Keine Spur von Matti Braun?

Matti Braun, der in einem der neuen Ateliers im Kölnischen Kunstverein arbeitet, widmet seine neuen Projekte dem indischen »Alien«. Dabei verschwindet er selber hinter seinen Geschichten. Frank Frangenberg über einen Künstler, den man nicht zu fassen bekommt

 

Matti Braun, der das nebenstehende Foto gemacht hat, sagte, er möge keine konventionellen Porträts und wünsche sich eine Geschichte. Das läse er am liebsten. Wo sie anfängt ist unerheblich, die Geschichte könnte überall beginnen, sie kann auch in dem Moment einsetzen, da sie ins Wasser gefallen zu sein scheint.
Jetzt spiegelt die verschwiegene, dunkle Oberfläche des Lotus-Sees nur noch herbstliche schwarze Baumgerippe. Die Stämme wachsen aus den kreisrunden Blättern der Lotusblumen in eine bodentief gerichtete, himmelweite Unmöglichkeit. Eine surreale Szenerie, frei nach Salvador Dali, der an einem anderen Seeufer Elefanten Schwäne spiegeln ließ. Das Außerordentliche dieser Szene soll jedoch nicht in trügerischen Untiefen gesucht werden, es schwimmt obenauf. Hier, in Rumänien, nahe der ungarischen Grenze, gedeiht seit Menschengedenken Lotus auf einem von warmen Quellen gespeisten See. Niemand vermag zu sagen, wie die ferne Schönheit in diesen osteuropäischen See gekommen sein könnte. Womit eine kurze Geschichte bereits ihr Ende gefunden haben könnte und die offene Frage, was der Lotus mit Matti Braun zu tun hat, unbeantwortet bliebe. Aber Geschichten, die irgendwo beginnen, sollen, so wollen wir das, auch zu Ende
erzählt werden.

Ein seltener, unerhörter Akkord

Die Geschichte würde niemals aufhören, wenn uns die Vorstellung besser gefiele, dass alle Dinge im Universum, auch Lotusblumen, nicht voneinander separierte Punkte in Raum und Zeit, sondern Schwingungen einer geheimnisvollen, gespannten Saite seien. Sie können weit entfernt liegen, um sich doch einmal in Raum und Zeit zu treffen und kurz zusammenzuklingen für einen bislang unerhörten, seltenen Akkord. Wir alle kennen das Phänomen, dass bestimmte Dinge sich begegnen, als hätten sie sich magisch angezogen, als würde eine unbekannte musikalische Elektrizität ihre uns zufällig erscheinenden Bewegungen lenken. Eine Ordnung der Dinge, die man nicht kausal erklären möchte, da eine Stimme im Kopf einem sagt, wie unzureichend eine solche Erzählung ausfallen würde. Und wie unbarmherzig würde man solche Phänomene ihrer vielfältigen Schönheit berauben, wenn sich der Erzähler selbst zu ihrem Schöpfer machte, indem er sie auf seine Weise erklärte und sich zu ihnen in eine besondere Beziehung setzte. Insofern haben für Matti Braun alle Lotusblumen etwas gemeinsam, wo immer sie erscheinen, in einem rumänischen See oder einem bengalischen Weiher. Mit ihm selbst haben sie nichts zu tun.

Jäger, Sammler, Künstler

Solange es keinen Punkt im Universum gibt, von dem aus es aus den Angeln gehoben werden kann, wird es wohl die Taktik des Jägers, Sammlers und Künstlers Matti Braun sein, den Spuren der Phänomene, die ihn interessieren, über die Welt zu folgen, ohne sich selbst zu ihrem Angelpunkt zu machen. Er legt es darauf an, zu verschwinden und nicht teil der Geschichten zu werden. Diese, immer wahr und von Matti Braun gründlich recherchiert, erzählen vom Aufeinandertreffen unterschiedlichster Phänomene und Kulturen und den überraschenden Dingen, die entstehen können, wenn ein bengalischer Regisseur nach Hollywood geht, ein afrikanischer Dichter Paris verlässt, chinesische Vasen die Welt bereisen oder Le Corbusier in Indien baut.
Wie ein Entdeckungsreisender bringt Matti Braun – geboren 1968 in Berlin, deutscher Vater, finnische Mutter, seit 1997 in Köln lebend – Trophäen seiner Jagden mit: Von der Pirsch auf die Ideen der ästhetischen Moderne in ihren Emanationen auf der anderen Seite der Erdkugel bringt er handgemachte indische Stoffe mit, von seinen Studien zur Bali-Welt Friedrich Murnaus zeugen selbst entworfene Spiegel. Es sind diese Artefakte, die übrig bleiben, ausgestellt und bestaunt werden können, die Geschichten, die sich um sie ranken, treten zurück, verlieren sich und müssen dem Künstler aus der Nase gezogen werden – was den Wunsch erklärt, ihn daran zu packen und zu porträtieren.

