Ejjelilepke. Elet. Epület. Ejszaka. Evforduló. En.
Am Anfang war das Wort und am Anfang des Alphabets steht das A. So weit so einfach, jedenfalls in den europäischen Sprachen. Andererseits: »Dann gibt es noch Fußnoten, die verbergen sich hinter dem Zug hier: ›Der erste Buchstabe des kroatischen Alphabets ist A, der erste Buchstabe des serbischen Alphabets ist A, der erste Buchstabe des bosnischen Alphabets ist A. A ist nicht gleich A.‹ So hat der Krieg angefangen.«
Der Ungar Peter Zilahy ist gerade 35 geworden und verfügt über viele Talente. In der Ukraine wurde sein Buch »Die letzte Fenstergiraffe« zum Buch des Jahres gewählt und neben der ukrainischen und der deutschen Ausgabe, die gerade beim Eichborn-Verlag erschienen ist, liegen Übersetzungen in 14 weiteren Sprachen vor. Doch Peter Zilahy ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Performer, Multimediakünstler und Fotograf. Darum blättert er beim Interview nicht durch sein Buch, sondern führt die phantastische CD-ROM-zum-Buch vor. Auch das Buch selbst ist kein gewöhnliches Buch. »Zuerst kam die Idee, ein Buch mit Bildern zu machen. Die Multimedia-Sache mit den Animationen und Sounds ergab sich daraus wie von selbst. Aber zunächst wollte ich ein Bilderbuch machen, nicht einfach ein Buch, sondern ein Lexikon mit Bildern. Es gibt vor, Dinge zu erklären. Die Bilder illustrieren den Text nicht, sie ergänzen ihn.«
Z wie die ungarische Giraffe
Die Inspiration für sein ungewöhnliches Buch verdankt Zilahy einem Bildlexikon, mit dessen Hilfe ungarische Kinder lernen, wie die Welt mit den Wörtern zusammenhängt. Wie es der Zufall bzw. die ungarische Sprache will, heißt »Fenster« auf Ungarisch »Ablak« und steht darum am Anfang des Wörterbuchs. Die Giraffe wiederum schreibt man auf Ungarisch mit Z. »Von-Fenster-bis-Giraffe« ist daher das ungarische Äquivalent des ostdeutschen Kinderbuchklassikers »Von Anton-bis-Zylinder«.
Bevor man richtig angefangen hat, in Zilahys Wörterbuch zu lesen, hat man schon gelernt, dass mit dem gemeinsamen A die Parallelen zum deutschen Alphabet fast ausgeschöpft sind. Das Ungarische verfügt über weit mehr als die läppischen 26 Buchstaben des Deutschen, nämlich über volle 44. Darunter sind allein vier Os und mit dem Q ein Buchstabe, der aus unerfindlichen Gründen in keinem einzigen ungarischen Wort vorkommt. Jedes Kapitel von Zilahys Wörterbuch beginnt mit einer kurzen Liste wunderbarer ungarischer Wörter, fein säuberlich nach Alphabet geordnet und eins wie das andere ebenso schön anzusehen wie zu hören (Keine Ungarn in der Bekanntschaft, die vorlesen können? Dann wird es aber Zeit!):
Éjjelilepke. Élet. Épület. Éjszaka. Évforduló. Én.
(Nachtfalter. Leben. Gebäude. Nacht. Jahrestag. Ich.)
Lobogó. Lányok. Lábak. Legszebb. Lehallgatnak. Lerobbanuk.
Lábjegyzet.
(Flagge. Mädchen. Beine. Die Schönste. Ich werde abgehört. Wir haben eine Panne. Fußnote.)
