»Wir bewegen uns auf ein neues feudales Zeitalter zu«
Kunst boomt. Und trotzdem ist ein Unbehagen an diesem Boom zu spüren, egal ob auf der Art Cologne oder in der Berichterstattung über die Biennale in Venedig. Das in Köln und Aachen gegründete »Institut für Betrachtung« spürt diesem Unbehagen nach. Zu welchen Ergebnissen es bisher gekommen ist, erklärt Mitbegründer Wolfgang Brauneis im Interview.
Was ist ein »Institut für Betrachtung« und was wird da betrachtet?
Wir betrachten den Zustand des Kunstsystems in seiner momentanen Übergangsphase. Gleichzeitig lässt uns das »Betrachten« die Freiheit, uns langfristig nicht ausschließlich mit »Kunst« beschäftigen zu müssen. Die eigentlich dafür zuständigen Institutionen verpassen es größtenteils, sich um diese Übergangsphase zu kümmern — sei es aus Angst, sei es aus Behäbigkeit. Wenn also an den Institutionen keine adäquate Institutsarbeit mehr geleistet werden kann, kann man auch sein eigenes »Institut« ins Leben rufen. Gegründet wurde das IFB von dem Bildenden Künstler Tim Berresheim und mir, aber das Projekt wird sich im Sinne einer Bewegung weiter verselbständigen.
Was kennzeichnet denn die Übergangsphase, von der Sie sprechen?
Kunst, die man an Akademien, in Galerien und Messen sieht, hat immer weniger mit der Gegenwart zu tun. Diese Entwicklung begann etwa Anfang der Nullerjahre mit dem Malerei-Hype. Ein anderes Merkmal ist der Zustand der Kunstkritik, die eine immer marginalere Rolle in der breiten Öffentlichkeit spielt. Zeitgenössische Kunst als Indikator für Gegenwart und als ein Ort, an dem sich eine diskursive, bürgerliche Öffentlichkeit entwickeln kann, ist faktisch verschwunden.
Aber der Kunstmarkt boomt, Ausstellungen und Kunstmessen sprechen von Besucherrekorden. Wieso sollte Kunst da weniger in der Öffentlichkeit präsent sein?
Markt und Diskurs haben sich auseinander dividiert, auch wenn das Verhältnis der beiden ein komplexes ist, wie man in der Berichterstattung letztens zur Biennale in Venedig lesen konnte. Die Abhängigkeit des Kuratoriums von Großgaleristen und -sammlern wird mittlerweile auch in der FAZ oder der Süddeutschen thematisiert. Aber andere Themen werden durchgewunken. Anfang des Jahres hat Gerhard Richter neue abstrakte Bilder präsentiert, denen Fotografien aus Auschwitz-Birkenau zugrunde liegen, und die Tragweite dessen wurde nirgendwo thematisiert. Das hätte Anfang der 90er Jahre noch anders ausgesehen.
Was will Ihr Institut dem entgegensetzen?
Unser Motto lautet ja »Es geht ums Ganze«. Es gilt nicht nur das einzelne Bild zu betrachten, sondern auch den Rahmen, die Wand und dessen Finanzierung. Aber der Slogan besagt gleichzeitig, dass die Idee einer bürgerlichen Öffentlichkeit, für die Bildende Kunst konstitutiv war, verschwindet. Wir bewegen uns längst auf ein neues feudales Zeitalter zu. Immer mehr Kunstwerke werden von potenten Privatsammlern als Spekulationsobjekte in Freihäfen gelagert. Am anderen Ende der durchökonomisierten Skala werden aber auch in proppevollen Blockbuster-Ausstellungen die einzelnen Werke quasi unsichtbar.
Welche Rolle spielt Theorie dabei?
Neue Theorieansätze werden ja vom Kunstsystem regelrecht aufgesogen. Dieser Theorie-Hype bleibt weitestgehend folgenlos. Auch die Großsammlerschaft weiß, dass es immer lukrativer wird, sich mit Theorieatmosphäre zu umgeben. Gleichzeitig ist es häufig ein Sprechen zu den Eingeweihten. Wenn zu einem Theorievortrag sechzig Leute kommen, dann sind davon fünfzig aus Eigeninteresse da, weil sie auf der Suche nach Lehraufträgen und Publikationsmöglichkeiten sind oder anderweitig netzwerken müssen.
Was können Sie denn als Zwei-Mann-Institut daran ändern?
Unser Energie- und Zeithaushalt ist natürlich begrenzt. Ohne andere Leute, allen voran Jochen Lauscher (c/o Aachen), aber auch Hans-Jürgen Hafner (Kunstverein Düsseldorf), wäre das nicht machbar. Wir haben auf unserer Website die Rubrik »Tribüne« eingeführt, um kommentierend auf relevante Texte hinzuweisen. Wichtig sind uns auch die Veranstaltungen vor Ort. Wir haben festgestellt, dass Veranstaltungen abseits der dafür prädestinierten, metropolitanen Institutionen eigentlich am besten funktionieren. Egal ob im SSK in Köln oder im Kunstverein Weiden in der Oberpfalz, wo wir zuletzt mit der Konzeptkünstlerin Jennifer Danler einen Abend zum »Ende der Provinz« organisiert haben. Es gibt da draußen tatsächlich ein großes Interesse an Kunst und den damit verbundenen gesellschaftlichen Fragen.
Welche Projekte stehen denn in naher Zukunft an?
Kunstgeschichtlich beschäftigen wir uns gerade intensiver mit Joseph Beuys im Kontext der BRD der 60er und 70er Jahre, zudem wollen wir uns verstärkt mit der Kunst des »Dritten Reichs« auseinandersetzen. Die Idee des »zweiten Blicks«, der sich mit institutionell marginalisierten Themen beschäftigt, umfasst also auch kunsthistorische Fragestellungen. Die nächste Veranstaltung im August ist ein weiterer Abend mit Jennifer Danler im Museum Mitterteich, im September feiern wir unser Einjähriges in der Galerie Studios New Amerika in Aachen, ab Oktober folgen einige Vortragsabende im dortigen Ludwig Forum. Man darf unsere Arbeit nicht mehr ortsgebunden denken. Es wäre das Langweiligste der Welt in einem angesagten Ausstellungsraum in Köln einmal pro Monat einen Vortragsabend zur kritischen Situation des Kunstbetriebs zu machen.
Informationen, Texte, Termine: Institutfuerbetrachtung.de
Wolfgang Brauneis (43) ist Kunsthistoriker, Gastprofessor an der Kunstakademie Münster und lebt als Mitbetreiber des Plattenladens a-musik in Köln