Raumschifflandung im Lotussee

Matti Braun suchte einen See voller Lotusblumen, als er das nebenstehende Foto machte. Eigentlich war er hinter Rabindranath Tagore her, dem bengalischen Lyriker, als er auf den auch im Westen bekannten indischen Filmemacher Satyajit Ray stieß und auf ein Drehbuch von Ray für einen Science-Fiction-Film mit dem Titel »The Alien«, in dem ein See mit Lotussen beschrieben war. Mit der Entdeckung des Scripts begann eine zweijährige Unternehmung, die ihren vorläufigen Höhepunkt im Herbst haben wird, wenn Teile des Drehbuchs in Matti Brauns Fassung als Theaterstück in London und Dublin aufgeführt werden. Die Geschichte beginnt, wie immer, viel früher.
Vor vierzig Jahren eröffnet der indische Regisseur Satyajit Ray mit einigen Freunden einen Science-Fiction Filmclub in Kalkutta. Es entsteht die Idee zu einem Film, »The Alien«. Die Vorlage stammt von Ray selbst, einige Jahre zuvor hatte er eine Kindergeschichte, »Bankubabur Bandhu – Banku Babu’s Freund« veröffentlicht, in der eine fremde Kreatur aus dem All in einem Wald in Bengalen landet und auf ein Kind, Banku Babu, trifft. Im Februar 1967 schreibt Ray in seinem Haus in der Lake Temple Road in Kalkutta den ersten Entwurf zum »Alien«. Sein Raumschiff landet in einem Lotussee in einem kleinen Dorf in Bengal. Der erste Mensch, auf den er trifft und der sich mit ihm befreundet, ist ein Kind, der Waisenjunge Haba. Bald vermuten die abergläubischen Dörfler im Teich, in dem der Alien landete, einen versunkenen heiligen Tempel. Der Fremde aus dem All entpuppt sich jedoch als ein bösartiger, affenähnlicher Kobold, der seinen Spaß mit den Dorfbewohnern treibt. Auf dem Höhepunkt der Geschichte, alle wollen dem fremden Wesen ans Leder, zischt der Alien samt Mutterschiff ab ins All.

Von Indien nach Hollywood und zurück

Die unterhaltsame Geschichte des Films, der, wie sich herausstellen sollte, niemals realisiert wurde, obwohl Hollywood von Peter Sellers über Marlon Brando bis Steve McQueen fast jeden Star besetzen wollte, beschrieb Satyajit Ray Jahre später in einem humorvollen Artikel im Calcutta Statesman Weekly vom 11. Oktober 1980. Kurze Zeit später legt Melissa Mathison, ehemalige Assistentin von Francis Ford Coppola, ein Drehbuch in Hollywood vor, dass von Steven Spielberg verfilmt wird. »E.T.«, die Geschichte eines Außerirdischen, der auf der Erde zurückgelassen und bester Freund einiger Kinder wird, ist ein großer Erfolg in allen Kinos der Welt. Ray behauptet öffentlich, E.T. sei undenkbar ohne seinen »Alien«. Die Los Angeles Times nimmt Ray’s Kommentar in der indischen Presse auf und konfrontiert Spielberg in seinem Büro bei Warner Brothers mit den Neuigkeiten. Käme der freundliche Alien von Spielberg gar nicht aus dem Weltall, sondern aus Indien? Spielberg erwidert indigniert, sie könnten Satyajit Ray sagen, er sei auf der High School gewesen, als sein »Alien« auftauchte. Ray, der Spielbergs »E.T.« sentimental findet, lässt es dabei bewenden.
Die Geschichte des indischen »Alien« schien ins Wasser gefallen, niemand wollte Rays Geschöpf aus seinem verschwiegenen Lotussee ziehen. Bis der Held dieser Geschichte, Matti Braun, eher zufällig seine Spur aufnahm. Geschichten sollen erzählt werden: Matti Braun beschloss den vergessenen »Alien« zu reanimieren und wird ihm, nach den Anweisungen des indischen Regisseurs, im Herbst in Inszenierungen in London und Dublin theatralisches Leben verleihen. Teile seines Bühnenbildes zu »The Alien« zeigt er in seiner aktuellen Kölner Ausstellung bei BQ, ergänzt um ein sinnvolles Geschenk, aus grünem Glas gemacht, eine Kokosnuss.

Ausstellungsraum BQ, Jülicher Str. 14, Di-Fr 14-18, Sa 11-16 Uhr, bis 19.3.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation, zu beziehen über BQ.