»Die Schere geht immer weiter auf«

Was ist bloß aus dem guten, alten Friseursalon geworden? Damals ließ sich fast jeder in irgendeinem »Salon Gisela« die Haare schneiden. Heute heißen die Geschäfte Haar Alarm, Unisex oder Cutters.

Auch sonst hat sich Einiges geändert: mehr Musik, mehr Event, weniger zahlen.

Bernd Wilberg hat sich einen anständigen Haarschnitt verpassen lassen und mit Friseuren geplaudert

Der Andrang ist groß, der Raum ziemlich schmal. Man kommt kaum durch. House-Musik hämmert, und vor dem Eingang sitzen Anfang-20-Jährige auf dem Bordstein. Rauchen, reden, warten. Es ist Mittwochnachmittag, 16 Uhr. Der Friseurladen Unisex auf der Ehrenstraße brummt. »Luxus, Sex und ein geiler Haarschnitt« lautet das Motto der Kette, die sich vor allem für Letzteres zuständig fühlt und bundesweit mittlerweile 26 Läden betreibt. Die Geschäfte ähneln sich: wenige Quadratmeter in guter Lage, die gleichen Spiegel, die gleiche gelbe Wandfarbe, die gleiche aufgekratzte Stimmung. Vor zweieinhalb Jahren eröffnete das Geschäft auf der Ehrenstraße, bereits ein halbes Jahr vorher hatte auf der Apostelnstraße – bloß ein paar Meter weiter – die erste Kölner Filiale aufgemacht.

Mehr Betriebe, weniger Umsatz

Laut Handwerkskammertag gab es im letzten Jahres bundesweit zwei Prozent mehr Friseurgeschäfte als im Vorjahr: insgesamt 65.975 Betriebe. Doch der Umsatz ging um vier Prozent zurück, die Zahl der Beschäftigten um 4,5 Prozent. Wer heute ein Friseurgeschäft aufmacht, muss gucken, wie er die Kundschaft in den Laden lockt. Männer lassen sich durchschnittlich sieben Mal im Jahr die Haare schneiden, Frauen nur 5,5-mal. Bloß mit Waschen-Legen-Föhnen, Lesezirkel-Auslage und Filterkaffee wird das zusehends schwieriger. Schilder wie »Salon Gisela« schrecken jugendliches Publikum ab. Die Branche ist im Umbruch.
Bei Unisex fühlt man sich ohne Tätowierung und gefärbte Haare schnell falsch gekleidet, und Kundschaft und Personal sind nur schwer zu unterscheiden. Die Friseurinnen kichern, wenn man sie siezt. »Wir gehen besser runter, hier ist es ja ziemlich laut«, ruft Inhaber Roberto Galanti. Im Kellergeschoss ist es auch nicht leise. »Hier werden auch noch Spiegel und Plätze hinkommen«, kündigt Galanti an und lehnt sich zurück. Nein, über Andrang könne er nicht klagen. Galanti spricht schnell und präzise – wie jemand, der keine Zeit verlieren will. Mit 21 Jahren ist er Inhaber der zwei Innenstadt-Filialen und zudem »Deutschland-Unisex-Trainer«. »Jeder Friseur, der bei uns arbeitet, muss nach sechs Monaten alle Techniken können. Danach gibt es hier bei mir eine interne Prüfung. Nur wer besteht, kann weiter bei uns arbeiten.« Es gehe darum, schnell rationelle Schnitttechniken und vor allem Färben und Strähnenmachen zu lernen, denn »ein Super-Haarschnitt ohne Farben? Das passt nicht!« sagt Galanti. Die Konkurrenz der Billig-Friseure, die bei vielen traditionellen Friseursalons Nervosität verbreiten, fürchtet er nicht. »Es gibt Leute, die haben zehn Euro auf der Stirn kleben und sagen: Los, schneiden! Solche Kunden wollen wir nicht. Wir wollen Kunden, die Wert darauf legen, gut auszusehen, stylish zu sein.« Das einfache Schneiden kostet 19,99 Euro – sowohl für Männer als für Frauen. Doch »ohne zwei Farben geht hier eigentlich keiner raus«, sagt Galanti. Und das macht dann noch mal 19,99 Euro.

