Nerds im Dickicht der Zahlen
Es ist das Thema der Nerds in der Kommunalpolitik: Haushaltspolitik. Sie ist das wichtigste Politikfeld, denn ohne Geld geht nichts, gilt jedoch als Geheimwissenschaft. Einerseits. Andererseits haben viele im und außerhalb des Rathauses einfache Lösungen parat, wenn es um die städtischen Finanzen geht. Dann hört man »Keine Großprojekte, und Köln ist saniert!« oder »Je weniger Schulden, desto besser!« Aber wie so oft, ist es komplizierter.
Diejenige, die den Kölner Haushalt am besten kennt, ist Gabriele Klug. Sie ist seit 2010 Kämmerin in Köln, die erste mit Parteibuch der Grünen in einer Millionenstadt. Klug legt gegen Ende des Jahres den Haushaltsplanentwurf für das kommende Jahr vor. Zuvor hat sie mit OB Jürgen Roters (SPD) und den Dezernenten in der Verwaltung über deren Budgets verhandelt. Klug gibt die Leitlinien vor, setzt den Rahmen, aber die Ausgestaltung liegt bei der Politik. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe ist gerade im Rat der Stadt der Haushalt verabschiedet worden. In den Haushaltsverhandlungen haben sich SPD, CDU und Grüne auf Einsparungen und neue Einnahmequellen geeinigt, das ist viel Kleinarbeit. Würde alles zugelassen, was die Dezernate für nötig erachten, betrüge der städtische Fehlbetrag knapp 450 Mio. Euro. Durch Kürzungen musste dieser nun auf rund 280 Mio. Euro gesenkt werden. Dadurch liegt die sogenannte Entnahmequote aus der Allgemeinen Rücklage bei 4,78 Prozent. Das ist ohnehin knapp. Denn steigt der Wert in zwei aufeinanderfolgenden Jahren auf mehr als 5 Prozent, gerät die Stadt in ein Haushaltssicherungskonzept:
Die Auflagen der Bezirksregierung führten dann zu jenen drastischen Einsparungen, etwa im Sozialetat, die zuvor durch weniger Einsparungen verhindert werden sollten. Man fragt sich, wo OB Jürgen Roters (SPD) da »hervorragende Zukunftsperspektiven« entdeckt haben will.
Gabriele Klug gilt bundesweit als Expertin für Nachhaltigkeit in der Haushaltspolitik. Alle Zahlen im Haushalt sollen systematisch in Beziehung gesetzt werden. Dafür arbeitet Klug mit dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) und dem Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Universität Köln zusammen.
Im Landtag und im Bundestag sind die Analysen der Kämmerin gefragt.
In Köln gerät sie unter Druck
Konkret bedeutet dies, dass man etwa für den Straßenbau Kennziffern und Ziele für die kommenden Jahre formuliert und ständig prüft, ob und wie dies mit den bereitgestellten Mitteln erreicht wird. Vorbild ist das Management von Unternehmen — die jetzt vorgelegte Studie des Difu heißt entsprechend »Nachhaltige Finanzplanung im Konzern Stadt«. Im Landtag und im Bundestag sind die Ideen von Klug gefragt. In Köln hingegen vernimmt man sie kaum, hier gerät sie immer wieder unter Druck.
Kurz vor der Verabschiedung des Haushalts gab es wieder Aufregung. Der Stadtwerkekonzern erwirtschaftete 2014 einen Jahresüberschuss von 51,5 Mio. Euro. Allerdings hatte die Kämmerin mit 60 Mio. Euro gerechnet. Das fehlende Geld fließt nun doch in den Haushalt — indem 8,5 Mio. Euro aus dem Jahresüberschuss dieses Jahres, der ja erst noch erwirtschaftet werden muss, bereits vorab überwiesen werden. Dies zeigt, wie knapp der Haushalt kalkuliert ist, aber auch, wie abhängig die Kämmerin von den prognostizierten Zahlen ist, die sich von Quartal zu Quartal oft erheblich ändern.
Das führt zu einem anderen Problem. Die Kämmerei wartet die neuesten Schätzungen ab und legt daher den Haushaltsplanentwurf möglichst spät vor. Doch den Politikern, die ja letztlich die Vorschläge der Kämmerei korrigieren und dann beschließen, bleibt wenig Zeit, sich in die Zahlenwerke mit dem Umfang mehrerer Aktenordner einzuarbeiten. Und während sie dann streiten, wo gekürzt werden soll, ergeben sich häufig neue Zahlen. Für den aktuellen Haushalt lagen die Veränderungsnachweise erst im April vor, entsprechend hektisch verliefen die Haushaltsberatungen der Ratsfraktionen, um den Haushalt jetzt verabschieden zu können.
