Kampfwuscheln

Der Kölner Autor, Hörspielmacher und Rezitationskünstler Guy Helminger gewann nach einer gefeierten Lesung beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb den 3-sat-Preis. Für die StadtRevue schreibt er über seine Erfahrung beim jährlichen Betriebsausflug der Literaturszene

Meinen ersten Auftritt hatte ich bereits am Mittwochnachmittag in der Fußgängerzone. Kaum fünf Minuten her, dass ich mir ein Fahrrad gemietet hatte, als ich mit einem explosionslauten Kracher alle Blicke auf mich zog. Natürlich war auch die obligatorische Schulklasse am Platz und kriegte sich nicht mehr ein über den dicken Mann, der den Schlauch seines Hinterrades zum Platzen gebracht hatte. Ich dachte mir, wenn der Wettbewerb hier mal so viel Aufmerksamkeit auf sich zöge, wie ein defektes Rad! Denn in der kleinen Stadt Klagenfurt ist Literatur nicht gerade ein Renner. Kaum einer kennt die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, geschweige denn den nach ihr benannten Literaturwettbewerb. Dabei gibt es im Literaturbetrieb nichts Vergleichbares: fünf Tage ununterbrochen Literatur und ihre Produzenten sehen, hören und über sie diskutieren, dabei auf Bierbänken im ORF-Studio hängen und Kaffee schlürfen, bis einem das Zeug die Magensäure in die Ohrläppchen treibt. Eine Art öffentliche Klausur, die es in sich hat und auch ohne Preis für die meisten in einem Rauschzustand endet. Klagenfurt ist nicht von dieser Welt, die Stadt schon, das Phänomen nicht.
Der Kontakt unter den Autoren war außerordentlich gut. Ich habe Schriftsteller kennen gelernt, die ich nicht mehr missen möchte, Arno Geiger zum Beispiel oder Simona Sabato, um nur zwei zu nennen. Allen Unkenrufen zum Trotz gab es in all den Tagen nie Konkurrenzgehabe. Natürlich versteht man sich mit einigen Autoren besser als mit anderen, aber das ist unter Metzgermeistern auch nicht anders. Am Tag bevor ich ins Flugzeug nach Österreich stieg, erreichten mich Mails, die mir Glück wünschten, »den Ritt durch die Hölle zu überstehen«; im Nachhinein muss ich sagen, wenn es in Mephistos Aquarium soviel leckeren Saibling wie im Maria Loretto gibt, wenn es auf seinen Feldern so menschlich und weinselig zugeht wie auf den Wiesen vor den Studios, dann mag sie kommen, die Unterwelt. Ich freue mich! Und auch was im Fernseher aussieht wie eine Gerichtssitzung, die die Angeklagten mit hängenden Köpfen Richtung Schafott betreten, zeigt sich in der Sonne Kärntens – die durchaus hell und freundlich scheint und nicht einmal einen braunen Rand aufweist – als eine Börse, deren Protagonisten es verstehen, Arbeit und Wörthersee unter einen Hut zu bringen.
Es ist nie angenehm, wenn einem die eigenen Sätze um die Ohren gehauen werden, aber wer sich für Klagenfurt bewirbt, der weiß, was ihn erwartet, der muss wissen, dass sich hier nicht nur Autoren profilieren wollen, sondern auch die Juroren in der Öffentlichkeit stehen. Und auch sie wollen gut aussehen! Da kann es durchaus vorkommen, dass es Positionsrangeleien und Grabenkämpfe gibt, die mit dem zu besprechenden Text nicht mehr viel zu tun haben. Das ist zwar nicht wünschenswert, aber auch kein Untergang für den Betroffenen. »Etwas fehlt immer«, würde ein Bekannter von mir dazu sagen. Umso unverständlicher war für mich die Reaktion der Kollegin Abonji, die vor der Preisvergabe und damit vor der Fernsehübertragung, zum Mikro griff und lospolterte, der Wettbewerb gehöre abgeschafft und das sei ja unmöglich, was hier mit den Autoren passiere. Im Übrigen ein Statement, das kaum einer ernst nahm und nicht der Rede wert ist, nicht nur, weil es die ewige Klagenfurt-Leier wiederholt, sondern weil die Autorin Startplatz 13 und somit genug Zeit hatte, zu beobachten, wie die Show funktionierte, also keineswegs gezwungen war, wirklich aufzutreten. Wenn ich es mir genau überlege, war dieser Missgriff einer Schlecht-weg-Gekommenen der einzige Augenblick, der mich vor Ort kurz mal geärgert hat.
Es ist wahr, Ingeborg wollte in Klagenfurt nie beerdigt werden, und soweit ich Zeit hatte, mir die Stadt anzuschauen, kann ich das verstehen; alles etwas zu klein, alles etwas zu uninteressant, bis auf die Literatur eben. Aber das konnte die Ingeborg damals noch nicht wissen. Für Schriftsteller wie mich, die in ihrem Land oder ihrer Region zwar bekannt sind (in meinem Fall Luxemburg) und auch einige Bücher veröffentlicht haben, im deutschsprachigen Raum aber weitestgehend als unbeschriebenes Blatt gelten, ist der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb die Möglichkeit einer enormen Beschleunigung. Hier frühstückt man mit Autoren und Literaturinteressierten, mittags trifft man Lektoren und Verlagsleute und abends trinkt man Wein mit Agenten und Juroren oder spielt Fußball gegen den ORF. Ein wunderbarer Jahrmarkt von der Größe eines Bonsaibaumes. Und immer geht es um Literatur. Da kann es schon mal passieren, dass die unterschiedlichsten Figuren sich nachts trunken durchs Haar wuscheln und einige Gläser zu Bruch gehen, weil das Mondlicht wie ein Romananfang zwischen den Terrassenpflanzen schillert und die Begeisterung um sich schlägt.
Fünf intensive Tage liegen hinter mir, viel Literatur, viel Licht, viel Lustiges. Ich würde jederzeit wieder nach Klagenfurt fahren, selbst wenn auf dem Rathausplatz hinter dem Lindwurm unweit meines Hotels die immergleiche Oldiekapelle noch so laut und so oft »Smoke on the Water« spielte wie dieses Jahr. Aber erstmal muss ich mich nun etwas ausruhen, denn das Außergewöhnliche schlaucht ganz schön und um ein Zitat von Johannes Jansen abzuwandeln: Ich habe definitiv das Gefühl, zurückgekehrt zu sein aus einer Schlacht, die nichts als die Fläche eines Blattes war. In diesem Sinne, einen Birnenschnaps auf die Ingeborg!

