Hutträger gesucht
Um zu verkünden, was alle im Saal schon wussten, traten Baudezernent Franz-Josef Höing und Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach am 23. Juli vor die Presse: Die Wiedereröffnung des Opernquartiers am 7. November 2015 muss verschoben werden. Das habe eine Prüfung des Projektsteuerers Turadj Zarinfar ergeben. Dann folgte ein Lehrstück in schlechter Kommunikation: Opernintendantin Birgit Meyer und Schauspielchef Stefan Bachmann erklärten routiniert ihre Enttäuschung, deren Ausmaß nur ihre Körpersprache verriet. Meyer hatte zu diesem Zeitpunkt keine Spielstätte mehr, denn Palladium und Musical Dome standen nicht mehr zur Verfügung. Baudezernent Höing, der die Oberaufsicht über die Gebäudewirtschaft innehat, die für die Bauabwicklung zuständig ist, überließ die Erklärungen deren Leiterin Petra Rinnenburger. Die aber blieb eine Erklärung der Pro-bleme bei der Opernsanierung schuldig. Den nachfragenden Journalisten sagt sie, dass die Warnsignale doch schon in den Berichten für die Ausschüsse zu vernehmen gewesen seien. Man hätte ja nur mal hinsehen müssen, so Rinnenburger.
Die Journalisten aber wollten wissen, wer den die Person sei, die für die Verzögerung verantwortlich sei. Und Kulturdezernentin Laugwitz-Aulbach sagt schließlich jenen Satz, der sie seitdem verfolgt: »Ich trage hier nicht den Oberverantwortungshut.«
Seitdem suchen alle nach dem Träger jenes Oberverantwortungshutes. Irgendeiner muss ja schließlich schuld sein. Die Grünen machten eine »Kultur der Verantwortungslosigkeit« aus. Und SPD-Chef und OB-Kandidat Jochen Ott forderte, dass zumindest zukünftig »einer den Hut aufhaben« müsse. Seine Partei nahm Ott aus der Schusslinie. Schließlich habe die SPD für einen Neubau des Schauspielhauses gestimmt. Die Verzögerung ergab sich zwar durch die Sanierung der Oper, aber im OB-Wahlkampf war das wohl egal.
SPD-Fraktionschef Martin Börschel forderte Anfang August im Hauptausschuss zwar »politische Verantwortung« ein. Zugleich erklärte er aber, dass damit nicht zwangsläufig ein Rücktritt verbunden sein müsse. Und kurz darauf sprachen dann auch Laugwitz-Aulbach, Höing und OB Jürgen Roters (SPD) im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger, dass sie alle gemeinsam die Verantwortung für die Verzögerung trügen. Es gab offenbar ganz viele Oberverantwortungshutträger.
Im Bühnenausschuss forderte gut eine Woche später Thor Zimmermann (Deine Freunde), dass zumindest die Mitglieder des Stadtrates die Verantwortung übernehmen sollten — schließlich sei die Sanierung der Oper dort mehrheitlich beschlossen worden. Sebastian Tautkus (Linke) hatte vorher noch mehr Verantwortliche gefunden: der Souverän — »wir alle« — sei verantwortlich. Tautkus ließ unklar, ob er damit nur alle Kommunalpolitiker oder alle Kölner meinte. Kurz: Erst war keiner verantwortlich, und dann waren auf einmal alle Träger des Oberverantwortungshuts.
Die Sanierung von Oper und Schauspiel stand von Anfang an unter dem Druck, billiger sein zu müssen als der teilweise Neubau des Ensembles
Es dürfte tatsächlich schwierig herauszufinden sein, wer die Schuld für Bauverzögerung und die späten Informationen der Ratsmitglieder trägt. Schließlich hatte der Rat der Stadt erst im Juni zu-gestimmt, das Staatenhaus in Deutz, das jetzt wahrscheinlich als Ausweichquartier für die Oper dienen wird, zu verkaufen. Nun muss es die Stadt zurückmieten. Brigitta von Bülow (Grüne) und Ralph Elster (CDU) machten die Verwaltung nach Studium der Akten auf Ungereimtheiten in den Berichten aufmerksam. Baudezernent Höing reagierte darauf im Hauptausschuss mit einem 11-Punkte-Plan. Der sieht unter anderem die »Ermittlung der aktuellen Kostensituation« und die »detaillierte Aufarbeitung aller Planungs- und Qualitätsaufgaben für einen geordneten Bauablauf« vor. Andreas Henseler (Freie Wähler) bezeichnete dies eine Woche später im Bühnenausschuss als »das, was man eh tun muss«. Henseler machte anschließend die Gebäudewirtschaft für die Verzögerung verantwortlich. Indirekte Zustimmung erhielt er dabei von Turadj Zarinfar, der im April die Projektsteuerung übernommen hat und zuvor als Subunternehmer des alten Projektsteuerers DU Diederichs tätig war. Er habe viele Dinge übernommen, die nicht zu den Aufgaben eines Projektsteuerers gehörten, erklärte der Diplom-Ingenieur. Terminpläne etwa müsse die Bauleitung aufstellen, so Zarinfar. Das ist die Gebäudewirtschaft.
