Eine Wette auf die Zukunft
Es hieß, die Vorschläge sollten diskutiert werden. Doch das Ergebnis stand schon vorher fest. Der »Bürgerworkshop«, in dem die vier Varianten aus der »Machbarkeitsstudie zur Revitalisierung der Innenstadt Köln-Porz« vorgestellt wurden, war daher kaum mehr als eine Informationsveranstaltung. Die Stadtspitze wollte sich offenkundig ihre Entscheidung bloß noch mal bestätigen lassen: Das mitten im Porzer Zentrum seit fünfeinhalb Jahren leer stehende Hertie-Warenhaus wird abgerissen. Die Stadt hatte das Warenhaus vergangenes Jahr gekauft hat, weil sich kein Investor dafür fand. An seiner Stelle sollen nun zwei Neubauten errichtet werden. Zusätzlich wird auf dem davor gelegenen Friedrich-Ebert-Platz noch ein drittes Gebäude errichtet. Es soll möglichst viel Einzelhandelsfläche bereitgestellt werden. So empfiehlt es die Machbarkeitsstudie, die Bernd Streitberger als Geschäftsführer der städtischen Entwicklungsgesellschaft »Moderne Stadt« Anfang März präsentiert hatte. Im Juli will die Verwaltung bereits eine Beschlussvorlage für den Rat vorlegen. Es folgen eine vertiefte Bürgerbeteiligung, Architektenwettbewerbe — Detailarbeit. Grundlage aber ist die Gleichung, wonach Konsum zu Urbanität führe.
Am Abend des 26. März erläutert Streitberger im Bezirksrathaus Porz beim »Bürgerworkshop« noch mal die Studie. Baudezernent Franz-Josef Höing und Wirtschaftsdezernentin Ute Berg sitzen mit ihm auf dem Podium und loben die Untersuchung. Und bald sind die rund dreihundert Besucher im restlos gefüllten Großen Saal auf jene »Variante B1« eingeschworen, die Verwaltung und Politik umsetzen wollen. Das ist nicht schwer gewesen, denn das leere Warenhaus ist längst zum Symbol für den Niedergang von Porz geworden. Sein Abriss gilt den Bürgern allein schon als hinreichende Bedingung für einen zukünftigen Aufschwung in Porz.
Dass sich die Bürger schließlich um jenes Modell scharen, das von allen auf dem Podium zum einzig praktikablen erklärt wird, ist kaum verwunderlich: Es ist auch das Modell, das am aufwändigsten präsentiert wird. Das große Interesse am Modell wird als positives Abstimmungsergebnis gewertet. So lässt man sich bestätigen, dass am Ende eben drei Gebäude entstehen werden und folglich kein Platz für öffentlichen Raum bleibt, der nicht als Wegeführung zum nächsten Shopping-Erlebnis dient.
Maßgeblich an der Machbarkeitsstudie mitgewirkt hat Alwin Lindemann, der als Experte für Handelsimmobilien mit auf dem Podium sitzt. Viele Jahre hat Lindemann für mfi gearbeitet, ein Unternehmen, das wie sein ärgster Konkurrent ECE überall in Deutschland großflächige Shopping-Center in die Städte setzt. Lindemann selbst war unter anderem für die »Köln Arcaden« in Kalk verantwortlich. Als mfi dann noch auf dem Helios-Gelände in Ehrenfeld bauen wollte, stoppte eine Bürgerinitiative das Vorhaben. Shopping-Center, wie sie mfi und ECE konzipieren, stehen in der Kritik. Sie verschandeln die Städte mit überdimensionierter Billig-Architektur, und der Aufschwung, der den Geschäften in der Nachbarschaft versprochen wird, bleibt allzu oft aus oder hält nicht lange an. Beides sieht man etwa in Kalk, wo sich die Arcaden geradezu gegen das Viertel abriegeln. Ein städtebauliches Desaster.
Weil sich immer mehr Menschen gegen diesen geballten Kommerz-Grobianismus wehren und weil der Internethandel solche Handelsimmobilien unzeitgemäß erscheinen lässt, hat die Branche sich das Format »Stadt-Center« ausgedacht: der Idee nach ein über mehrere Gebäude fragmentiertes Shopping-Center, das Stadtstrukturen samt Gassen und Plätzen imitiert und in dessen Gebäuden auch Wohnungen untergebracht sind. In Los Angeles gibt es das, in Liverpool und anderen englischen Städten auch. Darin sind freilich die üblichen Sortimente untergebracht: Filialen der großen Elektronikmärkte, Textilunternehmen, Supermarktketten, Drogeriemärkte. Die Machbarkeitsstudie besagt nun, dass sich dieses neueste Shopping-Konzept in der Porzer Innenstadt verwirklichen lasse, vorausgesetzt, dass jenes Ausmaß an Verkaufsfläche bereitgestellt werden kann, das Handelsexperten als kritische Masse definieren.
