Die Netzwerker

Düsseldorf hat, was Köln fehlt: mit dem Forum Freies Theater einen der interessantesten Orte für freie Theaterarbeit in Deutschland. Zur nächsten Spielzeit steht ein Leitungswechsel an. Alexander Haas und Sandra Nuy sprachen mit dem scheidenden künstlerischen Leiter Niels Ewerbeck und befragten seine Nachfolgerin Kathrin Tiedemann

»Künstlerische Kompromisse mache ich nicht. Was nicht heißt, dass Dinge nicht scheitern. Bei uns scheitern oft Dinge. Aber ich will dann wissen, dass sie auf hohem Niveau scheitern.« Niels Ewerbeck sagt dies mit dem Selbstbewusstsein eines Theaterleiters, der Ruf und Wirkung seines Hauses genau kennt. Innerhalb kurzer Zeit hat er das Düsseldorfer Forum Freies Theater (FFT) in die erste Liga der freien Theaterhäuser in Deutschland gebracht. 1999 übernahm er die Leitung des gerade gegründeten FFT. Vom Berliner Hebbel-Theater kommend, integrierte Ewerbeck das Haus mit zwei Spielstätten in ein Netzwerk kooperierender Freier Theater und suchte die Zusammenarbeit etwa mit den Sophiensaelen und dem Podewil in Berlin, Kampnagel Hamburg oder dem Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm.
Zur kommenden Spielzeit wechselt der 1962 geborene Ewerbeck an den Schweizer Knotenpunkt dieses Netzwerks, das Theaterhaus Gessnerallee in Zürich, ein »absolut attraktives Angebot«, das er nicht ausschlagen wollte. Seine Nachfolgerin, Kathrin Tiedemann, ist ebenfalls in jenem Verbund zu Hause, arbeitet sie doch momentan als Dramaturgin auf Kampnagel. Und so wird sie Ewerbecks »wichtige Aufbauarbeit und Profilierung« des FFT fortführen, aber auch eigene Schwerpunkte setzen (siehe Interview).
Kathrin Tiedemann, Jahrgang 1964, kann an das gute Verhältnis des Theaters zur Stadt Düsseldorf anknüpfen, die mit 670.000 Euro mehr als die Hälfte des FFT-Gesamtetats von 1,1 Mio Euro trägt. »Vorbildlich« habe die Stadt den Aufbau des FFT mitgetragen, so Ewerbeck. Sie habe Verständnis gezeigt und Durststrecken ausgehalten. Höhere Diplomatie eines Theaterleiters oder tatsächlich die Realität? Letzteres ist durchaus denkbar – nur diesseits des Rheins schwer zu glauben, weil die Kulturpolitik hier so anders agiert: Die gesamte Kölner Freie Szene muss sich eine Fördersumme teilen, die Ewerbecks Gesamtbudget entspricht.
Ewerbeck kennt die Kölner Verhältnisse aus eigener Anschauung, gehörte er doch dem Theaterbeirat an, der die Stadt in ihrer Förderpolitik beraten sollte und 2003 aus Protest gegen deren Halbherzigkeit zurücktrat. Sein Blick auf die Kölner Szene: »Es gibt sehr viele Gruppen, wahnsinnig viel Mittelmaß und starke Lobbys, die verhindern, das über dieses Mittelmaß hinaus etwas von sich reden macht. Das ist extrem schade, weil nicht wirklich verständlich.« Dass eine Stadt wie Köln ein Theaterzentrum als Produktions- und Spielort für wichtige Freie Gruppen dringend braucht, bedarf keiner weiteren Diskussion mit dem Noch-Theaterleiter aus Düsseldorf. Aber der Lobbyismus – um nicht vom Klüngel reden zu müssen – wird auch die Einrichtung eines solchen Zentrums in Köln blockieren, so die Einschätzung Ewerbecks.
Wenn das Verhältnis zur Düsseldorfer Kulturverwaltung so gut ist, wie steht es dann mit der Position des FFT im kulturellen Leben der Stadt? »Am Anfang waren wir ein bisschen ein Ufo und wurden auch so wahrgenommen«, sagt Ewerbeck. Es habe in Düsseldorf keine nennenswerte professionelle Freie Szene gegeben, das Bild hätten Amateure bestimmt. Ewerbeck hat diese Ausgangssituation fruchtbar in das heutige FFT-Profil eingebunden, in dem nämlich – als Teil des aktuellen Dokumentartheater-Trends – die professionelle Arbeit mit Laien einen Fixpunkt darstellt.
Mittlerweile ist das Ufo Bestandteil des Kulturlebens geworden, und es scheint ein Klima zu herrschen, das auch Grenzüberschreitungen möglich macht – so denn Koproduktionen von Stadttheater und Freiem Theater, wie sie von FFT und Düsseldorfer Schauspielhaus praktiziert werden, überhaupt noch ästhetische Gräben überbrücken müssen. Ewerbeck hält wenig von einer ideologisch geprägten Kritik an der aktuellen Annäherung von Freier Szene und Stadttheater, sagt aber auch: »Das Schauspielhaus will am Ruf, dem jungen Publikum und der Atmosphäre, die hier entsteht, partizipieren.« Unterschiede in Produktionsweise und Ästhetik hängen für Ewerbeck mit der »verhältnismäßig großen Armut des Freien Theaters« zusammen. »Der Zwang sich zu begrenzen und nicht in einen Materialrausch zu verfallen, zwingt das Freie Theater, sich andere Wege zu suchen. Das setzt eine bestimmte Fantasie frei, die Leute, die am Stadttheater groß werden, so gar nicht haben.« Der gebürtige Kölner und weiß, dass dies »fast reaktionär« klingt. Aber eben nur fast.
Für den Neu-Züricher definiert sich Freies Theater nicht allein in Abgrenzung zum Stadttheater, sondern vor allem in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen. Dass die Freie Szene ihre Selbst- und Gesellschaftsbefragungen derzeit gerne mit den Mitteln des Dokumentarischen vornimmt, bedeutet für Ewerbeck eine (Re-)Politisierung. Vor allem in krisengeschüttelten Ländern wie Israel beobachtet er sie. »Aber auch in Deutschland nimmt das Bedürfnis zu, sich über politische Inhalte auseinander zu setzen. Auch im Theater.« Sofern es den richtigen Ort hat.
Textfassung: Sandra Nuy




