Die neuen Sozialarbeiter
Als die neuen Nachbarn im Oktober 2014 einzogen, bekam Jennifer Metzing kurz Angst vor der eigenen Courage. In den Wochen zuvor hatte sie mit Anwohnern die Initiative »Willkommen in der Moselstraße« gegründet, um die Flüchtlinge willkommen zu heißen, die das Kölner Wohnungsamt im Hotel Mado im Kwartier Latäng unterbringen wollte. Nun standen ihr rund sechzig junge Männer aus Eritrea, Nigeria, Irak und Afghanistan gegenüber und blickten sie erwartungsvoll an.
»Wir sind ja totale Laien und haben keine Ahnung von Sozialarbeit«, sagt Metzing. Doch ihre Bedenken verflogen schnell. Die Menschen reagierten offen und nahmen die angebotene Hilfe dankbar an. Für die Mitglieder der Initiative »Willkommen in der Moselstraße« wurden die nächsten Wochen und Monate zum Crash-Kurs in Sachen Flüchtlingsbetreuung und Umgang mit Behörden. »Seit dem Einzug der Flüchtlinge organisieren wir warme Kleidung, unterrichten Deutsch, suchen Hilfe bei drohender Abschiebung.«
Inzwischen hat Metzing 200 Menschen in ihrem E-Mail-Verteiler, zweieinhalbtausend folgen ihrer Seite auf Facebook, wo sie Spendenaufrufe postet. Für alle möglichen Belange wie Sport, Kochen, juristische Fragen gibt es Arbeitsgruppen. Die Ehrenamtlichen haben Fahrräder besorgt, machen mit ihnen Radtouren, helfen bei Job- und Studienplatzsuche und vermitteln neuerdings sogar Freundschaften mit Kölnern über das Patensystem »Friends«. Die Moselstraßen-Anwohner haben sich gleich zu Beginn auch mit der Bürgergemeinschaft Rathenauplatz vernetzt, die seit vierzig Jahren besteht. Auch dort leben seit Sommer 2014 etwa 55 Flüchtlinge in einem Apartmenthaus.
Im Bürgerbüro am Rathenauplatz gibt der pensionierte Lehrer Werner Kämper Flüchtlingen Deutschunterricht, außerdem begleitet er sie zu Arzt- und Behördengängen. Auch er hat sich in kürzester Zeit das ABC der Flüchtlingsbetreuung angeeignet. »Das hat unsere Bürgergemeinschaft neu belebt«, sagt er.
»Willkommen in der Moselstraße« ist nur eine von mehr als dreißig Initiativen in Köln, die sich für Flüchtlinge engagieren. Die meisten haben sich erst in den vergangenen zwei Jahren gegründet, seit die Stadt die stark wachsende Zahl von Flüchtlingen an immer neuen Standorten unterbringt — häufig in Containerbauten oder einfachen Hotels. In Blumenberg wird Nachbarschaftshilfe geleistet, auch in Lindenthal formiert sich nach einigem Zögern eine Willkommensgruppe. In Sürth gibt es sogar seit anderthalb Jahren eine Initiative, obwohl die Flüchtlinge frühestens Ende 2015 einziehen.
Hinzu kommen diejenigen, die sich nicht in der Nachbarschaft, sondern bei kölnweiten Projekten engagieren, sich als Mentoren für Familien einsetzen oder Flüchtlingskinder außerschulisch betreuen.
Kurz: das Engagement ist beachtlich. »Wir haben für die Mentorenprojekte und die außerschulische Betreuung mehr Hilfsangebote, als wir vermitteln können«, sagt Thomas Zitzmann, der beim Kölner Flüchtlingsrat für die Freiwilligenarbeit zuständig ist. Er sagt auch: Gut gemeinte Hilfe der Nachbarn kommt nicht immer bei allen gut an. »Für soziale Arbeit ist es nicht immer hilfreich, wenn andere sich einmischen, die nicht genau wissen, was los ist.« Sozialdezernentin Henriette Reker erklärte im April bei einer Veranstaltung im Haus der Architektur sogar, man müsse angesichts all der neuen Nachbarschaftsinitiativen aufpassen, dass die »Flüchtlinge nicht von Fürsorge erdrückt werden.«
Man fragt sich allerdings, ob in Zeiten, in denen die Stadt Feldbetten in Massenunterkünften aufstellt und ein städtischer Sozialarbeiter für bis zu 300 Flüchtlinge zuständig ist, nicht jede Hilfe recht sein sollte. Jennifer Metzing hat jedenfalls noch nicht erlebt, dass ein Flüchtling sich über zu viel Fürsorge beklagt hätte. Sie weiß nur, dass die für das Hotel Mado zuständige Sozialarbeiterin einmal pro Woche für ein paar Stunden kommt, und dass im Mai vierzig weitere Flüchtlinge in die Moselstraße ziehen. »Wir springen für die Stadt in die Bresche«, sagt Metzing. Unbürokratische und schnelle Hilfe habe sie bislang nur von den Kirchen bekommen. Der Leiter des Bürgeramts Innenstadt helfe häufig auf schnellem Wege, aber ansonsten gebe es bei der Stadt keinen Ansprechpartner für die Ehrenamtlichen.
Seit Anfang des Jahres gibt es jedoch das »Forum für Willkommenskultur«, das beim Kölner Flüchtlingsrat und der Kölner Freiwilligenagentur angesiedelt ist. Die Stadt beteiligt sich an den Personalkosten, auch Zitzmanns Stelle wird dadurch zum Teil finanziert. Laut Zitzmann will das Forum »eine Plattform bieten, dem Wunsch nach Vernetzung nachkommen und die Freiwilligen qualifizieren.« Jennifer Metzing und Werner Kämper hätten sich eher praktischere Hilfe gewünscht. »Uns fehlt ganz einfach eine Koordinationsstelle«,
sagt Kämper.
Weitere Infos über Willkommensinitiativen: wiku-koeln.de