Kölsche Dialektik
In Köln ist die Politik oft wie Karneval. Aber wie politisch ist, umgekehrt, der Karneval? Und kann überhaupt ein generalstabsmäßig organisiertes Brauchtum satirisch und kritisch sein?
Brechreiz und Blaulicht. Das ist Karneval in Köln. Zumindest auch. Und es verweist auf jenen ursprünglichen Karneval, der im Mittelalter dem heiligen Köln bereits Sex- und Partytourismus bescherte. Wenn sich jedoch das Kölner Festkomitee mit linksalternativen Karnevalisten in einem Punkt einig ist, dann darin, dass diese Sauforgien keineswegs das Wesen des kölschen Fasteleers seien. Eine Beschwörungsformel, die man unter zivilisatorischen Gesichtspunkten begrüßen mag. Aber tatsächlich führen jene, die heute am Zülpicher Platz oder in der Altstadt Polizei und Rettungssanitäter auf Trab halten, eine der größten Traditionen des kölschen Brauchtums fort. Und wenn man sich heute fragt, welches subversive Potenzial der Karneval birgt, dann kann man mit gutem Grund behaupten, dass sich gerade in der Anarchie der alten Karnevalstage eine Kritik der bestehenden Verhältnisse am eindrucksvollsten Bahn gebrochen habe. So moralisch fragwürdig all dies gewesen sein mag — der Karneval war damals den Mächtigen immerhin ein Ärgernis. Heute ist der Ober-bürger-meister allenfalls genervt, weil das Festkomitee von ihm eine Büttenrede auf der Prinzenproklamation erwartet.
Das Anarchische, Unberechenbare wurde dem kölschen Karneval 1823 mit der Gründung des Kölner Festkomitees gehörig ausgetrieben. Mehr noch, die Domestizierung der Feier verfestigte eine karnevalistische Zweiklassengesellschaft: Das Bürgertum vergnügte sich bei teuren Maskenbällen, während sich das einfache Volk in den Wirtshäusern die Welt schönsoff. Auf dem damals neu geschaffenen Rosenmontagszug präsentierten sich die Reichen und Einflussreichen dem Volk. Selbst also an den tollen Tagen, an denen die Narren und Ausgegrenzten die Herrschaft übernehmen sollten, blieben derart die bestehenden Verhältnisse bewahrt.
Das ist bis heute so, wo der Karneval aus einem bürokratischen Apparat heraus dirigiert wird, der es sich ebenso wenig leisten kann, Politiker ernsthaft zu verschrecken wie bei Sponsoren aus der Wirtschaft in Ungnade zu fallen. Auch wenn die sogenannten jungen Wilden im Festkomitee 2005 eine Art Perestroika einläuteten, bleibt eine Doktrin bestehen: »Et ess Spass, ävver dä nemme mer ähns«, wie die Karnevalsfunktionäre nur halb ironisch sagen. Viel Dummes, was man im Karneval hört, ist übrigens nur halb ironisch.
Halb ironisch ist auch das Militärische im Karneval. Die heutigen Roten Funken gingen 1823 aus einer ziemlich heruntergekommenen Stadtwache hervor. Während der französischen Besatzung Kölns machten sie aus dieser Not eine Tugend, indem sie das modern organsierte französische Militär nachäfften. Die Blauen Funken von 1870 wurzeln dagegen im preußischen Patriotismus und in der Begeisterung für die kriegerischen Erfolge. Bis heute ist all diesen Karnevalsvereinigungen das Faible fürs militärische Zeremoniell gemein, und wie sie dabei ihren Uniform-Fetischismus als Parodie sublimieren.
Wie viel politische Satire darf man aber von Uniformierten erwarten? Vom offiziellen Karneval wird keine Attacke auf die bestehende Ordnung ausgehen. Und auch kein Humor. Denn Humor ist eine Haltung. Sie trotzt der Absurdität des Daseins ebenso wie der Niedertracht der Mächtigen. Humor ist etwas anderes als Witze zu erzählen. Gerade deshalb scheiterte der Kölner Karneval 1991 daran, sich mit dem Golfkrieg auseinanderzusetzen und sagte den Rosenmontagszug einfach ab.
Und doch ist es merkwürdig, dass gerade in einer Stadt wie Köln, in der zu leben viel Humor erfordert, im Karneval dafür kein Platz zu sein scheint.
Der Grund, weshalb ausgerechnet all die Kölner Skandale kaum ins Visier des närrischen Spotts geraten, hat aber auch mit einer eigentümlich kölschen Gemütslage zu tun, die selbst die progressiven Kräfte des kölschen Brauchtums erfasst: Man lebe in einer »Stadt, die in der letzten Zeit sehr gebeutelt worden ist. Man hört viele Sachen, unangenehme Sachen. Ävver ejaal, wat passiert es, et es en Stadt, op die mer immer noch all stonn.« So haben die Bläck Fööss zu Silvester 2009 — es ist das Jahr des Archiveinsturzes — ihre Köln-Hymne »Do bes die Stadt« in der Köln-arena angekündigt. Das ist der kölsche Fatalismus. Die Stadt ist »gebeutelt worden« — eine Passiv-konstruktion die ein unergründliches Schicksal nahelegt. Von wem gebeutelt? Man hört halt so Sachen. Ävver ejaal. Denn der Kölner besitzt das Talent, die haarsträubendsten Widersprüche auszuhalten. Mehr noch: Indem man den Widerspruch benennt — schlimme Stadt, trotzdem super geil — ist der Widerspruch durch diese kölsche Dialektik auch schon aufgehoben. Eben das treibt denn auch den alternativen Karneval dazu, entweder davor zu kapitulieren und bloß noch »typisch Köln!« hinterherzubellen — oder aber die vordergründige Provokation zu inszenieren. Nicht von ungefähr waren die größten Eklats der alternativen Stunk-sitzung zwar unterhaltsam, aber satirisch plump. Und es war fast immer die Kirche — naturgemäß äußerst leicht zu provozieren — das Ziel dieser -Attacken. Die Kölner Politik aber, die doch so viel mehr das Leben der Menschen prägt, blieb seltsam verschont.
Mag sein, dass das Problem darin liegt, dass auch der alternative Karneval auf seinen Sitzungen formal das Prozedere des konventionellen Karnevals übernimmt, wenn auch parodiert. Aber vielleicht ist große Satire nur außerhalb dieser karnevalistischen Liturgie möglich.
In den vergangenen Jahren war während der Karnevalstage immer Helge Schneider in der Philharmonie zu Gast. Diese Auftritte haben nichts mit Karneval und nichts mit Politik zu tun. Und doch: Der Dadaismus, mit dem man dort konfrontiert wurde, war rebellischer, im karnevalistischen Sinne: närrischer, als die meisten Beiträge im Sitzungskarneval oder auf den Umzügen, seien diese nun konventionell oder alternativ.