Das nächste Level
In Videospielen ist Jalique Ehrbar am liebsten eine Magierin. Innerhalb von Sekunden tötet sie ihre Gegner mit Feuerbällen und Frostbissen, je mehr Schadenspunkte, desto besser. Die Leidenschaft für Tod und Zerstörung sieht man der 22-jährigen Kölnerin mit dem schüchternen Blick nicht an, zumindest nicht jenseits der Spielekonsole. Hellbraune Haarsträhnen fallen ihr über die Schultern, in regelmäßigen Abständen schiebt sie ihren Pony mit glitzernd-lackierten Fingernägeln zur Seite. Jalique Ehrbar entspricht nicht dem Klischee einer Computerspielerin. Statt dessen zeigt sich daran, dass heute, wo rund 25 Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig Computer- und Videospiele nutzen, Pauschalisierungen überholt sind.
Am SAE Institut in Köln lernt die junge Gamerin mit dreißig weiteren Studentinnen und Studenten, wie Computerspiele animiert werden. Rund 19.000 Euro kostet hier ein Bachelor-Abschluss im Bereich »Games Art and 3D Animation«. Jalique Ehrbar hat trotzdem nicht lange gezögert. »Ich habe schon als Kind davon geträumt, einen eigenen Charakter zu entwickeln, den ich später im Spiel sehen kann«, erzählt sie. Die Begeisterung für Videospiele begann bei ihr mit »Crash Bandicoot«, einem der ersten 3D-Jump’n’Run-Spiele der 90erJahre, bei dem der gleichnamige Beuteldachs einen violetten Kristall einsammeln und verteidigen muss: »Als ich acht Jahre alt war, hat meine Mutter eine Playstation gekauft«, erzählt Ehrbar. »Wir haben an den Wochenenden die Nächte durchgezockt.«
Einem Großteil ihrer Mitstreiterinnen — mit 11 Millionen Frauen ist heute knapp die Hälfte der Gaming-Szene weiblich — waren Jalique Ehrbar und ihre Mutter damit um Jahre voraus. Erst in den Nullerjahren gelang Videospielen mit dem handlichen Nintendo DS und der Bewegungskonsole Wii der Durchbruch bei den Frauen. Obwohl Nintendo-Firmenchef Satoru Iwata die Markteinführung der Wii als ähnliche Herausforderung bezeichnete, »wie den Versuch, Kosmetik an Männer zu verkaufen.«
Heute, mehr als ein Jahrzehnt später, feilt die Kölner Studentin an ihrer Karriere als Games-Designerin. Ihrem Ziel, im Beruf Spiele mit Regeln und Charakteren zu designen, ist sie in den vergangenen Monaten einen großen Schritt näher gekommen. Ehrbars Interaktionsgame »Louie Cooks« wurde als bestes Nachwuchskonzept mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet. Es verbinde, so die Jury, moderne Technologie mit einer liebevoll gestalteten Spielwelt. Der kleine Kater Louie will auf einer einsamen Insel in der Südsee Marmelade kochen, doch eine Bande niedlicher, aber frecher Tiere hat es auf die Zutaten abgesehen. Um in der Gaming-Welt von »Louie Cooks« zu landen, setzen sich die Spieler ein Oculus Rift auf, eine 3D-Brille, die einen virtuellen Raum zeigt. Diese Technik ermöglicht es, die kleinen Gegner durch harmlose Aktionen wie Kopfschütteln, Anstarren oder Pfeifen zu verjagen.
»Meine Mutter und ich haben an den Wochenenden
die Nächte durchgezockt«
Nach dem Erfolg ihrer ersten Produktion plant Jalique Ehrbar nun, als selbständige Games-Designerin in der Spiele-Industrie Fuß zu fassen. Dass sie damit in eine noch immer von Männern dominierte Branche eintritt — in deutschen Entwicklerbüros arbeiten gerade einmal 15 Prozent Frauen —, kümmert sie wenig: »Ich habe noch nie negative Erfahrungen als weibliche Spiele-Entwicklerin gemacht«, sagt sie. »Im Gegenteil. Einmal kam sogar eine Besucherin auf mich zu, nur um mir zu sagen, wie begeistert sie ist, dass ich als Frau in dieser Branche arbeiten will.«
Warum wollen das eigentlich nicht mehr Frauen? Diese Frage des Games-Designers Luke Crane löste im November 2012 einen Shitstorm auf der Microblogging-Plattform Twitter aus. Unter dem Hashtag »#1reasonwhy« berichteten Hunderte Frauen aus Spiele-Industrie und Gaming-Journalismus von Sexismus in ihrem Arbeitsumfeld. »Weil ich auf Messen immer für eine Hostesse gehalten werde«, schrieb eine Spielentwicklerin aus Seattle. Und eine andere meinte, in Anspielung auf die Darstellung von Frauen in vielen Spielen: »Weil ich niemals im Bikini in den Krieg ziehen würde.«
Jalique Ehrbar stört es nicht, wenn ein weiblicher Charakter in sexy Posen durch eine Spielwelt springt. Sie fühlt sich nicht diskriminiert von den Frauenbildern in Computerspielen, wie sie die kanadische Journalistin Anita Sarkeesian in ihrer YouTube-Serie kritisch analysiert. »Der weibliche Körper kann ja auch sehr schön sein«, sagt Ehrbar. »Warum sollte man ihn verstecken?«