Ein letzter gemeiner Spott
Fröhliche Tänzerinnen, soweit das Auge reicht. Tolle bunte Klamotten, lustiges In-die-Hände-klatschen. Der Monitor ist auf Augenhöhe und hat viele dieser Szenen zu bieten. Immer wieder Umschnitte auf neue Fröhlichkeit und neues Tanzen im Verbund. So kennen und so lieben wir Afrika. Besser: So entspricht es immer noch einer bestimmten Erwartungshaltung Europas. Aber die in vermeintlich traditionelle Gewänder gekleideten Tänzerinnen sind nicht, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Zunächst einmal sehen wir einen Schwarzweiß-Film, das bedeutet schon mal den Abzug einiger Exotik-Punkte. Der nur wenige Zentimeter daneben positionierte zweite Monitor zeigt einen kopf- wie fußlosen Frauenkörper, gekleidet in ein militärisch-strenges Kleid. Die Frau vollzieht pausenlos Marschierbewegungen nach, wie sie bei Tausenden während einer Militärparade zu sehen gewesen sein könnten.
Weder traditionell noch fröhlich
Der folkloristische Schnickschnack ist eine Lüge, und die 27-jährige Künstlerin Michèle Magema aus Kinshasa stellt das in ihrer Installation »Oyé Oyé« in einen vieldeutigen Rahmen. Was wir sehen ist nämlich weder traditionell noch fröhlich. Es sind Bilder aus der Zeit von Mobutus Authenticité-Kampagne Anfang der 70er Jahre, mit der er vorgab, Zaire re-afrikanisieren zu wollen. Die Kostüme wurden für solche Anlässe extra entworfen, neotraditionell sozusagen. Genauer betrachtet ist »Oyé Oyé« somit ein Plädoyer gegen falsches Festhalten an »Wurzeln«, schon gar gegen Manipulatoren, die Macht über sinnentleertes Abfeiern von Tradition sichern oder gewinnen wollen.
»Afrika Remix« heißt im Subtitel »zeitgenössische Kunst eines Kontinents« und zeigt Arbeiten von beinah 90 KünstlerInnen aus 25 afrikanischen Ländern. Das Ganze ist eine gründlich vernetzte Angelegenheit, nach dem museum kunst palast in Düsseldorf werden bis 2007 unter anderem das Centre George Pompidou in Paris oder das Mori Art Museum in Tokio »Afrika Remix« zeigen. Der Anspruch von Kurator Simon Njami, dem kamerunischen Chefredakteur der in Paris erscheinenden Zeitschrift Revue Noire, und seinen Co-Kuratoren in den verschiedenen international bekannten Museen ist es, den ganzen Kontinent zwischen Mittelmeer und Kap zu präsentieren und darüber hinaus zu belegen, dass es eine moderne Kunst in Afrika gibt. Und dass die Grenzen fließend sind zwischen bildender Kunst, Film und Design.
Klassisch burisches Wohnzimmer
So ist »Afrika Remix« notwendiger Weise als Reflex
auf Okwui Enwezors Engagement zu verstehen, die letzte Documenta mit wenigen und außerdem wenig prickelnden Arbeiten aus Afrika zu versehen. Man könnte dieser Haltung der Kuratoren, die der Direktor des Centre Pompidou Alfred Pacquemont auch so formuliert, natürlich Naivität vorwerfen. Warum soll ausgerechnet ein afrikanischer Documenta-Chef sich ghetto- und quasi stammesdenkend unbedingt als Organisator vor allem afrikanischer Kunst darstellen?
»Commune: onomatopoeia« (Gemeinde: Lautmalerei) ist ein fiktiver Raum, der deutlich an ein klassisches burisches Wohnzimmer erinnert. Wim Botha aus Johannesburg, 30 Jahre alt, hat Tisch, Fenster und Deckenstuck aufgehängt, dazu noch einige Zeichnungen, deren Motive man sich durch genaueres Hinschauen erarbeiten muss. Die Bleimuster der Fenster offenbaren stumpfe Gesichter, das ganze »Zimmer« erhält durch die Aufhängung einen sehr vorläufigen oder gar vergänglichen Charakter. Es sind Hyänen, die auf den Zeichnungen zu erkennen sind – wie auch an der Decke. Boten vom Ende, Künder des Todes. »Sie begleiten die Toten in den Zustand danach«, sagt Botha. Willkommen im modernen Südafrika.
Wer ist Afrikaner?
