»Wie Michelin-Männchen verkleidet auf die Straße, nur damit die Autos weiter rasen können«
Herr Meschik, zahlreiche Aspekte wie Volksgesundheit, Verkehrssicherheit, Ressourcenschonung und der Klimawandel sprechen für eine Verkehrswende. Wie kann sie intelligent angegangen werden?
Der Radverkehr löst fast alle kommunalen Verkehrs-, Umwelt- und Gesundheitsprobleme und hilft auch noch Geld zu sparen. Es gibt Berechnungen, zum Beispiel der WHO, dass unter Einrechnung der Gesundheitskosten ein geradelter Kilometer die Volkswirtschaft mit bis zu 1,22 Euro unterstützt, ein Autokilometer mit über 0,60 Euro belastet. Wir leisten uns also einen absurden Luxus. Jeder Pkw in Deutschland verursacht etwa 2000 Euro externe Kosten, die auf die Gemeinschaft umgelegt werden. Da geht enorm viel Geld verloren.
Inwiefern können die Kommunen Geld sparen, wenn sie den Radverkehr stärken?
Das Gesundheitssystem wird dadurch viel billiger. Leute, die sich viel bewegen, etwa durch Radfahren, leben länger und sind weniger krank. Was das Gesundheitssystem auf Bundesebene spart, sollte den Kommunen, die Radverkehr stärken, zugutekommen. Auch die Verkehrssicherheit steigt durch mehr Radfahrer. Da gilt das Motto: »Safety in Numbers«. Außerdem würde laut einer WHO-Studie Radfahren auf Kopenhagener Niveau allein in europäischen Großstädten pro Jahr mindestens 76.000 Arbeitsplätze schaffen und 10.000 Menschenleben retten.
Köln gibt etwa drei Millionen jährlich für den Radverkehr aus. Wieviel Investitionen sollte eine Großstadt jährlich einplanen, um eine vernünftige Fahrrad-Infrastruktur zu bekommen?
Im nationalen Radverkehrsplan Deutschlands ist das festgehalten: Wenn Köln an der Spitze mitmischen möchte, bräuchte man 18 bis 20 Euro pro Einwohner und Jahr. Das sind Beträge, die wirklich etwas bewirken. Kopenhagen investiert in den Radverkehr nach eigenen Angaben ein Viertel der Ausgaben des gesamten Straßenverkehrs. Da wird wirklich geklotzt, nicht gekleckert.
Was haben denn Städte wie Kopenhagen oder auch Holland besser gemacht? Was müsste die Kölner Politik tun?
Holland hat eine lange Tradition im Radverkehr. Dort wurde früh erkannt, dass die Städte schlicht nicht für den Maßstab des Autos geeignet sind und das Auto dort eher als Gast geduldet wird. Gute Politik ist um das Wohlergehen der Menschen bemüht, schafft lebenswerte Städte. In Europa haben wir ein Nord-Süd und Ost-West-Gefälle. Holland und Dänemark sind sehr fortschrittlich im Radverkehr, Deutschland liegt in der Mitte. Im Süden, in Spanien, wird fast gar nicht radgefahren.
Wie sieht ein intelligentes Mobilitätskonzept für Großstädte wie Köln aus?
Nach meiner Ansicht wäre das eine Kombination aus Fuß- und Radverkehr, die bei größeren Distanzen mit öffentlichen Verkehrsmitteln ergänzt werden. Verkehrsplaner müssen sich darauf besinnen, dass die Aufgabe eines Verkehrssystems der Transport von Personen, Gütern und Nachrichten ist, nicht der von Autos. Personen in Städten mit Autos zu transportieren ist die teuerste, ressourcenverschwendendste und für die Stadt ungeeignetste Mobilitätsform.
Wie kann man auch mit begrenzten finanziellen Ressourcen den Umbau der Stadt vorantreiben — weg von der autogerechten und hin zur fahrrad- und fußgängerfreundlichen Stadt?
Eine der wichtigsten Radverkehrsförderungen ist flächendeckendes Tempo 30, das kostet fast gar nichts, nur die Beschilderung und die Kontrolle. Und wenn sie dann kontrollieren, dann nehmen die Kommunen sogar noch Geld ein. Viele, die nicht radfahren, argumentieren damit, dass sie sich vor dem Autoverkehr fürchten. Markierte Radfahrstreifen und Radfahren gegen die Einbahnstraßen kostet auch nur wenig. Außerdem ist es wichtig, zusammenhängende Netze zu schaffen. Um Unfälle zu vermeiden, sollten Radwege nur in einer Richtung befahren werden und an beiden Straßenseiten entlang führen.
In Deutschland wird immer mal wieder über die Helmpflicht diskutiert. Was halten Sie davon?
Es ist eine absurde Situation: Die Verursacher der Verkehrsunfallfolgen, die Autofahrer, die zu schnell unterwegs sind, werden in Deustchland und Österreich nicht in die nötige Verantwortung genommen. Stattdessen wird über eine Fahrrad-Helmpflicht debattiert. Bald sollen wir alle wie die Michelin-Männchen verkleidet auf die Straße gehen, nur damit die Autofahrer weiter rasen können. Generell geht es mir um Chancengleichheit: Autoverkehr muss stadtverträglich gemacht werden, nicht umgekehrt.
Was meinen Sie mit Chancengleichheit?
Da könnte man bei Kleinigkeiten anfangen. Häufig bekommen Autofahrer an der Kasse von Einkaufzentren oder großen Supermarktketten einen Parkschein umsonst abgestempelt, Radfahrer oder Fußgänger gehen leer aus. Wenn man das chancengleich angehen würde, müsste ich zwischen drei Varianten auswählen können: einem Fahrschein der öffentlichen Verkehrsmittel, einer Gutschrift von 2,50 Euro, wenn ich mit dem Rad gekommen bin oder eben dem Parkschein.
Viele Einzelhändler, auch in Köln, befürchten, dass mit weniger Parkplätzen die Kundschaft wegbleibt.
Glaubt denn jemand, dass Radfahrer weniger Lebensmittel benötigen als Autofahrer? Aus der holländischen Stadt Houten, die als sehr lebenswert gilt, weiß man, dass Radfahrer und Fußgänger vorwiegend lokal einkaufen und konsumieren. Die Radfahrer kaufen öfters pro Woche ein, geben aber mindestens genauso viel, zum Teil sogar mehr aus. Was will der Handel mehr? Außerdem belegen Statistiken: Jeder zweiter Radfahrer, der angehalten wird, hat eine akademische Ausbildung. Es sind also nicht die Armen, die radfahren.
Michael Meschik ist 54 Jahre alt und unterrichtet an der Universität für Bodenkultur in Wien u.a. Fuß- und Radverkehr sowie Umweltauswirkungen des Verkehrs Er forscht international in den Bereichen Mobilitätsverhalten, Mobilitätsmanagement, Nachhaltigkeit, Verkehrsberuhigung, Verkehrssicherheit mit einem Schwerpunkt im Fußgänger- und Radverkehr. Bei der Radkomm am 20. Juni bietet er den Workshop »Schlaue Kommunen setzen auf den Radverkehr« an
Die Bildergalerie oben zeigt, mit welchen guten Ideen andere Städte aufs Fahrrad setzen