Millionenstadt mit dörflichen Strukturen
Das Besondere an Musikfestivals ist vor allem die Atmosphäre — darüber sind sich Klaus Maack, Veranstalter des Summerjams, und Norbert Oberhaus, Geschäftsführer der c/o pop, einig. Beide Festivals gehören zum festen Repertoire des Kölner Kulturlebens. Während die c/o pop jährlich Popmusik auf die Bühnen der Stadt bringt, lockt das Summerjam tausende Reggaefans auf die Festivalinsel am Fühlinger See. Dem nomadischen Indoor-Event steht somit ein klassisches Outdoor-Festival gegenüber, doch für beide lässt sich die Frage nach der Integration in die urbane Szenerie stellen.
Klaus Maack meint: »Festivals sind eine Feierkultur. Sie sind quasi das letzte Relikt einer gewissen Freiheit, die im Geist von Woodstock zelebriert wird«. Vor dreißig Jahren wagte das Szene-Urgestein daher »ein Experiment«, das zu einem der größten Reggae-Festivals in Europa heranwuchs. In die Domstadt kam das Summerjam allerdings erst 1996, nachdem Maack erstmalig mit den Tücken einer zunehmend wachsenden Großveranstaltung konfrontiert wurde: Untaugliche Infrastrukturen durch überlastete Verkehrswege auf der Loreley und ein flairloses Militärgelände in Wegberg zwangen den Veranstalter zum Umzug. »Für ein Festival im urbanen Bereich ist die Umgebung natürlich entscheidend«, und diese sei für Maack mit dem Fühlinger See die »Initialzündung« gewesen, Köln als Veranstaltungsort zu wählen. Die Festivalinsel, umgegeben von weitreichenden Grünflächen und Gewässern, erzeuge ein spezielles Freiheitsempfinden, dem gegenüber das permanente »Gefühl des Eingesperrtseins« vieler Indoor-Veranstaltungen stehe.
Auch Norbert Oberhaus sieht dies ähnlich: »Das besondere Flair eines Konzerterlebnisses unter freiem Himmel ist mit keinem Indoor-Festival vergleichbar«. Bereits 2009 wurde von der c/o pop daher eine Open-Air-Bühne auf dem Offenbachplatz bespielt. Auch in diesem Jahr wird es mit Chic Belqique ein Freiluftprojekt geben. Bekannt ist das Festival allerdings für seine unkonventionelle Beschallung traditioneller Musikhäuser der Stadt mit aktuellem Pop. Ebenso habe sich das Festival zur Aufgabe gemacht, oftmals »vergessene Orte«, wie die ehemalige Bundesbahndirektion oder das Panoramahaus, durch Veranstaltungen zurück ins öffentliche Bewusstsein zu führen.
Zurückführen lässt sich die Agenda der c/o pop auf eine Krise der Kölner Musikszene im Jahre 2003. Damals wanderten zeitgleich die Popkomm, der Sender Viva und drei Jahre später die Musikzeitschrift Spex nach Berlin ab, die lokale Szene war erschüttert. Oberhaus ließ sich davon jedoch nicht beirren: »Meine Partner und mich hat es nie nach Berlin gezogen. Ich bin Kölner und ich wollte nicht mit ansehen, wie der Musikstandort in Schockstarre verfällt.« Für ihn sei die Krise eine Chance gewesen. In Kooperation mit lokalen Clubs, Labels und Musikern versuchte man ein neues Konzept zu entwickeln, das den damals weltweiten Ruf Kölns als heimliche Hauptstadt der elektronischen Musik wieder gerecht werden sollte. Dass die c/o pop zwölf Jahre später eines der etabliertesten Popfestivals der Republik ist, erklärt sich Oberhaus so: »Das alles ist natürlich einem dieser typischen Köln-Phänomene geschuldet: Man lebt in einer Millionenstadt mit dörflichen Strukturen — man kennt sich in der Szene, man arbeitet viel stärker miteinander als gegeneinander, kann Kooperationen eingehen und interessante Projekte anstoßen«.
Auch Klaus Maack führt zumindest einen Teilerfolg des Summerjams auf die Vorzüge der Stadt zurück: »Köln ist prädestiniert für dieses Festival, was einerseits an der geographisch-praktischen Lage, andererseits aber auch an der Grundstimmung der Stadt liegt. Denn Köln ist für mich eine sehr liberale und offene Stadt«. Dass ein Festival wie das Summerjam daher an jedem beliebigen Ort funktionieren würde, kann sich Maack, der bereits in vielen Großstädten Deutschlands als Veranstalter tätig war, kaum vorstellen: »Summerjam und Köln, das ist eine Verbindung, ein Begriff. Beides gehört in dieser Szene zusammen«.