Die Einrichtung von IKEA

»Was Unisex macht, finde ich in Ordnung. Die haben ihr Publikum – vom Raver bis zum Mode-Punk«, sagt Hildegard Deniz. Ihr gehören die beiden »Cutters«-Läden am Barbarossaplatz und im Belgischen Viertel. Deniz ist Anfang letzten Jahres erfolgreich ins Niedrigpreis-Segment eingestiegen – die 1972 geborene Friseurmeisterin ist nicht beleidigt, wenn man ihr Konzept als »Friseur-Aldi« bezeichnet. Für 12 Euro bekommt man einen Haarschnitt. »Dafür kann ich natürlich nicht 50.000 Euro in die Einrichtung stecken. Ich habe einfach eine Ikea-Bude draus gemacht«, sagt Deniz. Der freundliche, aber unverkrampfte Umgang mit den Kunden sei wichtig: »Wenn ich zum Friseur gehe, brauche ich niemanden, der mir aus dem Mantel hilft und Champagner serviert.« Bis zu 150 Kunden nehmen täglich allein auf den neun Plätzen in die Maastrichter Straße Platz – im Durchschnitt für zehn bis zwanzig Minuten. Und das Cut-and-Go-Prinzip sichere sogar die Qualität. Denn weil ihre Angestellten so viel schneiden, bekämen sie auch schnell Routine, sagt Deniz.
Beide Cutters-Geschäfte haben werktags bis 22 Uhr geöffnet, samstags bis 18 Uhr. Dann wird schon mal der CD-Spieler lauter gedreht. Der Laden wird zum Treffpunkt. Eine studentische Clique sitzt auf der Fensterbank, summt zu Robbie Williams und guckt zu, wie einer Freundin die Haare gemacht werden: »Sieht super süß aus, super!« – »Ja, aber hinten was kürzer, oder?«

Geöffnet bis Mitternacht

Hat der traditionelle Salon ausgedient? Deniz sagt: »So wie sich die Gesellschaft in zwei Klassen teilen wird, teilt sich auch die Friseurbranche: Dann gibt es Wellness-Friseure mit Kosmetik im Hochpreis-Bereich und Läden, wo Farben im Mittelpunkt stehen. Und es gibt günstige, die einfach Haare schneiden. Die sollte man auch so nennen: Cutters eben.«
Die gesonderten Ladenschlusszeiten für Friseure – außer sonntags darf rund um die Uhr geöffnet sein – nutzt auch Andreas Hoffmann. Seine Neueröffnung im Kwartier Lateng heißt Haar Alarm, hat unter der Woche bis 23 Uhr und freitags und samstags sogar bis Mitternacht auf.
»Zweieinhalb Stunden hat das jetzt gedauert«, sagt Hoffmann etwas erschöpft: »Färben, Ausspülen, Glanzversiegelung, Schnitt, dreifarbige Strähnen...« Es ist Samstagabend. Die Kundin lächelt zufrieden, Hoffmann fläzt sich lässig auf einem der knallroten Sofas. Er sagt: »Wir arbeiten nicht am Fließband, wir machen das langsam und kontinuierlich und mit Qualität.« Plötzlich klingt der 21-Jährige wie ein alteingesessener Friseur. Doch aus den Boxen wummern fette House-Bässe. »Die Dame ist Stammkundin, Jahrgang 1950. Unser Publikum setzt sich aus allen Altersschichten zusammen.« Hoffmann springt kurz auf, um die Musik etwas leiser zu stellen. »Wir haben auch viele Leute über 60, die sagen: Das ist ein buntes Geschäft, die Produkte sind hervorragend, das gefällt mir.«