Aber auch Klugs großes Ziel, die »nachhaltige Finanzplanung«, scheint kein Konsens in Politik und Verwaltung zu sein. Ein erster Vorstoß von Klug scheiterte 2012 im Finanzausschuss, die Politik war skeptisch. Und oft sind es auch politische Entscheidungen für Großprojekte, die nicht sonderlich nachhaltig wirken. Wobei zu unterscheiden ist zwischen Groß- und Prestigeprojekten. Angesichts der Wohnungsnot sind neue Quartiere wie Mülheim-Süd, die Umgestaltung des Deutzer Hafens oder die Parkstadt Süd sinnvoll. Andere Projekte stehen aber zurecht im Verdacht, vor allem als Vermächtnis von OB Jürgen Roters (SPD) kurz vor Ende seiner Amtszeit zu dienen. Roters‘ Anstoß für eine Neue Historische Mitte am Dom, aber auch seine Pläne für neue Gewächshäuser in der Flora für gut neun Millionen Euro sind nicht zwingend notwendig, zumal die Erfahrung zeigt, dass die anvisierten Kosten in der Regel überschritten werden. Roters selbst spricht zwar von einer road map, nach der er und die Verwaltung handelten. Jörg Frank, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen und finanzpolitischer Sprecher, kann aber gerade diese road map nicht erkennen. Er fordert eine deutlichere Schwerpunktsetzung. Zwar hat der Stadtvorstand »11 Leitziele« entwickelt, aber ohne klarzumachen, wie viel Budget dann etwa für Bildung und Integration bereitgestellt werden soll.
Wie wichtig solche Schwerpunkte sind, sieht man an der kommunalen Infrastruktur — Straßen, Brücken, Kanäle, Rohrleitungen. Während Kürzungen im Kultur- und Sozial-Etat im Fokus der Öffentlichkeit stehen, verfällt die Infrastruktur schleichend und unbemerkt.
Teils hängt dies mit dem früheren System der Buchführung zusammen. Erst 2009 wurde die alte Kameralistik abgelöst, die bloß die Zahlungsströme dokumentierte, also Einnahmen und Ausgaben. Schwerpunkte in der Haushaltspolitik erkannte man damals nur daran, für welche Vorhaben viel Geld zur Verfügung gestellt wurde. Der Werteverzehr, zum Beispiel der Infrastruktur, wurde nicht dokumentiert, und nötige Investitionen immer wieder aufgeschoben. Deshalb sind heute viele städtische Gebäude in desolatem Zustand, etwa Schauspielhaus und Oper, die jetzt aufwändig saniert werden. Nachhaltigkeit und die alte Kameralistik — das passte nicht gut zusammen.
2009 wurde dann in ganz NRW auf das Neue Kommunale Finanzmanagement (NKF) umgestellt, das sich an die Doppik (Doppelte Buchführung in Konten) anlehnt. War die Kameralistik input-orientiert, soll das NKF ergebnisorientiert sein: Es verdeutlicht, mit welchen finanziellen Aufwendungen welche Ziele erreicht werden sollen. Dazu fasst der Ergebnisplan alle Unternehmungen, die einem bestimmten Zweck dienen, zu sogenannten Produkten zusammen: Der Haushalt wird transparenter und der tatsächliche Ressourcenverbrauch ersichtlich.
Und dennoch: mehr Spielraum gibt es auch im NKF nicht. Im Rat der Stadt kann lediglich über weniger als ein Zehntel der gesamten Finanzen frei entschieden werden: kulturelle und Freizeitangebote, zusätzliche soziale Maßnahmen wie Beratungsstellen, Jugendeinrichtungen oder Bürgerhäuser. Der größte Teil des Haushalts beinhaltet hingegen Leistungen, zu denen die Kommunen von Bund und Ländern verpflichtet worden sind. Das Prinzip der Konnexität lautet zwar, dass die Städte und Gemeinden auch die nötigen Mittel für diese Leistungen bekommen sollen. Doch die Kölner Stadtspitze sieht eine »Konnexitätslücke« von 80 Mio. Euro, hinzu kommen noch die Kosten der Unterkunft (KdU), die Menschen zusteht, die von Hartz IV leben müssen. Und dann ist da noch die Unterbringung von Flüchtlingen, die die Stadt weitgehend allein finanzieren muss. Das Land stellt etwa 145 Mio. Euro für ganz NRW zur Verfügung, Köln allein benötigt aber schon 80 Millionen.
Den größten Batzen im Haushalt aber macht das Personal der Stadtverwaltung aus. Rund 17.000 Mitarbeiter müssen bezahlt werden, und sie erhalten später Pensionen, die schon jetzt — im Sinne nachhaltiger Planung — berücksichtigt werden. Auch wenn Zweifel bestehen, ob die Verwaltung immer effizient arbeitet, wird doch neues Personal benötigt, etwa für Kitas oder Flüchtlingsbetreuung. Rund eine Milliarde Euro kostet das jährlich — so viel wie die Stadt durch die wichtigste Einnahmequelle erhält: die Gewerbesteuer. Die Linke will diese Einnahmen erhöhen und den sogenannten Hebesatz an den anderer Kommunen angleichen. Bis zu 30 Millionen Euro könnte das später bringen, sagt Fraktionschef Jörg Detjen. Die anderen Fraktionen fürchten aber, den Wirtschaftsstandort zu schwächen. Sie sparen stattdessen an vielen kleinen Stellen oder erhöhen Gebühren. Einig sind sich alle Parteien nur in einem Punkt: Um jemals zu einem ausgeglichenen Haushalt zu gelangen, benötigt man mehr Geld von Bund und Land.