Feindliche Übernahme

Die »Unabhängige Patientenberatung Deutschland« soll von einem Call-Center übernommen werden, das für Pharmafirmen arbeitet

 

Wer bei seiner Krankenkasse anruft, landet in einem von drei Fällen in Duisburg. Nämlich am Hörer eines Mitarbeiters der Call-Center-Agentur Sanvartis. Das Unternehmen des früheren AOK-Bezirksgeschäftsführers Linus Drop bietet Krankenkassen und Pharmafirmen die Auslagerung ihrer Kundenhotlines an: Zu Sanvartis wird automatisch jeder weitergeleitet, der beim Direktanschluss gerade nicht durchkommt.

 

Ab Januar 2016 sollen hier auch die rund 80.000 Anrufe eingehen, die die »Unabhängige Patientenberatung Deutschland« (UPD) jährlich empfängt. Das hat der GKV-Spitzenverband, die Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, am 10. Juli im Anschluss an eine EU-weite Ausschreibung entschieden. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), hat bereits die notwendige Zustimmung gegeben.

 

Für die 21 regionalen Beratungsstellen der UPD bedeutet dies das Aus — ebenso wie für die Unabhängigkeit des Angebotes selbst, meinen Kritiker. »Ein Unternehmen, das für Krankenkassen und Pharmafirmen arbeitet, kann keine unabhängige Patientenberatung leisten«, sagt Gregor Bornes, Geschäftsführer des Gesundheitsladens Köln e.V. Er betreut eine der regionalen Beratungsstellen der UPD, seit deren Gründung im Jahr 2006. Rund 4000 Anrufe nehmen die Mitarbeiter hier jährlich entgegen, beantworten vor Ort Fragen zu Krankengeld, Therapien und Patientenrechten. Die Neutralität dieser Beratung ist gesetzlich festgeschrieben: Verbrauchern und Patienten sollen Informationen bereitgestellt werden, die frei von Interessen der Krankenkassen, Ärzte und pharmazeutischen Industrie sind.

 

Denn dass niemand die Hand beißt, die einen füttert — das wissen die meisten, und so hat man bislang immer gut daran getan, die UPD weitgehend von den Einflüssen der Krankenkassen fernzuhalten. Mehr noch: Den Kassenverbänden ist es gesetzlich untersagt, auf den Inhalt oder Umfang der Beratung einzuwirken. Dass die UPD auf diese Weise häufig unbequeme Wahrheiten ans Licht befördern konnte, dürfte die Krankenkassen nicht gerade gefreut haben. Erst im Juni dieses Jahres hatte die UPD bewirkt, dass die Krankenkassen eine großzügigere Regelung zur Weiterzahlung von Krankengeld anwenden. 

 

Dass nun Sanvartis die Beratung übernehmen soll, wiegt vor diesem Hintergrund schwer. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, behauptete sogar, der GKV würde eine »anerkannte und den Krankenkassen mitunter unbequeme Patientenberatung zu einem willfährigen Dienstleister auf der Lohnliste der Krankenkassen« umfunktionieren.

 

Auch der Wissenschaftliche Beirat der UPD, der das Ausschreibungsverfahren an der Seite des Patientenbeauftragten begleitet hat, ist entsetzt: »Substantielle Kritikpunkte, die zwingend den Ausschluss des Bewerbers zur Folge gehabt hätten, wurden ignoriert.« Für die drei Beiratsmitglieder gipfelt der Streit nun im »offensichtlich gewordenen Ziel, die unabhängige und neutrale Patientenberatung in ein kassennahes Call-Center umzuwandeln«.

 

Zu diesen Vorwürfen beziehen weder der Patientenbeauftragte Laumann noch der Sanvartis-Geschäftsführer Stellung. Sie berufen sich auf die zehntägige Übergangszeit, in der sich das Verfahren noch bis zum 20. Juli befand — und in der gegen die Entscheidung Einspruch erhoben werden konnte. Dieser Grund ist nun hinfällig: Wenige Tage nach der öffentlichen Bekanntgabe reichte der bisherige Betreiberverbund Klage ein. Nun soll die Vergabekammer des Bundes prüfen, ob Sanvartis als rechtmäßiger Betreiber der UPD anerkannt wird.

 

Für Gregor Bornes und den Kölner Gesundheitsladen ist dies ein wichtiger Schritt, um die Existenz der Beratungsstelle zu sichern: »Es muss einfach klappen. Für uns stehen die Arbeitsplätze von sechs Mitarbeitern auf dem Spiel.« Unterstützung finden Bornes und seine Mitstreiter auch auf Seiten der Politik. Es werde Zeit für eine Gesetzesänderung, die die Vergabe den Händen der Krankenkassen entzieht, sagt Kathrin Vogler, Sprecherin für Patientenrechte in der Linksfraktion im Bundestag. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, bezeichnete es als »Zynismus«, dass ausgerechnet der Patientenbeauftragte der Bundesregierung sich die Vergabe der UPD an ein privatwirtschaftliches Unternehmen gefallen lasse.

 

»Vielleicht ist das auch ein ganz und gar kapitalistisches Problem«, sagt Gregor Bornes ernüchtert: Seit zwanzig Jahren hat er sich als Gesundheitsberater für den Aufbau der UPD eingesetzt. Jahrelang hatten er und seine Mitarbeiter sich mit geringen Fördermitteln über Wasser gehalten. Jetzt, wo die Gelder fließen — im Juni 2014 wurden sie von 5,2 auf 9 Millionen ab 2016 erhöht — soll das Projekt in die Privatwirtschaft übergehen.