Warum sollten Menschen aus Troisdorf oder Kalk in Porz einkaufen?
Porz müsse in Konkurrenz zu anderen Einkaufszielen treten, so Lindemann. Doch warum sollten Menschen aus Troisdorf oder Kalk in Porz einkaufen, wenn sie dort bloß das Sortiment der immer gleichen Filialisten geboten bekommen? Selbst die Porzer ins Zentrum zu locken, dürfte schwierig werden. Denn in den ehemaligen Stadtteilen von Porz gibt es ein halbes Dutzend voll ausgeprägter Stadtteilzentren, und am Autokino in Porz-Eil befindet sich seit Jahrzehnten ein großflächiger sogenannter Sonderstandort mit 13.000 Quadratmetern Einzelhandel.
Aber was kann die Kundschaft nach der Umgestaltung des Zentrums kaufen, das so attraktiv ist? Da muss Experte Lindemann eingestehen, dass niemand erwarten dürfe, dass dort alles geboten werde, was in Porz fehle: Schreibwaren und Schulbedarf, Feinkost- und Bioläden, Blumengeschäfte – das wünsche er sich auch, beteuert Lindemann. Aber dafür hätten die Filialisten keine »Konzepte«. Das jedoch steht im Widerspruch zu einem städtischen »Entwicklungskonzept Porz-Mitte«, dass der Rat der Stadt 2010 beschlossen hat. Darin werden gerade »Angebote des höherwertigen und spezialisierten Lebensmittel-Facheinzelhandels« sowie Schuhe, Lederwaren, Spielwaren, Hobbybedarf, Schmuck und Uhren gefordert. Aber das Entwicklungskonzept von 2010 wird an diesem Abend kein einziges Mal erwähnt.
Moderiert wird die Veranstaltung von Franz Pesch. Er ist Stadtplaner und auch Experte für »Stadt-Center«. Das merkt man. Als jemand Zweifel äußert, dass allein Einzelhandel Porz belebe und stattdessen behauptet, dass die Stadt »bloß eine Wette auf die Zukunft« biete, fällt Pesch ihm barsch ins Wort. Pesch ist nicht Anwalt des Publikums, sondern dient den Vertretern auf dem Podium als Stichwortgeber. »Kommen dann die Leute nach Porz zurück?«, fragt Pesch den Handelsexperten Lindemann. Und der antwortet: »Ja, Sie haben intuitiv schon die richtige Antwort gegeben.«
Man will sich den Optimismus nicht verleiden lassen. Aber das Publikum darf ergänzende Vorschläge machen. Hinter den vier Modellen im Großen Saal, um die sich Menschentrauben bilden, stehen Stellwände, auf die man Notizen heften kann. Hier tauchen Themen auf, die in der Machbarkeitsstudie nicht untersucht oder ausgeklammert wurden: die triste Fußgängerzone, der schlechte Zugang zur nahen Rheinuferpromenade und dass Fahrradwege fehlen.
Moderne Verkehrskonzepte finden hier keinen Platz. Die Hauptstraße, eine Barriere zwischen Friedrich-Ebert-Platz und Rheinufer, soll in Troglage belassen werden. Die viel befahrene Straße unterquert derart einen massiven Fußgängerüberweg, auf dem Pavillons seit Jahren leer stehen. »Die Nähe zum Rheinufer als Erholungsraum muss vom Geschäftszentrum her deutlich erkennbar sein«, heißt es dagegen im Entwicklungskonzept Porz-Mitte von 2010. Aber in der Machbarkeitsstudie soll bloß der massive Übergang durch eine »schlanke Brücke« ersetzt werden. Die Straße ebenerdig zu führen sei zu aufwändig, erklärt Streitberger und es dauere viel zu lange. Außerdem müsste dann der Eingang eines Hotelgebäudes verlegt werden.
Anderes wiederum kann offenbar möglich gemacht werden. Das katholische Gemeindezentrum Dechant-Scheben-Haus war einst an die Kirche St. Josef gebaut worden, was denkmalpflegerisch einem Verbrechen gleichkommt. Nun wird die Kirchengemeinde gedrängt, einem Abriss des Anbaus zuzustimmen und das neue Gemeindezentrum in einem der drei neuen Blöcke zu beziehen. Aber nicht baukulturelle Gründe sind ausschlaggebend — Hemmungen, einen der neuen Blöcke sehr nah an die Kirche zu bauen, hat man nämlich nicht. Der Grund für den Abriss ist, dass durch die Unterführung unter dem Gemeindezentrum ein »Angstraum« bestehe — und der könnte die in der Machbarkeitsstudie geplante Wegeführung blockieren, mit denen man die Menschen hier entlang der Einkaufsmöglichkeiten leiten will. Man muss sich den Menschen im neuen Porzer Zentrum in erster Linie als Kunden vorstellen.