Unter welchen Umständen Zarinfar die Projektsteuerung übernahm, ist bislang nicht bekannt. Die Stadt hat mit DU Diederich Stillschweigen vereinbart. Auch, welche Firmen für welchen Teil der Baustelle zuständig sind, dringt nicht nach außen. In der Regel sehen die Verträge mit den Firmen das so vor. Lediglich bei der problematischen Sprinkleranlage ist bekannt, dass sie von der mittlerweile insolventen Firma Imtech gebaut werden sollte.
Alles »typisch Köln«? Verzögerungen und Kostensteigerungen bei großen Bauprojekten sind typisch — aber nicht nur für Köln. Die Sanierungen der Staatsoper Unter den Linden in Berlin und des Düsseldorfer Schauspielhauses sind ähnlich komplex. In Berlin ist das Budget längst überschritten, in Düsseldorf ist der Zeitplan ähnlich knapp kalkuliert wie in Köln, und es wäre außergewöhnlich, bliebe man dort im Budgetrahmen.
Warum Großprojekte teurer werden als geplant, hat mehrfach der in Oxford forschende Geograf Bent Flyvbjerg untersucht. Demnach lässt sich dies nicht nur mit Fehlern bei der Kostenberechnung erklären. Auch nicht damit, dass in der Euphorie über den Bau die Probleme verdrängt würden. Meistens, so Flyvbjerg, beruhten die Kostensteigerungen auf bewussten Täuschungen. Zum einen komme es häufig vor, dass Baufirmen ihre Kosten absichtlich zu niedrig ansetzten, um den Zuschlag für den Bau zu erhalten. Zum anderen begrüßten Politiker niedrige Kostenberechnungen, weil sich Projekte damit besser rechtfertigen lassen.
Auch beim Kölner Opernquartier dürften beide Faktoren eine Rolle spielen: Die Sanierung von Oper und Schauspiel stand von Anfang an unter dem Druck, billiger sein zu müssen als der teilweise Neubau des Ensembles. Schließlich waren die im Vergleich zum Neubau niedrigeren Kosten damals ein wichtiges Argument der Bürgerinitiative »Mut zur Kultur«. In den vergangenen Ausschussitzungen ist zudem immer wieder von Nachforderungen der Baufirmen die Rede, teilweise sogar von der Drohung, Personal abzuziehen, wenn die Forderungen nicht erfüllt würden. Offenbar haben sich alle Beteiligten nur zu gern verkalkuliert.
Um so etwas zu vermeiden, schlägt der Geograf Flyvbjerg vor, Erfahrungen mit ähnlichen Bauprojekten zukünftig in der Kalkulation zu berücksichtigen. Die Erfahrungen in Köln könnten dann etwa in die zukünftige Sanierung der Oper in Stuttgart einfließen, wäh rend die Kölner ihrerseits die Erfahrungen aus der Sanierung der Oper in Düsseldorf und der Essener Philharmonie hätten berücksichtigen können. Weil sich viele Probleme auf den Baustellen wiederholen, könnte dadurch eine realistischere Kostenschätzung möglich sein.
Am 28. August steht die gescheiterte Wiedereröffnung der Oper erneut auf der Tagesordnung — diesmal im Kulturausschuss. Die Suche nach dem Träger des Oberverantwortungshutes wird in die nächste Runde gehen. Vielleicht sehen die Ausschussmitglieder aber auch nach vorn. Bald steht der Bau des jüdischen Museums und die Umgestaltung der südlichen Domumgebung an.