung der Flüsse über den Tag und die Jahreszeiten hin verändert, dann sind große Flüsse ganz starke ästhetische Elemente in einer Stadt.

Wie empfinden Sie die momentane stadträumliche Situation Kölns entlang des Rheins?

Es gab im Mittelalter eine ganz fantastische Stadtsilhouette auf der Westseite, die auch in einem berühmten Holzschnitt festgehalten ist. Diese Silhouette hat man nach dem Krieg wieder in Teilen zu errichten versucht. Die Bemühungen sind aber auf der Westseite geblieben und dort auch nicht vollendet worden, während die Ostseite meines Wissen nach lange kein Thema einer Silhouetten-Diskussion war. Erstens müsste man tatsächlich innerhalb des engeren Stadtgebietes dieser Frage einmal ernsthaft nachgehen: Wie kann man den Raum so fassen und so akzentuieren, dass er szenografisch erlebbar wird? Das wäre die Makrodimension, in der Mikrodimension würde es dann zweitens darum gehen, durch neue Architektur und durch künstlerische Elemente, durch Plätze und Orte im Nahbereich des Fußgängers daraus auch einen Erlebnisraum zu machen.

Die Diskussion, den Fluss als eigentliches Zentrum der Stadt wahrnehmbar und erlebbar zu machen, gibt es doch schon seit Jahrzehnten. Vor inzwischen 20 Jahren wurde der bei vielen Kölnern und Touristen beliebte Rheingarten entlang der Altstadt gebaut.

Das ist ein wichtiges Teilelement einer solchen Vorstellung. Wenn Sie nach Düsseldorf sehen, wie sich die Ufersituation verändert hat, seit die Straße im Untergrund verläuft – das ist ein Bild, dem Köln auch nachstreben sollte. Beim Rheingarten ist das schon geschehen, aber eben nur bei diesem kleinen Stück, das vom Autoverkehr unterfahren wird. Köln hat aber entlang des Ufers einen Weg und einen straßenbegleitenden Bürgersteig, und es wird darum gehen, daraus einen durchgehenden linearen Boulevard zu machen. Mindestens ein Fuß-, ein Rad- und ein Skaterweg sollten durchgezogen werden, damit das Ufer ohne Unterbrechungen begehbar und erlebbar wird. Ich spreche dabei immer von beiden Rheinseiten – insbesondere auch von der östlichen, weil diese besonders entwicklungsfähig und -bedürftig ist.

Sie haben Düsseldorf erwähnt. Wieso ist das ein Modell für Köln?

Das ist der Weg der Städte zurück zum Wasser. Die Städte haben sich historisch vom Wasser abgekehrt, weil das Wasser ein Gefahrenelement war, aber auch ein Umschlagplatz, wo Güter geladen und gelöscht wurden – also kein besonders angenehmer Bereich, wenn Sie an die früheren Hafenzonen denken. Diese sind nun obsolet geworden, die Gebäude werden umgenutzt, wie im Kölner Rheinauhafen das »Siebengebirge« etwa, das vom Lagerhaus zum Wohnhaus wird. Auf diese Weise bekommt die Uferzone eine völlig neue Bedeutung, die sich im Bereich der Kultur und der Freizeit entwickeln kann – und auch sollte.

Sind solche Promenaden mit den üblichen Verkehrswegen vereinbar oder erfordern sie grundsätzlich große Untertunnelungsmaßnahmen?

Nein, das ist ja auch gar nicht bezahlbar. Man muss nicht von weiteren Untertunnelungen und Großbauwerken ausgehen, sondern versuchen, das, was da ist, besser zu nutzen. Mit den Flächen entlang der Ufermauern, den Straßen und Restflächen ist der Raum eigentlich weitgehend vorhanden, um entsprechende Umgestaltungen durchzuführen.

Zu Ihrem Konzept: Sie wollen die Ufer, aber auch den Fluss selbst zu einer Bühne für viele Aktivitäten und Events machen, vom Motorbootwettrennen über schwimmende Konzerte bis zu nachgestellten historischen Seeschlachten. Bedeutet das nicht eine Disneysierung, eine weitere freizeitkommerzielle Banalisierung des Rheins?

So könnte es natürlich kommen, aber so ist es auf keinen Fall gemeint. Einen Schritt zurück: Köln hat bis auf den Alter Markt keine funktionstüchtigen Plätze. Die beiden Flussufer könnten einen wirklichen Ersatz für diesen Mangel bringen. Nun ist es sehr schwierig, eine Stadt über eine solche Breite miteinander zu verbinden. Aber da ja auch der Schiffsverkehr nicht mehr dieselbe Bedeutung hat wie früher, gibt es zunehmend freie Kapazitäten auf dem Fluss. Wenn man diese lineare Mitte entwickeln will, muss sie auch einen Inhalt bekommen. Das kann nicht nur darin bestehen, dass man die Ufer attraktiviert, auch der Fluss selber muss eine neue Rolle bekommen.

