Wirtschaftlich nicht verwertbar
Mit Megaphon und Transparenten stehen Aktivisten Anfang Oktober vor dem Haus am Kartäuserwall 14 — genauer: vor dem, was davon noch übrig geblieben ist. Bauarbeiter haben im Dauerregen bereits das halbe Dach abgetragen. »Das war alles Heuchelei«, sagt einer der Demonstranten. Damit meint er das Verhalten des Hauseigentümers. Bis zum 3. September hatte darin Familie Montag gewohnt. Nach 27 Jahren musste sie ihre Mietwohnung verlassen, weil sie einer »angemessenen wirtschaftlichen Verwendung« im Wege stand.
Die Eigentümerin, eine Arnsberger Immobilienfirma, wollte das ihrer Ansicht nach marode Haus abreißen und stattdessen schicke »Town Houses« bauen lassen. Daraufhin besetzte eine Gruppe von Aktivisten einen Monat lang das Haus in der Südstadt, um den Abriss zu verhindern. Das Gutachten eines Kölner Architekten bestätigte ihnen, dass die Bausubstanz in Ordnung sei, und der Eigentümer zeigte sich ihnen gegenüber gesprächsbereit. »Bis zum Mittwoch vor der Räumung standen wir mit ihm im Kontakt. An dem Tag wurden wir sogar dazu aufgefordert, uns eine Summe für ein Kaufangebot zu überlegen«, so ein Besetzer.
Doch am 1. Oktober ging alles ganz schnell: Um 11 Uhr war das Haus komplett geräumt. Friedlich, zumindest was den Umgang mit Menschen angeht. Das Haus dagegen, so die Aktivisten, wurde »im Auftrag des Besitzers demoliert«, um es unbewohnbar zu machen. Eine Woche nach der Räumung klebte ein roter Zettel an dem Haus: Auf dieser Baustelle dürfen keine Bauarbeiten durchgeführt werden, stand dort, versiegelt von der Stadt Köln. »Gegen die Abbruchgenehmigung wurde formell verstoßen«, sagt eine Sprecherin der Stadt. Durch die Arbeiten war das Haus aber bereits unbewohnbar, der Eigentümer hatte Fakten geschaffen. Abriss und Neubau scheinen nun unausweichlich.
Einen Tag vor der Räumung am Kartäuserwalls musste auch eine zehnköpfige WG, die 26 Jahre lang an der Rolshover Straße 98 in Humboldt-Gremberg gelebt hatte, ihr Haus verlassen. Grund: Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung. Prompt zogen die Besetzer aus der Südstadt nach Humboldt-Gremberg, doch dort blieben ihnen bis zur Räumung nur ein paar Stunden.
Die beiden Fälle zeigen, dass eine Kündigung aus Eigenbedarf längst nicht mehr das einzige ist, was Mieter fürchten müssen. Kündigungen wegen »Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung« treffen besonders die, die seit Jahrzehnten in der selben Wohnung leben. Zwar sei dieser Kündigungsgrund in Köln noch relativ selten, sagt Jürgen Becher vom Kölner Mieterverein. Wenn der Fall aber eintrete, »sollte man die Kündigung prüfen lassen und gegen sie angehen. Es muss dann geklärt werden, worin die angebliche Hinderung besteht.« Rechtens sei es, wenn nötige Arbeiten am Haus nur umsetzbar sind, wenn es nicht bewohnt ist. Ein Recht darauf, nach der Sanierung wieder in die alten Wohnung zu ziehen, haben Mieter nicht.
Auch Gabriele Müller (Name geändert) muss Ende des Jahres aus ihrer Wohnung in Mülheim ausziehen, weil das Haus zur angemessenen wirtschaftlichen Verwertung einer energetischen Sanierung bedürfe. Wie am Kartäuserwall und an der Rolshover Straße kam die Kündigung, nachdem das Haus an einen neuen Eigentümer verkauft worden war. Gabriele Müller hat nun »schreckliche Angst« davor, ihre Wohnung nach fast 30 Jahren verlassen zu müssen. Sie glaubt nicht, eine ähnlich günstige Wohnung finden zu können. Bisher zahlt sie weniger als zehn Euro Warmmiete pro Quadratmeter. »Die Wohnung ist seit 30 Jahren ein Teil von mir. Das ist doch eine Amputation«, sagt sie. Sie arbeitet an einem Brief an den Vermieter und tauscht sich mit den anderen Mietern des Hauses aus, die ebenfalls ausziehen müssen. Große Hoffnungen macht sie sich nicht.