Auch wenn die Zusammenarbeit der Festivals mit der Stadt inzwischen routiniert verläuft, treffen die Veranstalter auch auf Widerstände. So übte Anfang der Nuller Jahre ein mittlerweile pensionierter Polizeidirektor erheblichen Druck auf die Stadtverwaltung aus, das Summerjam komplett zu stoppen. Damals war der Konsum weicher Drogen angeblich auf dem Höhepunkt. Zusammen mit der Stadt entwickelte man daraufhin ein Verfahren, um durch größtmögliche Kontrollen das Festival nicht zu einem rechtsfreien Raum werden zu lassen. Weniger erfolgreich waren dagegen die Bestrebungen der c/o pop, dauerhaft Freiluftbühnen auf Flächen wie dem Grüngürtel zu bespielen. Alle Versuche seien an entsprechenden Genehmigungen gescheitert, berichtet Norbert Oberhaus.
Komplikationen stehen laut Maack vorrangig im Zusammenhang mit Anwohnern, es geht, wie fast immer, um die Ruhe. Ein Problem, das natürlich besonders Outdoor-Veranstaltungen betrifft. Selbst das vermeintlich ideal gelegene Summerjam am Fühlinger See habe bei ungünstigen Wetterverhältnissen bereits mit Klagen zu kämpfen gehabt. Auf Bestreben der Stadt führte man daher spezielle Lärmmessungen durch und installierte schließlich eine neue anwohnerfreundliche Musikanlage. Bereits wenige Beschwerden reichen aus, um eine Veranstaltung zu kippen. »Es gibt Menschen, die das eine Wochenende im Jahr gelassen sehen, und es gibt Leute, für die ist das Festival immer noch eine Unkultur«, so Maack.
In Zeiten des digitalen Wandels liegt die Gefahr für Festivals ironischerweise jedoch vor allem im Schwinden der Musikindustrie, von der sie sich als alternative Subkultur mit Live-Musik eigentlich gerne abgrenzen. Während Bands früher auf Tour gingen, um ein Produkt, sprich ihre Platten, zu bewerben, gibt es heute eine endlose Diskussion um den verlorenen Lohn durch Musikstreamings und Downloads. Auftritte und vor allem gut besuchte Festivals sind für die Künstler zur wichtigen, bisweilen wichtigsten Einnahmequelle geworden. Umgekehrt wird es für die Veranstalter immer schwieriger, ihr finanzielles Budget nicht zu sprengen: »Die Gagen sind im Gegensatz zu früher exorbitant gestiegen«, berichtet der Veranstalter des Summerjams.
Konsequenz dieses Dilemmas ist eine weitere Kommerzialisierung und Entwurzelung der Festivals. Die Veranstalter sehen sich gezwungen, ihr ursprünglich spartenspezifisches Programm für weitere Genres zu öffnen, um mit einer größtmöglichen Vielfalt entsprechende Besucherzahlen zu locken. »Wir waren eine Nische und diese Nische haben wir immer gut ausgefüllt. Heute ist das aber leider nicht mehr möglich«, erklärt Maack.
Obwohl beide Veranstalter betonen, dass die Genreöffnung auch einen kreativen Mehrwert intendiert, scheint der zunehmende Konkurrenzkampf um Gagenforderungen Festivals ohne finanzielle Kooperationspartner undenkbar zu machen. Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz setzte sich daher vor einigen Jahren persönlich im Kanzleramt für die Förderung des Reeperbahnfestivals ein. Ähnliches wünscht sich Norbert Oberhaus auch von der Stadt Köln: »Der Musik- und Festivalszene mangelt es teils an Unterstützung der Institutionen, teils an finanziellen Mitteln. Ein so reichhaltiges Angebot ist schwer herzustellen. Köln sollte sich noch stärker bewusst werden, welche nachhaltig positiven Effekte von der Popkultur ausgehen, und das nicht nur in kultureller, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Vom Imagegewinn ganz zu schweigen!« Keine Frage, im nationalen Vergleich besteht für ihn »noch Luft nach oben«.