Nukleare Zellen

Führende Theatergruppen starten zwei

Initiativen, deren Fluchtpunkt ein in Köln fehlender,

zentraler Ort für Freie Theaterkunst ist.

Fast ist es eine alte Leier: Köln hat keinen zentralen Ort für freie Theaterkunst und steht damit im Abseits des aktuellen Geschehens in der überregionalen Freien Szene. Die Spielstätten, an denen wichtige freie Produktionen erarbeitet werden, stehen in Hamburg, Berlin, Jena, Frankfurt/Main, Düsseldorf oder Zürich. Damit fehlt Köln der überregionale Austausch und ein Qualitätsmaßstab für das, was in der Bundesliga des Freien Theaters gespielt wird. Andersherum wird Freies Theater aus Köln jenseits von NRW so gut wie nicht wahrgenommen. Diesen Umständen widerspricht nicht, dass es in der Stadt hier und da Produktionen bzw. Gruppen gibt, die überregionalen Maßstäben gerecht werden.

Neues Theaterlabel

Einige dieser Gruppen gehen von September an neue Wege oder intensivieren ihre bisherige Arbeitsweise. Einerseits rufen vier Kölner Freie Teams das Theaterlabel »Freihandelszone« ins Leben, Untertitel: »ensemblenetzwerk köln«. Gründungsmitglieder sind das theater-51grad.com, das a.tonal.theater, die Gruppe Futur-3/evoe:performing:artists und das Team von anthro TM. Zukünftig wollen diese vier gemeinsam unter dem »Dach« des neuen Labels agieren. Andererseits eröffnet das Inteata, geleitet von Regisseurin Inka Neubert und Bühnenbildner Alireza Varzandeh, am Melatengürtel eine neue Spielstätte, zunächst beschränkt auf vier Monate. Die Umfunktionierung einer leer stehenden Gewerbehalle entspricht dem Selbstverständnis der Gruppe, die schon häufig theaterfremde Orte temporär »besetzt« hat. Diesmal jedoch hoffen die Macher auf mehr.
Anlässlich der Kulturhauptstadtbewerbung hatten Neubert und Varzandeh ein Konzept veröffentlicht, in dem sie konkrete Vorschläge zur Errichtung eines Theaterhauses für die Stadt unter eigener Leitung machten. Die erhoffte Resonanz seitens der Stadt und der Politik blieb aus. Dort hat man Bedenken gegenüber einer »Intendanz«, die aus der lokalen Szene kommt und favorisiert für eine derartige Spielstätte ein per Bewerbung ermitteltes Leitungsteam von außen. Als Reaktion startet das Inteata nun ein abgespecktes Projekt aus eigener Kraft – ein Versuchsballon für das große Konzept.
Dementsprechend bespielen sie die neue Stätte mit Eigenproduktionen zeitgenössischer Stücke, szenischen Einrichtungen und Autorenlesungen sowie mit Gastspielen aus Köln und anderen Städten: Im November kommt das Theaterlabor Darmstadt mit Peter Handkes »Kaspar«, im Oktober hat die deutschsprachige Erstaufführung von »Fünf Arten von Schweigen« der britischen Autorin Shelagh Stephenson in der Regie von Inka Neubert Premiere. Zum Start im September läuft die Inteata-Wiederaufnahme von »Kieselasche« des Frankokanadiers Daniel Danis, der wie Stephenson zu einer Lesung anreisen wird.

Halle am Melatengürtel

Die Anmietung und Nutzung der rund 700 qm großen Halle am Melatengürtel leistet das Inteata zunächst ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung der Stadt. Varzandeh gibt sich kämpferisch im Blick auf die Schaffung eines Ortes, der Theater-Köln endlich mehr Profil verschaffen soll: »Wenn die nicht wollen, tun wir es eben selber.« Über die Budgetierung hat er sich ausführlich Gedanken gemacht; um das Restrisiko, das vor allem durch die Mietbelastung von etwa 5.000 Euro monatlich entsteht, weiß er. Ob das Experiment gelingt, die Halle auch über die vier Monate hinaus als Stätte mit überregionaler Strahlkraft zu etablieren – so lautet der Anspruch – ist ungewiss. Viel wird von den Einnahmen abhängen, aber genauso viel von der Frage, ob das Inteata sein bisheriges Programmprofil über starke Gastspielpartner aus anderen Städten ausweiten und dem Projekt so ein Image verschaffen kann, das tatsächlich für neuen Qualitätsinput stünde.
Beim neuen Label Freihandelszone geht es zunächst um weniger. Die vier Gruppen haben in der Südstadt Büro- und Probenräume von über 400 qm angemietet, die Zahlung übernimmt bis Ende des Jahres die Stadt. Gemeinsam wollen die vier diese Infrastruktur nutzen, um technisch wie künstlerisch Synergien abzugreifen. Von der Interessensbündelung versprechen sie sich außerdem die »Schaffung kulturellen Mehrwerts«. Wie dem Inteata geht es auch der Freihandelszone um die »Etablierung eines klaren künstlerischen Profils über die Grenzen der Stadt hinaus«.

Gastspiele an etablierten Spielstätten

Die beteiligten Gruppen zeigen ihre Produktionen wie bisher als Gastspiele an etablierten Spielstätten Kölns. Den Start macht Ende September »drag and drop the queen« der auch tänzerisch arbeitenden Gruppe anthro TM in der Alten Feurwache. Es folgen die Köln-Premiere von Rebecca Prichards »Yard Girl« in der Version des theater-51grad im Gebäude 9 und im Rahmen der Reihe »Citybeats« zeigt Futur-3/evoe:performing:artists die Folge »Arbeit in der Stadt« in einer Kölner Holzhandlung. Im Oktober steht die Premiere des a.tonal.
theater an. Darüber hinaus wollen die Gruppen vierteljährlich mit einem Programmfolder nach außen treten, eine einheitliche PR-Strategie soll her. Zukünftige Überlegungen in Richtung Ausbau der Strukturen zu einem Theaterhaus schließt das Netzwerk natürlich nicht aus. Im Kulturamt glaubt man, dass der Verbund ein Nukleus dafür sein könnte.
Der große freie Theaterleuchtturm dürfte in Köln langfristig nur mit einem von Politik und Stadtverwaltung (finanziell) sanktionierten Schub zu bauen sein. Dafür könnten Inteata oder Freihandelszone wichtige Grundlagen schaffen.

Wir verlosen 3x2 Gästelistenplätze für eine September-Veranstaltung des Inteata nach Wahl. E-Mail bis zum 1.9. an verlosung@stadtrevue.de, Stichwort: »neues glück«.

Außerdem 3x2 Gästelistenplätze für eine Freihandelszone-Vorstellung im September nach Wahl. E-Mail bis zum 8.9. an verlosung@stadtrevue.de, Stichwort: »label drauf«.