Viel Lärm um Rodenkirchen
Event-Stadt Köln: Diesmal im Wahlprüfungsausschuss, der am 19. Mai im Kalk-Karree tagte. Das Verwaltungsgericht hatte im März die öffentliche Neuauszählung eines Rodenkirchener Briefwahl-Stimmbezirks angeordnet. Pressevertreter aus ganz Deutschland und die neuen Wut-Bürger sind da. Einer schreit »Auch wir sind das Volk!«, weil die Lautsprecheranlage zunächst zu leise eingestellt ist. Ein anderer raunt: »Typisch Köln...«
Bald steht fest: Bei der Kommunalwahl im Mai vergangenen Jahres waren die Stimmen für SPD und CDU im Stimmbezirk 20874 zum Nachteil der CDU vertauscht worden. Vermutet hatten das viele. Das Ergebnis wich stark von denen der gleichzeitig durchgeführten Europa- und Bezirksvertretungswahlen ab und auch vom Gesamttrend in Rodenkirchen, wo die CDU fast immer vorne lag.
Es waren bloß 122 Stimmen, doch die Korrektur entscheidet über die Sitzverteilung im Rat der Stadt. Die CDU erhält nun ein Mandat mehr, die SPD verliert eines — und damit ist die rot-grüne Mehrheit verloren. Allein, das hat kaum Folgen. Denn seit die statistischen Auffälligkeiten zum Streit geführt hatten, kündigte SPD-Fraktionschef Martin Börschel an, auf die fragwürdige Ratsmehrheit zu verzichten. Es gibt keinen Ratsbeschluss, der mit der Ein-Stimmen-Mehrheit gefasst worden ist.
Dass nun Jochen Ott, der SPD-Kandidat für die OB-Wahl im September, sein Ratsmandat verliert, löst beim politischen Gegner Schadenfreude aus. Stellungnahmen lehnt Ott mittlerweile ab. »Aus unserer Sicht ist dazu alles gesagt«, lässt sein Büro mitteilen. Häme schlägt der SPD außerdem entgegen, weil die entscheidenden Stellen, die am ursprünglichen Wahlergebnis festhielten — OB Jürgen Roters, Wahlleiter und Stadtdirektor Guido Kahlen, Regierungspräsidentin Gisela Walsken, NRW-Innenminister Ralf Jäger — allesamt SPD-Politiker sind. Dennoch war ihre Argumentation schlüssig.
Denn die bislang geltende Rechtsauffassung besagt, dass statistische Abweichungen nicht »substantiert« sind: Das heißt, nur weil ein Ergebnis auffallend vom Gesamttrend abweicht, liegt kein begründeter Verdacht vor, dass es sich um Zählfehler oder gar Betrug handeln könnte. Eine statistische Analyse der Grünen belegt, dass es zahlreiche größere Abweichungen als in Rodenkirchen gab, etwa im Stimmbezirk Nippes I, wo die SPD 14,5 Prozent einbüßte, während die CDU 12,4 Prozent gewann.
Der Gewinner der Neuauszählung ist daher nicht das konservative Lager,
sondern die Grünen
Jörg Frank, Fraktionschef der Grünen, forderte schließlich, sämtliche Stimmen der Wahl neu auszuzählen. Zurecht verwies er darauf, dass es bei jeder Wahl zu Abweichungen komme. Nur einen einzelnen Stimmbezirk zu kontrollieren, verfälsche das Gesamtergebnis noch mehr — Frank hatte die statistische Expertise auf seiner Seite, erntete aber nur Spott, weil sich die Kommentatoren von Kölner Stadt-Anzeiger und Express weigerten, mathematische Gesetzmäßigkeiten anzuerkennen. Die Grünen sprachen von einer Kampagne der Neven-DuMont-Presse.
Das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts wird womöglich weitreichende Folgen haben. Weniger für die Politik im Rat, als für künftige Wahlen. Schon bei der OB-Wahl im September könnte es wieder zu irgendwelchen Auffälligkeiten kommen. Muss dann neu ausgezählt werden? Wenn ja, ab welchem Ausmaß?
Im Rat der Stadt ändert sich für Rot-Grün eigentlich nichts: Sie brauchen nun nach wie vor einen politischen Partner. Dies könnte die Linke sein, die derzeit im Rat der SPD zuarbeitet, zugleich aber für ein breites »progressives Bündnis« mit SPD, Grünen sowie der Wählergruppe Deine Freunde und den Piraten wirbt. Nur falls sich die SPD auf eine Große Koalition einließe oder die Grünen mit CDU und FDP koalierten, käme die CDU zum Zuge.
Der Gewinner der Neuauszählung ist daher nicht das konservative Lager um CDU und FDP, die nur ein gutes Drittel der Ratssitze haben, sondern die Grünen. Sie waren zuerst gegen die Neuauszählung des Stimmbezirks in Rodenkirchen, dann für eine Neuauszählung im gesamten Stadtgebiet. Das Gericht hat ihnen in beiden Punkten widersprochen. Trotzdem sind die Grünen aufgrund der neuen Mehrheitsverhältnisse die entscheidende Kraft im Rat. Ohne sie geht nichts mehr. Die CDU darf sich trotzdem freuen: Sie erhält einen Dienstwagen. Den gibt es nämlich ab einer Fraktionsstärke von 25 Ratsmitgliedern.