Der morbide Charme der Gummiwaren-Fabrik
»Manchmal denkt man, man steht in einer Kathedrale«, sagt Thomas Baumgärtel. Der Künstler, bekannt als Kölner Bananensprayer, gerät ins Schwärmen, wenn er von den alten Industriehallen auf dem Clouth-Gelände in Nippes erzählt. »Bis zu 8000 Quadratmeter Fläche, 15 Meter hohe Decken, Backsteinarchitektur – im Ruhrgebiet würde so etwas komplett unter Denkmalschutz gestellt und sensibel saniert.«
In Köln ist das nicht so. Letztes Jahr hat die Stadt zwar das 26 Fußballfelder große Areal zwischen Niehler Straße, Xantener Straße und Johannes-Giesberts-Park von der Continental AG gekauft. Geplant ist nun aber eine Wohnbebauung auf 75 Prozent der Fläche. 120 Apartments und Wohnungen sollen entstehen. Baumgärtel, einer der 60 KünstlerInnen auf dem Gelände, bangt um Ateliers und Architektur: »In Köln vergeht einem als Künstler langsam der Spaß. Ich überlege mir schon manchmal, ob ich nicht besser nach Berlin gehen sollte.«
120 Jahre hinterlassen ihre Spur
Man muss sich beim Pförtnerhäuschen von »Tor IV« an der Xantener Straße schriftlich anmelden, um Baumgärtel und die anderen Künstler von Halle 35 zu besuchen. »Immer geradeaus, zweite rechts, ist ein Stück zu gehen«, sagt der Pförtner. Auf der Rückseite des Formulars ist ein Karte abgedruckt, fast ein Stadtplan – damit man sich nicht verläuft. Das ganze Ensemble besitzt den morbiden Charme einer untergegangenen Ära. Vor 120 Jahren begann hier der industrielle Aufschwung des Kölner Nordens: Die Gummiwaren-Fabrik Franz Clouth fertigte vor allem für den Maschinenbau. Aber auch Zeppeline wurden hier gebaut. Heute sind 40 meist kleine Gewerbebetriebe ansässig – mit zusammen rund 500 Arbeitsplätzen.
Seit 1996 haben auch die Künstler hier ihre Räume. Das Atelier von Frauke Wilken misst fast 120 Quadratmeter, für Renovierung und Ausbau war sie wie die anderen selbst zuständig. Sie zahlt nur rund 360 Euro im Monat. Doch den »Clouth Atelier Projekten« (CAP) droht das gleiche Schicksal wie den Künstlern auf dem Braunsfelder Sidol-Gelände und dem Areal des ehemaligen DB-Ausbesserungswerks in Nippes: Sie müssen raus. »Aber für doppelt soviel Miete Ersatz in Dünnwald oder Porz zu bekommen, das macht keinen Sinn«, sagt Wilken. »Und das kann sich auch kaum jemand hier leisten«. Ende 2005 laufen die Verträge aus.
Fabrik bald ohne Fassade?
Bereits im April war für das Areal samt angrenzendem Park ein städtebaulicher Realisierungswettbewerb ausgelobt worden. Der Johannes-Giesberts-Park bleibt unangetastet, von der historischen Industriearchitektur aber wird kaum etwas übrig bleiben. Der Siegerentwurf des Büros Meurer aus Frankfurt am Main, in schönstem Jury-Deutsch als »abwechslungsreicher neuer Wohnstadtteil von hoher atmosphärischer Qualität« gelobt, sieht sogar einen Durchbruch der denkmalgeschützten Fabrikfassade entlang der Niehler Straße vor, zur besseren Anbindung des Geländes. Der zweite Preis ging an das Dortmunder Büro Scheuvens + Wachten, der Entwurf baut mehr auf den vorhandenen Strukturen auf; hier ist immerhin vorgesehen, dass eine der Hallen erhalten bleibt.
Doch keiner der insgesamt drei Preisträger-Entwürfe und vier Ankäufe kann so umgesetzt werden, wie er präsentiert wurde. »Wir brauchen einen Partner, der Geld mitbringt für die tatsächliche Entwicklung des Areals«, erklärt der Kölner Baudezernent Bernd Streitberger (CDU). »Das ist keine einfache Aufgabe. Und natürlich hat jeder, den man sich ins Boot holt, eigene Vorstellungen.« Damit der Investor aber nicht – wie etwa auf dem CFK-Gelände in Kalk – etwas völlig anderes durchsetzt, soll der Preisträger, für den man sich schließlich entscheidet, den Prozess begleiten, um die Grund-Idee zu bewahren.
»Es können nicht alle Wünsche erfüllt werden«
Anfang November werden Politik und Verwaltung in einer »vorgezogenen Bürgerbeteiligung« die prämierten Entwürfe vorstellen und diskutieren. »Es können nicht alle Wünsche erfüllt werden«, gibt Streitberger zu bedenken. »Hier eine qualitätvolle Wohnbebauung zu entwickeln, die den Stadtteil stärkt, ist eine große Chance für die Stadtentwicklung«. Streitberger gibt sich zuversichtlich, »für die Künstler andere gut geeignete Unterkünfte finden zu können.« Auch die Schadstoffbelastung des Geländes spricht gegen den Erhalt der Ateliergemeinschaft. Das Stadtplanungsamt teilte bereits mit, dass das »gesamte Areal belastet« sei und »die Belastung der Gebäude besonders hoch anzunehmen ist«. Daher werde »die Freiräumung des Geländes« erwogen.
Thomas Baumgärtel befürchtet nun, »dass wir Ende 2005 rausgeschmissen werden, alles dem Erdboden gleichgemacht wird und sich dann kein Investor findet.« Gut möglich, dass die gesprayten Bananen demnächst aus Berlin kommen.
Termin
Die Bürgeranhörung zur weiteren Planung des Clouth-Geländes
findet statt am 2.11., 19 Uhr,
Aula der Gemeinschaftshauptschule,
Brehmstr. 2, Köln-Riehl