Friseurbesuch als Event

Das kleine, bunte Geschäft ist nicht nur in grellem Orange und Gelb gestrichen, es gibt auch eine Art Disco-Waschraum – ganz in Schwarz, mit Laserlicht, manchmal Nebel. »Ich habe viele Ideen«, sagt Hoffmann selbstbewusst. Zuweilen gibt es DJ-Sets oder im Sommer kostenlose Haarschnitte für Menschen, die in Strandgarderobe kommen. Der Friseurbesuch wird zum Event, ist Teil der Abendgestaltung. Auch Prominente zählt Hoffmann und sein Team aus fünf Mitarbeitern und zwei Auszubildenden zu seinen Kunden. »Natürlich bekommt man da einiges mit im Gespräch«, sagt Hoffmann. »Leider gibt es viele Friseure, die dann über die Gäste lästern. Das gibt es bei mir nicht. Ich hör mir auch alles an, beziehe ehrlich Stellung, aber wenn der Kunde durch die Tür ist, vergesse ich es wieder.«
Doch Tratsch und Klatsch gehört seit eh und je zum Friseur wie Schere und Spiegel. Nicht umsonst heißen die Geschäfte Salons. Oft wurden die mittelalterlichen Badehäuser, wo damals frisiert wurde, als konspirativer Treffpunkt angesehen. Auch ein Beispiel aus der Neuzeit ist bekannt: Vor einem Jahr hieß es, der Berliner Promi-Friseur Udo Walz habe 1970 der damaligen Journalistin und späteren RAF-Aktivistin Ulrike Meinhof zu einer blondierten Kurzhaartarnfrisur verholfen. »Übrigens entegegen seinem Expertenwissen, da er ihr zuerst von einer radikalen Blondierung abraten wollte, sie aber darauf bestanden habe«, wie die Wella AG auf ihrer Serviceseite www.friseurportal.de kolportiert.

Der singende Lockenwickler

Prominenten Besuch, wenngleich harmloseren, empfängt auch Hair Concept in Riehl. Doch wie man nun »Promi-Friseur« wird, kann auch Margret Breuer, seit 1996 Mitinhaberin, nicht erklären. Vielleicht, weil während des Besuchs kein Buhei gemacht wird. Es komme vielleicht mal vor, dass jemand rübergucke, wenn Ingolf Lück oder »Big Brother«-Jürgen kämen, sagt Breuer. »Aber das war’s auch schon. Und die Prominenten benehmen sich auch ganz normal.«
Auch der Laden wirkt ganz normal: helle Wände, Stahlregale, Laminat, leise Musik aus dem Radio, zur Lektüre Modemagazine. Hair Concept muss heute nicht mit Billigangeboten um Kundschaft buhlen. Der preiswerteste Damenschnitt kostet 30 €. Aufwändige Frisuren dauern bis zu einer Stunde, Herrenhaarschnitte etwa die Hälfte. »Vielleicht sind einige Kunden tatsächlich zu Billig-Friseuren gegangen, aber einige sind auch wieder zurückgekommen«, sagt Breuer vieldeutig. Eine ältere Dame unter der Trockenhaube liest die Boulevardpresse, trinkt den gratis gereichten Kaffee. Eine gute Frisur braucht ihre Zeit. Ein seltsamer Kontrast besteht zwischen Margret Breuers freundlich-diskreter Art und der trashigen Schaufenster-Dekoration mit den penibel platzierten Party-Resten samt Bierflaschen und dem Angebot »Anti-Kater-Kopfmassage«. Das liegt an »Tim Toupet, dem singenden Friseur«, er ist der andere Inhaber des Salons; seine CDs promotet er öfters mal auf Mallorca. Die Lieder heißen »Schnipp Schnapp – Haare ab!« oder sind Ballermann-Hymnen wie »Eine neue Leber ist wie ein neues Leben«. Wenn er nicht feiert, heißt der singende Friseur Tim Bibelhausen und gilt als kompetente Fachkraft. Margret Breuer findet »lustig, was der Tim immer für Ideen hat. Und die Kunden spricht das an, man bleibt auch im Gespräch.«

