Auf Bitten eines einzelnen Herrn
In jedem architektonischen Großprojekt schlummert eine absolutistische Geste: Der Herrscher schenkt dem Volk ein Bauwerk– und setzt sich ein Denkmal. Französische Präsidenten tun es, Oberbürgermeister auch. Kölns OB Jürgen Roters (SPD) hat die Dramaturgie bis zum letztmöglichen Termin ausgereizt. Im März 2014 zauberte er beim Herrenessen der Freunde des Kölnischen Stadtmuseums (KSM) den Museumbau »Historische Mitte« aus dem Hut. Einen Steinwurf vom Dom sollen das KSM, das Kurienhaus des Domkapitels, und die Verwaltung des Römisch-Germanischen Museums (RGM) gemeinsam unter ein neues Dach schlüpfen.
Roters gelang ein Coup, mit dem er alle Parteien überraschte — sogar seine eigene. RGM-Verwaltung und KSM mögen Sanierungsnotfälle sein, doch die kritiklose Beflissenheit, mit der die Idee abgenickt wurde, erstaunt. Die imperiale Geste des OB scheuchte die Verwaltung derart auf, dass bereits von Oktober bis Dezember 2014 ein Werkstattverfahren mit 13 Architekturbüros stattfand. »Der Ort verträgt etwas«, fasst Baudezernent Höing das Ergebnis zusammen. Es wurden zehn Vorgaben aus den Entwürfen abgeleitet: von der Offenhaltung des Roncalliplatzes im Süden über die Höhenentwicklung der Gebäude bis zur Gestaltung einer »neuen Hafenstraße«. Derzeit wird der Beschluss für den neuen Mammutbau durch die Ausschüsse gepeitscht.
Ende Oktober, unmittelbar vor dem Ende von Roters‘ Amtszeit, sollen sowohl der Architekturwettbewerb für die »Historische Mitte« wie die Sanierung des RGM im Rat abgesegnet werden. Dabei gibt es noch kein statisches Gutachten für das Areal, unter dem immerhin die U-Bahn verkehrt. Und die kalkulierten Neubau-Kosten von 79 Millionen Euro beruhen, wie es in der Ratsvorlage heißt, auf einer »sehr ungenauen Basis«. Birgit Gordes (CDU), Vorsitzende des Ausschusses für Stadtentwicklung, äußert Zweifel an der Kalkulation des Büros Zarinfar, das derzeit auch die Projektleitung bei der Sanierung der Bühnen inne hat. »Ich möchte mit realistischen Zahlen arbeiten«, fordert Gordes. Sie befürchtet, die Kosten seien zu niedrig angesetzt, um Politiker und Bürger von dem Projekt zu überzeugen. Dieses Verfahren ist in Köln Standard. Die Politik hat bei der Sanierung der Bühnen, beim Neubau des Stadtarchivs oder beim Jüdischen Museum vorläufige Kalkulationen akzeptiert, erlitt angesichts der realen Kosten einen Schock und zwang dann die Architekten, ihre Entwürfe zu stutzen. Wenn Baudezernent Höing betont, dass doch erst 2017 mit der Kalkulation des fertigen Architekturentwurfs die Entscheidung über den Baubeschluss für die »Historische Mitte« falle, ist das verwaltungstechnisch richtig — aber nur die halbe Wahrheit: Bereits jetzt hat die Stadt einen Erbpachtvertrag mit der Kirche geschlossen; der Wettbewerb und die Entwurfsplanung werden 1,5 Mio. Euro kosten, und es sollen sofort fünf neue Stellen beim Amt für Gebäudewirtschaft allein für den Neubau eingerichtet werden. Wie könnte die Politik dann noch die Reißleine ziehen?
Birgit Gordes, der Idee grundsätzlich aufgeschlossen, fordert deshalb nicht nur eine realistische Kalkulation der Kosten oder Veränderungen im Amt für Gebäudewirtschaft und bei der Vergabepraxis der Stadt, sondern auch eine »Bürgerbefragung« zu dem neuen Projekt. Gute Idee, Umsetzung aber unwahrscheinlich.
»Das Projekt markiert den Endpunkt touristischer
Durchkommerzialisierung«
Man kann die Verbindung von RGM und KSM durchaus begründen: Die ersten tausend Jahre Stadtgeschichte treffen auf die zweiten. Doch aus stadtentwicklungspolitischer Sicht reicht das nicht. Mit der zunehmenden Museumsdichte um Dom und Rathaus geht Köln weit hinter die grandiose Idee von Hermann Josef Stübben zurück. Im Zuge der Stadterweiterung hatte der Stadtbaumeister 1880 den Ring als Prachtstraße mit repräsentativen öffentlichen Bauten nach Wiener Vorbild geplant. Das Opernhaus am Rudolfplatz, Kunstgewerbe- und Schnütgen-Museum am Hansaplatz, Rautenstrauch-Joest-Museum am Ubierring. Von diesen Bauten steht heute keiner mehr an seinem alten Platz. Die Museen wurden sukzessive in die Altstadt zurückverlagert.
Zwar geht die Idee, die Museen zu konzentrieren, ebenfalls aufs 19. Jahrhundert zurück und knüpft an die Vorstellung des Universalmuseums an, in dem alles mit allem zusammenhängt, wie Andrea Prehn vom Institut für Museumsforschung in Berlin erläutert. Heute dagegen sei eine solche Strategie vor allem unter Gesichtspunkten des Marketings zu sehen: kurze Wege, Lenkung der Besucherströme, Verkürzung der Verweildauer. Auf der Berliner Museumsinsel wird an Highlight-Routen mit unterirdischen Schnellverbindungen gearbeitet. Was die Museumsdichte für die völlig überlastete Kölner Altstadt bedeutet, will man sich nicht vorstellen. Der Verweis auf eine »Via culturalis« vom Dom bis zu St. Maria im Kapitol ist bloß Bildungslametta, das die hard facts des Tourismus verkleiden soll. Die Zahl der Touristen in Köln steigt. Doch: »Die Aufenthaltsdauer verkürzt sich«, sagt Claudia Neumann von KölnTourismus, sowohl bei Fernreisenden, Städtereisen als auch bei den beliebter werdenden Flusskreuzfahrten. Durchschnittlich bleiben Gäste 1,7 Tage in der Stadt. Die Verdichtung touristischer Erlebnisräume ist da quasi Pflicht. Die »Historische Mitte« markiert so — zusammen mit dem Jüdischen Museum und dem Erweiterungsbau des Wallraf-Richartz-Museums — den stadtplanerischen Endpunkt einer touristischen Durchkommerzialisierung des Museumsbetriebes. Auch damit kann man sich als OB ein Denkmal setzen.