Kölscher Klüngel in Vollendung: Stadtarchiv-Einsturz im Georgsviertel vor sechs Jahren | Foto: Frank Domahs

»Naturereignis eher unwahrscheinlich«

Am 3. März 2009 stürzte das Historische Archiv ein. Sechs Fragen und sechs Antworten zum sechsten Jahrestag

Wer trägt die juristische Schuld an dem Unglück? 

 

Wassereinbrüche, gefälschte Protokolle, ignorierte Warnungen, fehlende Bauaufsicht, schlampige Arbeit — die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehr als 100 Menschen wegen Baugefährdung und fahrlässiger Tötung. Darunter Mitarbeiter der Bauherrin KVB, leitende Baufirmen, Projektierer, Planer, Subunternehmer. 

 

Es gibt zwei Thesen zum Einsturz: ein Loch in der Schlitzwand des U-Bahn-Schachtes in etwa 30 Metern Tiefe, durch das ständig Wasser in die Baugrube flutete — oder ein hydraulischer Grundbruch. Letzteres vermutet die Arge Süd, die Arbeitsgemeinschaft der Baufirmen mit Bilfinger Berger an der Spitze. »Das wäre ein Naturereignis und ist eher unwahrscheinlich«, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Ein Leck in der Außenwand sei »deutlich naheliegender«. Es könnte auf fehlerhafte Montage der Baufirmen zurückgehen. Dann kämen Stadt und KVB glimpflich davon. Aber genau ermitteln lasse sich erst, wenn Gutachter die Schadensstelle ansehen könnten, sagt Bremer. Das erforderliche Besichtigungsbauwerk ist seit 2012 im Bau. 

 

Wie steht es um die Archivalien?

 

2011 meldete die Stadt, dass 95 Prozent der Archivalien gerettet seien. Wie schwierig es ist, sie zuzuordnen, damit sie nach der aufwändigen Restaurierung wieder genutzt werden können, wird nicht gesagt. Mittlerweile sind laut Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia rund 18.000 Stücke konservatorisch behandelt worden: 12.000 Einheiten seien im Original und 5495 Einheiten digital im Restaurierungszentrum Porz-Lind einsehbar. 

 

Noch sind die geborgenen Dokumente auf zehn Asyl-Archive verteilt. Ab Sommer sollen die Bestände ins ehemalige Düsseldorfer Landesarchiv kommen. »Die Archivalien sind komplett durcheinandergewirbelt, wir müssen uns teilweise mit Einzelseiten rumschlagen«, erklärt Schmidt-Czaia auf Nachfrage. »Es gibt keinen zusammenhängend geborgenen Bestand, das existiert nur virtuell. Unser geborgenes Archivgut kann aber in seiner Gänze nur gereinigt, benutzbar gemacht und wieder zusammengeführt werden, wenn schnellstmöglich der Neubau errichtet wird.«

 

Wann kommt das neue Archiv? 

 

Der Bau des neuen Archivs soll ab Mai am Eifelwall beginnen. Die Politik will an einem zentralen Standort ein »Bürger-Archiv«. 2019 könnte es fertig sein. Auch hier gibt es Kritik: Die einen wenden sich gegen die Bebauung des Geländes, die anderen gegen eine »Eventisierung« des Archivs. Dort auch die Kunst- und Museumsbibliothek unterzubringen, haben SPD, Grüne und Linke Ende 2014 gestoppt. Zu teuer, so die Begründung. 

 

Zur Zukunft des Georgsviertels, in dem die Unglücksstelle liegt, fand 2011 eine Bürgerbeteiligung statt. Ende 2012 gab es einen Architektenwettbewerb für eine Erweiterung der Kaiserin-Augusta-Schule sowie die städtebauliche Neuordnung des gesamten Viertels. Wo das Archiv stand, würden laut Siegerentwurf Wohnungen und Sportanlagen entstehen. Eine Häuserfront öffnet sich zu einem »Ort der Erinnerung«, der gesondert gestaltet werden soll. Später kam Kritik auf, weil zu wenig Raum für Gedenken bliebe. Es gab sogar Ideen, die Einsturzstelle freizuhalten. 

 

Was tut die Stiftung Stadtgedächtnis?

 


Es vergingen knapp anderthalb Jahre, bis die Stiftung, die Spenden für die Restaurierung der Archivalien einwerben sollte, überhaupt gegründet war. Fast noch mal so lange dauerte es, bis der damalige Kulturdezernent Georg Quander glaubte, mit dem ehemaligen leitenden Bankangestellten Stefan Lafaire einen geeigneten Vorsitzenden gefunden zu haben. Ende 2014 trat Lafaire nach massivem politischen Druck zurück. Seine Bilanz ist verheerend: Das Startvermögen von 7,2 Millionen Euro – davon fünf Millionen aus der Stadtkasse und je eine von Land und Bund – hat sich nicht erhöht, sondern verringert. Wahrscheinlich um etwa eine Million Euro. Genau weiß man es nicht, weil die Stiftung weder der Öffentlichkeit noch dem Rat zügig über den Verlauf der Spendensammlung Auskunft gibt. Lafaire hat es weder geschafft, Firmen als Großspender zu gewinnen, noch hat er viele Kölner dazu gebracht, eine der Charity-Kaffeetassen zu kaufen. Lafaires Posten hat nun Konrad Adenauer übernommen. Der Kanzler-Enkel und Vorsitzende des Haus- und Grundbesitzervereins wird ehrenamtlich arbeiten. 

 

Was haben die Proteste bewirkt? 

 

Klüngel und Unfähigkeit hatten in die Katastrophe geführt. Das Unglück sei eine Zäsur in der Stadtgeschichte, hieß es. Jenseits des Rathauses war man sich einig, dass es so in Politik und Verwaltung nicht weitergehen dürfe. Initiativen wie »Mut zu Kultur« kippten den Beschluss, ein neues Schauspielhaus zu bauen, und in Ehrenfeld wurde ein Shopping-Center verhindert. »Köln kann auch anders« nahm die gesamte Stadtverwaltung in den Blick und forderte, deren Handeln müsse transparent gemacht werden. Bis heute veranstaltet man eine »Ständige Bürgervertretung« zu aktuellen Themen vor dem Rathaus. Auch der Erfolg der Wählergruppe Deine Freunde, die 2009 in den Rat einzog, ist durch den Protest beflügelt worden. In der Verwaltung gibt es heute oft mehr Gesprächsbereitschaft. Aber dass die alten Strukturen noch bestehen, zeigte sich zuletzt, als zwei Amtsleiter sich weigerten, beim »Stadtgespräch« im Domforum zur maroden Infrastruktur Stellung zu nehmen. 

 

Wie gedenkt Köln der Katastrophe? 

 

Die Stadt hat bisher keinen Weg gefunden, des Unglücks zu gedenken. Dass »eine räumlich erfahrbare Konzeption des Gedenkens entwickelt« werde, wie es nach einer Bürgerbeteiligung formuliert wurde, ist derzeit nicht in Sicht. Es gibt noch nicht mal eine Info-Tafel,  stattdessen wird immer noch über die angemessene Form des Gedekens diskutiert. Jedes Jahr legt die Stadt einen Kranz nieder, einige Initiativen veranstalten Aktionen (siehe Tagestipp am 3. März). Man kann nicht behaupten, dass das Interesse der Kölner daran groß sei.