Die Innung folgt dem Trend

Hair Concept gehört zu den rund 450 Betrieben, die in der Kölner Friseur-Innung zusammengeschlossen sind. Sie wurde 1851 gegründet – und für entsprechend überkommen halten viele Betreiber der 350 Kölner Friseurläden außerhalb der Innung den Zusammenschluss. Um das Image zu modernisieren, läuft seit kurzem eine Werbekampagne mit Gratis-Postkarten. Darauf sieht man Models mit verunglückten Frisuren, die für einen Besuch der Innungsbetriebe werben, und im Internet wird jetzt ein »Salon-Finder« angeboten.
Obermeister der Innung ist seit 1993 Jahren Harald Esser. »Ich habe das Glück, füllige Haare zu haben«, sagt der 52-Jährige lachend. Mit seiner Frisur liegt er im Trend, denn »kurze Schnitte bei Herren sind etwas out. Man trägt die Haare wieder länger, über die Ohren, über den Nacken, über den Hemdkragen auch.« Seit 25 Jahren hat Esser einen Damen- und Herrensalon in Braunsfeld. Die Einrichtung ist dem klassischen Friseur-Interieur verpflichtet: Kachelboden, kaum bunte Akzente, alles wirkt ordentlich und aufgeräumt. Esser hat viele Stammkunden, 90 Prozent kommen mit Terrmin. Doch die Besuchshäufigkeit hat sich in den letzten fünfzehn Jahren halbiert, schätzt Esser.
Die Gründe? Esser erinnert sich: »Die heutigen Haarschnitte der Damen lassen sich auch relativ gut selbst pflegen. In den 60er und 70er Jahren war das anders. Da kamen die Damen alle vierzehn Tage zum Waschen und Legen.« Das Interesse an Farbe allerdings nimmt zu: »Bis Ende der 60er Jahre wurde Farbe ja nur zum Nachfärben weißer Haare benutzt. Das hat sich sehr geändert.« Wie sieht die Zukunft des Friseurhandwerks aus? »Die Schere geht immer weiter auf«, prognostiziert der Innungs-Chef. »Die Angebotspalette wird ausgedehnt: Kosmetik, Pediküre, Licht-Studios, Wellness, bis hin zu Boutiquebereichen.«

Zähne ziehen beim Friseur?

Wird also das Friseurhandwerk wieder erweitert, wie früher
in den Badeanstalten? Noch bis etwa 1500 besorgten Bader und Barbiere in den Badehäusern neben Friseurarbeiten auch Aderlässe, das Ziehen von Zähnen und andere Eingriffe, die so genannte »kleine Chirurgie«, sie galten als unehrenhafte Handwerker. Esser hat nichts dagegen, wenn Friseure heute wieder zusätzliche Dienstleistungen anbieten – es muss ja nicht gleich das Zähneziehen sein. In Essers Schaufenster bewirbt ein Schild den Damensalon mit »Wimpern färben, Augenbrauen färben, Wimperwelle«. Es gibt Kaffee aus einer modernen Maschine oder »abends auch mal ein Glas Rotwein für den Herrn«. Leise spielt Musik, manchmal stellt Esser sie ab. »Das mögen die Kunden auch mal, und ein Haarschnitt erfordert schließlich Konzentration.« Obermeister Esser ist versöhnlich, er kennt keine Häme für die neuen Friseure. »Der Verbraucher nimmt diese Ideen schließlich an.« Im Grunde aber haben alle das selbe Problem, sagt Esser zum Schluss: »Es tut nicht weh, wenn man eine Woche später als nötig zum Friseur geht.«