Aber wie funktioniert Afrika als Ganzes? In einer Ausstellung? Die südafrikanischen Rapper von H2O waren gerade in Köln zu Gast. In ihrem Track »African« heißt es: »If you’re White or Indian... you’re not African« – Wim Botha ergänzt die nächste Zeile der Combo: »Who is African, who not?« und fährt dann fort: »Das ist eine Frage, die in ganz Afrika niemanden interessiert – außer in Südafrika, wo es starke xenophobe Tendenzen gibt. Bin ich Afrikaner? Aber mehr noch: Ist das interessant? Ich bin weiß. Meine Ahnen waren Europäer, vor 300 Jahren. Als ich meine Arbeit in Düsseldorf installiert habe, haben einige Leute – Europäer und Afrikaner – mich für einen Techniker gehalten. Einen Deutschen. Und in seiner Eröffnungsrede hat Simon Njami darauf hingewiesen, dass es wichtig ist zu verstehen, dass nicht alle Afrikaner schwarz sind. Ich bin in Afrika geboren, wie fünfzehn Generationen meiner Ahnen vorher. Ich lebe in Afrika, meine Arbeit hat ihre Wurzeln in Afrika, mein Leben und meine Verbundenheiten sind afrikanisch. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das alles aus mir einen Afrikaner macht, aber ich glaube, dass diese Frage im 21. Jahrhundert immer unwichtiger werden wird.«
Als Ganzes ist der Kontinent in »Afrika Remix« natürlich nicht zu besichtigen. Dafür ist er zu groß und nicht in handliche Raster zu bringen. Knapp die Hälfte der Länder ist mit KünstlerInnen vertreten – und der Focus auf irgendetwas irgendwie Nationales wird angenehmer Weise gar nicht erst justiert. Erkennbar ist Njamis Ansatz, die Extremitäten zu betonen. Neben Südafrika ist auch der Norden des Kontinents gut repräsentiert. Damit ist die geografische Nähe zu Europa sehr präsent. Die algerische Videokünstlerin Zoulikha Bouabdellah hat eine Art Kabine entworfen, links blau, in der Mitte weiß, rechts rot. Mitten im Weiß steckt ein Monitor, der einen fünfminütigen Film enthüllt. Eine Frau verhüllt ihr Becken mit einem blauen Tuch, dann mit einem weiteren, einem weißen, das rote wirft sie über ihren Oberkörper – dann ertönt im Off die Marseillaise, und die Frau beginnt zu tanzen. Schlecht zu tanzen. Sehr ungelenk.
Die Kreativität eines Kontinents
»Afrika Remix« antwortet auch auf die zahlreichen Ausstellungen von Alltagskunst, die in den letzten Jahren den Boden bereitet haben für eine Wahrnehmung afrikanischer Kreativität, die Europa stets bezweifelte. Simon Njami nennt den ghanaischen Künstler Kane Kwei, dessen bunte Särge in den 90er Jahren ein großes europäisches Publikum erreicht haben, allerdings demonstrativ einen Schreiner, um die Grenze deutlich zu machen, hinter der sich »Afrika Remix« abspielt. Nicht ganz zufällig ziert ein Foto Samuel Fossos das Plakat zur Ausstellung und das Cover des Katalogs. Der zentralafrikanische Künstler ist die Antwort auf die Studiofotografen, die mit ihren bunten Einrichtungen in den letzten Jahren die Lieblinge des europäischen Feuilletons geworden sind. Fosso inszeniert sich selbst in verschiedenen Rollen, männlich wie weiblich. Afrikanische Modelle: die bürgerliche Frau, den Matrosen, den Piraten, die befreite afrikanische Frau der 70er Jahre.
»Afrika Remix« öffnet in jedem Fall den Blick auf die Kreativität eines ganzen Kontinents, die man so noch nicht wahrnehmen konnte in Europa. Es ist eine pralle und zum Platzen volle Ausstellung mit frischen und immer wieder überraschenden Arbeiten. Die Zahl der Ausstellenden ist enorm, der Anteil von KünstlerInnen um und unter 30 Jahren ist sehr hoch. Damit ist die Ausstellung auch ein Versprechen auf die Zukunft. Schön wäre es, man könnte viele der Ausstellenden auch mal in einem Rahmen betrachten, der sich nicht auf Afrika beziehen muss. Schließlich muss jetzt auch der Letzte kapiert haben, dass Afrika und Folklore keine Synonyme sind. Michèle Magemas Installation »Oyé Oyé« ist denn auch der letzte Hinweis für die Freunde von ethnic art und dergleichen. Im Rahmen von »Afrika Remix« wirkt sie wie ein letzter gemeiner Spott zum Abschied von der Vergangenheit.
museum kunst palast, Kulturzentrum Ehrenhof, Ehrenhof 5, Düsseldorf, Di-So 11-18 Uhr, bis 7.11.