Sie schlagen in diesem Zusammenhang auch den Einsatz von Kunstelementen vor, welche Rolle soll Kunst hier spielen?

Wir haben gerade den Beitritt der neuen EU-Mitgliedsländer gesehen und dabei, welche Bedeutung zum Beispiel das Licht als künstlerisches Gestaltungsmittel hat. Nächtliche Lichtopern am Rhein könnte ich mir schon vorstellen, als ein neues kompositorisches Thema. Keine Disneysierung, sondern die Herausarbeitung der besonderen Qualitäten, die künstlerische und szenische Akzentuierung des Uferraumes und des Flusses. Natürlich können Sie heute nichts entwickeln, was nicht auch einen Ertrag abwirft. Die Kosten müssen wenigstens in Teilen durch Einnahmen wieder hereinkommen. Aber warum sollten nicht Inszenierungen um und auf dem Rhein zusätzliches Publikum nach Köln locken und den Kölnern selbst ein Gefühl geben, wie großartig diese lineare Mitte ihrer Stadt ist.

Sie haben nicht die Befürchtung, dass eine Art von Überinszenierung entsteht, zumal Sie in ihrem Papier auch von den kontemplativen Qualitäten des Stadtraums Fluss sprechen?

Solche Ereignisse sind ja temporär. Das ganze Jahr über hat man diesen ruhigen Strom ohne irgendwelchen Zirkus, aber warum soll man nicht zu bestimmten Zeiten etwas daraus machen. Zumal dies das Lebensgefühl und die Lebensqualität einer ganzen Region enorm heben würde, wenn man weiß, es gibt ein großes gemeinschaftliches Ereignis, das die Leute versammelt, so wie der Karneval. Sie können ja auch sagen, der Karneval ist eine kommerzialisierte Geschichte, aber er hat ganz viele verbindende und entlastende Funktionen. Ein Großereignis dieser Art würde den Leuten etwas geben: Heimatgefühl und Zugehörigkeit – wenn es einen anspruchsvollen Hintergrund hat und kein billiger Kommerz ist.

Wer soll an einem solchen Großprojekt, das ja auch symbolische Bedeutung hätte, beteiligt sein? Wer soll es entwickeln?

Ich meine, es müsste vor allem ein großes bürgerschaftliches Anliegen sein, unterstützt von den Kölner Architekten, der Theater-, Musik- und der Kölner Kunstszene. Ich stelle mir vor, über einen mehrjährigen Dialog entsteht ein Vorschlag, der lokal in verschiedenen Teilbereichen diskutiert und akzeptiert ist, und dann übergibt man diesen der Stadtpolitik. Also keine Planung »von oben nach unten«. Natürlich braucht man flankierend die Unterstützung des Stadtplanungsamtes, der Politik, des Landes, und am Ende werden auch Mittel gebraucht. Aber ohne, dass es von »unten« mitgetragen würde, hat so etwas gar keine Chance.

Würden Sie für die eigentliche Planung und Gestaltung auf das Instrument des Wettbewerbs zurückgreifen?

Ich würde sogar mit Wettbewerben anfangen, allerdings mit solchen, die nichts kosten: an den Hochschulen mit Studenten, weil sie als junge Menschen eine besondere Begabung haben, ungenutzte Chancen zu erkennen und aus ihrem Lebensgefühl heraus auch Lösungen entwickeln, auf die die Älteren vielleicht gar nicht kommen würden. Gleichzeitig sind Architektur- und Kunststudenten aber auch Teil einer Profession, wissen also, was funktionieren muss. Was sich aus den Visionen herausfiltert und als ernsthaft angesehen wird, das sollte man dann konkret diskutieren. Aus meiner Sicht ist das ein Prozess von zwei bis drei Jahren. Dann hätte man eine Basis, auf der ein Rahmenplan entstehen könnte, der in drei bis vier Jahren vorliegen kann, so dass Teilelemente rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr 2010 realisiert werden könnten.

Aber selbst wenn Köln diesen heiß begehrten Titel bekommt – die kölsche Schwerfälligkeit in diesen Dingen ist doch schon sprichwörtlich.

Das ist die Trägheit großer Städte, in denen es schwer ist, etwas zu bewegen. Wenn Köln den Zuschlag bekäme, dann würden auch neue Energien frei.