Zone der Erinnerung
Dass Wong Kar-wais neuester Film wieder von seinen Lieblingsthemen handelt, vom Verstreichen der Zeit, von Erinnerung und Vergessen – darauf weist bereits der Titel hin: Die Jahreszahl »2046« bezeichnet das Ende jener Zeitspanne, für die Hongkong die Beibehaltung des Status Quo von der Volksrepublik China zugesichert wurde. »2046« heißt in einer Nebenhandlung des Films aber auch eine mysteriöse Zone, in der offenbar die Zeit still steht, weshalb es ein Ort ist, an den Menschen reisen, um verlorene Erinnerungen wiederzuerlangen.
Diese virtuelle Stadt der Zukunft, zusammengesetzt aus Computergrafiken und getaucht in Pastelltöne und Neonlicht, ist in einigen wenigen, dialogfreien Szenen zu sehen, die alleine von Wongs ursprünglicher Idee für den Film übrig geblieben sind. Damit spiegelt »2046« auch in einem anderem Sinne das Verstreichen der Zeit: Denn in asiatischen Medien wurde zuletzt gespottet, dass »2046« wohl erst im Titeljahr fertig würde. Bereits 1999 hatten die Dreharbeiten zu dem Film begonnen, der Wongs Beitrag zum Science-Fiction-Genre werden sollte. Als das Werk dieses Jahr dann endlich in Cannes Premiere haben sollte, wurde sein Vorführtermin noch einmal um einen Tag verschoben, weil Wong bis zur letzten Minute am Schnitt arbeitete. Und danach wurde wieder Monate lang nachgedreht, umgeschnitten, an Effekten gebastelt.
Der größte Teil des Films, der jetzt in die Kinos kommt, knüpft in Stil und Erzählton an Wongs letztes Werk »In the Mood for Love« an. Im Hongkong der späten 60er Jahre hat sich die Hauptfigur (erneut Tony Leung) in einem kleinen Hotel einquartiert, mit dessen Zimmer Nr. 2046 ihn eine romantische Erinnerung verbindet. Während er sich mit dem Verfassen von Schundromanen über Wasser hält, hat er mit einer Prostituierten, die vorübergehend jenes Hotelzimmer bewohnt, eine unterkühlte Affäre. Gleichzeitig hängt er den Erinnerungen an verflossene Liebschaften nach, was wohl auch der Auslöser dafür ist, dass er in einem Roman jene mysteriöse Zukunftszone 2046 erfindet.
Wie diese einzelnen Erzählebenen, in denen Zhang Ziyi, Faye Wong, Gong Li, Takuya Kimura und Maggie Cheung auftreten, miteinander verbunden sind, ist indes unmöglich nachzuerzählen. Wong muss sich bei der jahrelangen Arbeit an dem Film manchmal wie sein Protagonist gefühlt haben, als der ein Manuskript beendet und dabei grippeumnebelt vergisst, dass er einzelne Romanfiguren bereits hatte sterben lassen. Ähnlich geht es nach dem Film auch den Zuschauern: Zwar bleiben einige der gewohnt exquisiten Bilder im Gedächtnis. Doch die Handlung verschwindet hinter einem Schleier sanften Vergessens, den wohl nur ein Besuch in 2046 lüften könnte.
2046 (dto) HK/F/D/VRC 04, R: Wong Kar-wai,
D: Tony Leung Chiu-wai, Gong Li, Takuya Kimura, 127 Min. Start: 13.1.