Info
Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb:
Der Bachmann-Wettbewerb ist der wichtigste deutschsprachige Literaturwettbewerb und gleichzeitig ein Medienereignis; Lesungen und Diskussion der JurorInnen werden live von 3sat übertragen. Es wurden neben dem Bachmann-Preis (2004 an Uwe Tellkamp) vier weitere Preise vergeben. Guy Helminger gewann für seinen gelesenen
Kurzkrimi »Pelargonien« das mit
7.500 Euro dotierte 3sat-Stipendium.
Guy Helminger wurde 1963 im Luxemburgischen Esch-sur-Alzette geboren und lebt seit 1985 in Köln. Helminger arbeitete als Barkeeper, Schauspieler, Regieassistent und 3D-Grafiker und leitet Seminare,
in denen er Autoren das Performen ihrer Texte näher bringt.

Veröffentlichungen (Auswahl):
Lyrik: »Entfernungen (in Zellophan)«, 1998; »Leib eigener Leib«, 2000;
»Verwanderung«, 2002 (alle bei
Editions Phi, Echternach).
Prosa: »Die Ruhe der Schlammkröte« (Roman), Köln 1994;
»Rost« (Kurzgeschichten),
Echternach 2001.
Hörspiele: »5 Sekunden Leben«, WDR 2001 (Hörspiel des Monats); »Morgen ist Regen«, WDR 2001; »Fluggeräte«, WDR 2003.
Theater: »Wer noch glaubt«, Uraufführung Köln 1992; »Venezuela«,
Uraufführung London 2003.

Internet:
Guy Helmingers prämierter Text
sowie sämtliche Informationen zum Bachmann-Wettbewerb incl.
Videodokumentation unter bachmannpreis.orf.at
Homepage Helminger: www.guyhelminger.de