Let me entertain you
Mit Pippa erschuf Schriftsteller Gerhardt Hauptmann eine Lolita-Figur, von dem die männlichen Protagonisten nicht die Finger lassen können, weil sie zu schön ist. Hauptmann schrieb es der 16-jährigen Schauspielerin Ida Orloff auf den Leib, in die er sich verliebt hatte. Das Stück funktioniert wie ein Märchen. In einer Pinte lässt Glasarbeiter Tagliazoni seine Tochter Pippa gegen ein paar Lira vortanzen, sobald dem schnöden Glas-hüttendirektor (Martin Reinke) danach ist. Mit seinem grazilen Tanz verzaubert das Mädchen die allabendliche Herrenrunde beim Kartenspiel. An diesem Abend ist in der Schenke, irgendwo im verschneiten Riesengebirge, der Teufel los. Tagliazoni wird erst als Falschspieler überführt, dann gelyncht. Der gefeuerte Glasbläser Huhn — Jakob Leo Stark animalisch wie ein Steinzeitmensch — nutzt die Gunst der Stunde. Er krallt sich Pippa und verschleppt sie in seine »Höhle«. Zur Hilfe kommt Handwerksbursche und Poet Michel, der sich in die Wirtschaft verirrt hat und, wie sollte es anders sein, der schönen Pippa ebenfall auf der Stelle verfallen ist.
Für Hauptmanns Glashüttenmärchen ließ Puppenspielregisseur Moritz Sostmann in die ab-rissbedrohte Halle Kalk ein Guckkastentheater mit rotem Vorhang und Laufsteg bauen. Das Publikum sitzt im Halbkreis an Bistrotischchen drumherum und darf trinken. In Sostmanns Inszenierungen gelingt die Symbiose zwischen Puppen und Puppenspielern perfekt. Magda Lena Schlott führt im Harlekinkostüm ihre Pippa, die Atif Hussein mit silbrig schimmerndem Gesicht gefertigt hat, präzise als Unschulds-engel durch die vier Akte. Ge-schwol-len umgarnt Yuri Englert sie als feingeistiger Michel, um sie zu seiner Prinzessin zu machen. Das ist sehr amüsant. Zum Schwadronieren steigt er manchmal auch ins Publikum: »Werden wir am Ende nicht alle verlieren?«
Doch zunächst befreit Michel Pippa aus Huhns Klauen. Sie flüchten zum alten Mystiker Wann, der oben von den Bergen alles durch sein goldenes Fernrohr beobachtet. Ein schöner Moment ist, wenn sich der bucklige, stumme Diener Wanns, gespielt von Johannes Benecke, ein Parfüm aus kleinen Glasfläschchen mit Gelächter und tosendem Applaus zusammenbraut. Die Szene führt aber zu nichts, ohnehin bleibt vieles effektvolle Geste. Der Text evoziert wenig. Wozu also dieses Stück? -Es bleibt ein eskapistischer Theaterabend. Erkenntnisse will Sostmann von Hauptmanns Liebesbeichte anscheinend auch nicht.
In den neunzig Minuten freut man sich dennoch über jeden seiner Regietricks.