Ganz viele Ausrufezeichen
Die fünfte Kölner Montagsdemo gegen Hartz IV findet am 6. September bei allerbestem Wetter statt. Schon vor dem offiziellen Beginn um 18 Uhr versammeln sich Leute auf dem Roncalliplatz. Der Lautsprecherwagen wird vorbereitet, am Rand stehen ein paar Infostände, vor allem Mitglieder von Organisationen sind mit Fahnen und Transparenten erschienen.
Es gibt aber auch diese individuellen Papp-Sandwiches. »SPD. Sie plündern Deutschland. Weg damit!!!!!« hat sich einer vor den Bauch geschnallt. Die vielen Ausrufezeichen meint er ernst, das sieht man ihm an. Dieser Mann ist zornig. Die »Ökologische Linke«, die »Sozialistische Alternative« (SAV), die »Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba«, die PDS, die MLPD, eine »Initiative für natürliche Wirtschaftsordnung« und das Wahlbündnis »Gemeinsam gegen Sozialraub« verteilen Flugblätter.
297 Euro Miete
Jeden Montag hat die Demo einen anderen Schwerpunkt. Heute geht es um Wohnungen und die Ein-Euro-Jobs. Sozialdezernentin Marlies Bredehorst (Grüne) hat zugesagt, auf der Abschlusskundgebung Rede und Antwort zu stehen. Viele Arbeitslose haben Angst, sie müssten nächstes Jahr ihre Wohnungen verlassen. 297 Euro Miete übernimmt das Sozialamt für Singles, bei den Kölner Mietpreisen dürfte das selten reichen.
Die erste Rednerin sorgt mit der Nachricht, dass bundesweit 220 Montagsdemos für diesen Tag angemeldet sind, für gute Stimmung. »Gerhard, zieh’ dich warm an!« ruft sie dem Kanzler zu. Später betritt Ingrid die Bühne: »Es geht mir so beschissen, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben auf einer Demonstration bin.« Ihre Stimme bebt. Das kann die Aufregung sein, doch die zierliche Frau ist auch stinksauer. 52 Jahre ist sie alt, BWL hat sie studiert, 20 Jahre gearbeitet. »Meine Arbeitslosenhilfe war hoch, Hartz lässt mich abstürzen«, sagt sie.
Klaus der Geiger ist im Urlaub, sein Montagsdemo-Lied entfällt heute. Doch die Rapper von R&D United sind da, und auch sie wenden sich direkt an den Kanzler: »Schröder, was heißt denn Zwangsarbeit / Soziale Eiszeit / Kälte / Ungerechtigkeit /
Scharfe Sanktion’n / Das ist der blanke Hohn / Mit der Montagsdemo stoßen wir Dich vom Thron!«
Etwas revolutionärer Drive
Es sind viele Leute, die sich nach der Kundgebung als Demonstrationszug in Bewegung setzen. 1000 werden die Veranstalter zählen, die taz köln »knapp 800«, der Kölner Stadt-Anzeiger »über 700«. Es gab schon Streit wegen der Zahlen, vor allem der taz nahm man übel, dass sie einmal weniger TeilnehmerInnen zählte als die Polizei. Am Neumarkt windet sich der lockere Demonstrationszug in etwa um den halben Platz.
Teils von einem flüstertütenbewehrten Einheizer (Er: »Wer hat uns verraten?« – Alle: »Sozialdemokraten!«) in Stimmung gebracht, verleiht die SAV der Demonstration etwas revolutionären Drive: »Hartz IV stoppen wir«. Gut gelaunt nehmen drei Frauen, die sich für die gleiche rote Haartönung entschieden haben, die Parole auf. Betroffene. Unwillkürlich macht man diese Unterscheidung: Organisierte, Betroffene.
Am Alter Markt stellt sich Marlies Bredehorst auf die Bühne, um Fragen von Arbeitslosen und Thomas Münch vom Kölner Arbeitslosenzentrum (KALZ) zu beantworten. Vor allem will man von ihr eine Zusage, dass es in Köln nicht zu massenweisen Umzügen kommen wird. Nicht alle Demonstranten sind damit einverstanden. Ob es jetzt die SAV ist oder andere Mitglieder des Bündnisses gegen Sozialraub, Bredehorst soll von der Bühne gebrüllt werden. Immerhin gehöre sie einer Regierungspartei an, so das Argument. Andere wollen lieber wissen, ob sie im nächsten Jahr ihre Wohnung verlieren. Es wird etwas tumultig. Bredehorst beweist Nerven, bleibt auf der Bühne. Münch nimmt ihr das öffentliche Versprechen ab, dass es in Köln nicht zu massenweisen Umzügen komme.
Auseinandersetzung am »offenen Mikrofon«
Dicht vor der Bühne steht Herr Wasserschaff. »Ich bräuchte mich nicht aufzuregen, ich bin Rentner«, sagt er. Er regt sich aber doch auf: »Ich habe einen christlichen Hintergrund, ich habe mich nie um Politik gekümmert. Aber ich habe drei Enkel. Ich will nicht, dass sie in einer Welt der Ausbeutung und Sklaverei leben.«
Am traditionellen »offenen Mikrofon« kommt es wieder zu Auseinandersetzungen zwischen SAV-Mitgliedern und Münch. Er beschwert sich, weil ihm das Mikrofon aus der Hand gerissen wird, die SAV wird ihm später vorwerfen, die Demo »nach Gutsherrenart« zu betreiben.
Werden die Montagsdemos etwas bewirken? Roswita Otto, eine der drei rothaarigen Freundinnen, sagt: »Wenn man weitermacht, kann man was ändern.« Man müsse halt auch bei Regen demonstrieren. Zumindest die drei sind sich einig.