»Die letzte Fenstergiraffe« ist ein überaus spielerisches und leichtes Buch. Das macht Spaß und ist kein Zufall. Im Gegenteil. Kindliche Neugier und unbändige Assoziationsfreude sind Zilahys Methoden bei der Auseinandersetzung mit einem Thema, das auf den ersten Blick nach einer guten Portion deutscher Gründlichkeit und anständiger Seriosität verlangt hätte. Im Untertitel heißt Zilahys Buch »Ein Revolutionsalphabet«, und der Ausgangspunkt sind die Belgrader Studentenproteste gegen Slobodan Milosevic im Winter 1996/97. Zilahy war in Belgrad dabei, genau wie zuvor in Rumänien, Polen, Prag und Berlin. »Ich wollte sehen, wie die Leute ihre Regimes loswerden. Dazu diese Illusion der Freiheit, die Euphorie. Und alle denken, ihr Leben wird sich innerhalb einer Minute radikal verändern. Das war eine ganz besondere Atmosphäre, die ich miterleben wollte.«
Revolution im Kinderbuchformat
In vielen kleinen Miniaturszenen lässt Zilahy die Atmosphäre jener Wochen und Monate aufleben. Jeder, der das liest und nicht dabei war, begreift, dass er etwas Großes verpasst hat. »Ich habe den Leuten in Belgrad gesagt, dass sie nichts verändern werden, dass es Kunst um der Kunst willen ist. Und dass genau das das Größte ist und dass man versuchen muss, das Beste daraus zu machen. Nach ein paar Monaten waren sie sehr enttäuscht, weil sie nichts erreichten, aber ich denke, dass sie etwas Fantastisches gemacht haben. Es ging nicht darum, einen Regimewechsel zu erreichen, das war unmöglich. Sie dachten, sie hätten verloren, dabei haben sie gewonnen. Sie haben den besten Aufstand des 20. Jahrhunderts organisiert!«
In seiner fabelhaften osteuropäischen Absurdität und Widersprüchlichkeit ist für Zilahy der politische Karneval von Belgrad der perfekte Ausgangspunkt eigentliches, ambitioniertes Anliegen. Durch die subtil entfremdende Form des Kinderbuches will Zilahy eine ganze Welt und eine ganze Epoche wieder aufleben lassen: das Osteuropa der (vermeintlich) weichen Diktaturen, das Osteuropa seiner Kindheit in den 70er und 80er Jahren. Mit dem Kinderlexikon von »Fenster-bis-Giraffe«, das 1973 erstmals in Budapest erschien, ist der Beginn dieser Zeit markiert, Belgrad steht am Ende.
»Es war eine weiche Diktatur, die viele Lügen und viele Kompromisse produzierte. Alle haben daran irgendwie teilgehabt, spielten das Spiel mit. Es waren nicht nur ›Die‹. Es war ein Kompromiss. Ungarn hatte eine Revolution verloren und würde keine zweite haben, niemand wollte das. Aber man hatte Angst davor und darum bekamen wir ein relativ liberales öffentliches Leben, mehr Freiheit als in den anderen osteuropäischen Ländern. Das war ein mieser Kompromiss. Wenn du lange genug in so einer weichen Diktatur lebst, verändert die andauernde Erniedrigung deine Persönlichkeit.«
Wenn du etwas Wahres sagen wolltest, musste es ein Witz sein.
Peter Zilahy hatte das Glück im realsozialistischen Ungarn aufzuwachsen, ohne gezwungen zu sein, sein ganzes Leben dort zu verbringen. Sein Buch ist von dieser Erfahrung zweier Welten im sich verändernden Europa durchdrungen, inhaltlich und formal. Zilahy ist überzeugt davon, dass das Leben im Ostblock durch den Versuch der Mächtigen geprägt war, die Bevölkerung aller Altersstufen wie Kinder zu behandeln. Die betont gewaltlose Art, in der die Macht den Belgrader Demonstrationen 1996/97 entgegentrat, spiegelte dieses Prinzip für ihn ein letztes Mal. »Man wusste immer, dass sie dich nicht umbringen. Sie wollten dich nicht zerstören sondern nur kontrollieren. Die Spielregeln waren immer klar, z.B. bei den Nachrichten. Wir wussten, dass die Nachrichten nicht wahr waren, dass immer das Gegenteil wahr war. Wenn du etwas sagen wolltest, ging das darum nur mit Humor. Sie waren todernst und wir nicht. Wenn du etwas Wahres sagen wolltest, musste es ein Witz sein. Alles Ernste war falsch.«
Gegen pathetische Lügen hilft nur der heitere Betrug. Daher das Kinderbuch-Format der »Letzten Fenstergiraffe«, daher aber auch Zilahys wohlmöglich überzogenes Misstrauen gegen jede Art von großen Wahrheiten, hehre Versprechen und große Ideen. Bei ihm muss alles leicht und luftig sein, Widersprüche und überraschende Assoziationen sind willkommen. Es gibt weder Helden noch siegreiche Systeme. Und verherrlicht wird gar nichts. Außer der Kreativität des Künstlers.
Peter Zilahy: Die letzte Fenstergiraffe. Ein Revolutionsalphabet. Aus dem Ungarischen von Terézia Mora und mit einem Vorwort von Ingo Schulze, Eichborn Berlin, Berlin 2004, 180 S., 22,90 €.
Peter Zilahy im Debütantensalon des Kölner Literaturhauses, 16.2., 20 Uhr. Wir verlosen
5x2 Gästelistenplätze, E-Mail bis 14.2. an
verlosung@stadtrevue.de, Stichwort »Z = Zilahy«