StadtRevue: Frau Tiedemann, Sie übernehmen die Leitung des FFT. Ist es für Frauen nicht mehr schwieriger als für Männer, im Theaterbetrieb Karriere zu machen?

Kathrin Tiedemann: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in vielen Theaterbetrieben sehr kompetente Frauen an wichtigen Schaltstellen sitzen, in den Dramaturgien und in den Pressestellen zum Beispiel. Auf der obersten Leitungsebene der großen Bühnen in Deutschland – Intendanz und Geschäftsführung – können Sie die Frauen aber immer noch an einer Hand abzählen.

Sind künstlerische Konzepte eines Theaterhauses für Sie von ,regionalen Mentalitäten’ abhängig? Kann man in Hamburg und Berlin, wo Sie vorher gearbeitet haben, Dinge zeigen, die in Düsseldorf nicht gehen?

Mein bisheriger Eindruck ist vor allem, dass die Rheinländer nicht so »cool« sind wie zum Beispiel die Berliner, was ich durchaus positiv finde. Insofern ist es möglicherweise umgekehrt: dass sich hier Dinge entwickeln lassen, die in dem Durchlauferhitzer Berlin mit höherem Profilierungs- und Konkurrenzdruck keine Chance hätten.

Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer FFT-Arbeit setzen?

Grundsätzlich interessiere ich mich für die Arbeit von Künstlern oder Künstlergruppen, die mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und Ausdauer eigene Inhalte und Konzepte verfolgen; Künstler, Gruppen oder Institutionen, mit denen ich die begonnene Zusammenarbeit fortsetzen möchte: Theaterhaus Weimar, Gob Squad, norton.commander.productions, united off productions, SheShePop, Jochen Roller oder Gudrun Herrbold, um ein paar Namen zu nennen. Zum andern werden wir versuchen, Themen und Phänomene aufzugreifen, die mit den sozialen Umbrüchen zu tun haben, die unser Leben derzeit bestimmen.

Wie sieht ihre erste Spielzeit aus?

Wir werden mit einem sehr ortsspezifischen, mit der Stadt Düsseldorf in Dialog tretenden Projekt eröffnen. Anschließend veranstalten wir ein dreiwöchiges Labor in Kooperation mit kulturattac, in dem aktuelle Formen von künstlerischem und politischem Aktivismus – die Theatralisierung von Politik einerseits und die Politisierung von Theater andererseits – Thema sein werden. Dazu haben wir unter anderem das Living Theatre aus New York und die VolxTheaterKarawane Wien eingeladen. Es wird eine Reihe von Tanzperformances geben und eine Theaternachwuchsplattform mit sechs Uraufführungen zum Thema »Amerika«. Ein weiterer Schwerpunkt im Frühjahr wird das Festival Impulse sein sowie eine Produktion mit jugendlichen Punkbands aus Düsseldorf.

Interview per E-Mail
Infos und aktuelles Programm des FFT: www.forum-freies-theater.de