»Das Schauspielhaus stand für einen Aufbruch«
Hoch über der Kölner Nord-Süd-Fahrt, in Sichtweite zum Offenbachplatz, prangt in roter Schreibschrift der Schriftzug »Liebe deine Stadt«. Mittlerweile fester Bestandteil des Stadtbildes, sendet er seine vermeintlich schlichte Botschaft unermüdlich in die Köpfe von Passanten und Autofahren. Was dort ankommt, hängt indes ab von Sensibilität und Interesse des Empfängers. Der Slogan lässt sich als affirmatives Stadtmarketing abnicken, als Appell an die wenig liebevolle Kölner Kommunalpolitik lesen, als leise Mahnung eines Unerschrockenen, der in Zeiten allgegenwärtiger Sachzwänge allen Ernstes an die Liebe glaubt.
Vermutlich trifft letzteres auf Merlin Bauer zu, allerdings ohne jede Naivität. Hinter dem fröhlichen agent provocateur, der mit einem Rosenmontagswagen den Karneval aufmischt oder als Don Quichote mit einem Maultier durch die Straßen zieht, steckt ein scharfer Analytiker der Kölner Stadtgesellschaft. Nach Abriss der Josef-Haubrich-Kunsthalle begann er 2005 sein Projekt »Liebe deine Stadt«, das einen pfleglichen Umgang mit dem kulturellen Erbe einforderte. Zur Kampagne gehörten Texte, Veranstaltungen, Interventionen und Protestaktionen, an denen Prominente von Karin Beier bis Peter Zumthor mitwirkten und hunderte von Kölner Bürgern. Jetzt sind wir im Cafe Wahlen verabredet, weil ich wissen will, wo wir nach zehn Jahren stehen.
Herr Bauer, der Claim »Liebe deine Stadt« wird von den Kölnern inzwischen stolz getragen, aber der »administrative Vandalismus«, den Sie anprangern, hat ihr Projekt offenbar überlebt. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Ambivalent. Zum einen erfüllt es mich mit einem gewissen Stolz, dass ich vielleicht anregen konnte, den Blick auf politische Prozesse oder die Wahrnehmung von Architektur zu verändern. Auf der anderen Seite bleibt der nüchterne Blick auf die politische Realität und die Tatsache, dass die systemisch-strukturellen Probleme geblieben sind.
Einer der größten Erfolge war Ihr Engagement zum Erhalt des Opernensembles. Die Aktion »Ihr seid Künstler und wir nicht!« brachte ein riesen Medienecho. Das Schauspielhaus steht noch, aber die Baustelle steht still ...
Die Debatte um das Schauspielhaus war erstmal ein positives Beispiel: Die Mobilisierung der Öffentlichkeit, dass Kunst dazu beitragen konnte, dass die Sache nochmal einen anderen Zug bekam. Es geht bei meiner Arbeit immer um das Ziel, auch realpolitisch etwas zu bewegen. Das Schauspielhaus stand für ein Signal des Aufbruchs, das dann auch in anderen Initiativen spürbar war, beim Helios Gelände, beim Parkcafé im Rheinpark. Jetzt ist es wichtig, dass das Schauspielhaus nicht zum Symbol für ein Millionengrab wird. Die einzige Möglichkeit, die man in Köln hat, ist die Karten offen zu spielen — nichts zu versprechen, was man nicht halten kann.
Aber was ist da schief gelaufen?
Man muss das Ergebnis genauer sezieren. Warum gibt es deutschlandweit all diese diese Bauverzögerung? Das hat mit Strukturen zu tun. Eine neue Studie der Universitäten Oxford und Harvard zu 2000 internationalen Großprojekten belegt, dass nur ein Viertel von ihnen innerhalb der geplanten Kosten geblieben ist! Es zeigte sich, dass Politik und Bauherren die Risiken unterschätzen und den wirtschaftlichen Nutzen überschätzen. Auf dieser Ebene haben Verzögerungen und Kostenexplosion mit uneindeutigen Verantwortlichkeiten zu tun, damit, wie Bauherrschaft organisiert ist, mit Ausschreibungskultur, die nur ein Spiegel unserer neoliberalen Welt ist. Kritisch zu beäugen ist, warum man beim Schauspiel erst sehr spät die Reißleine gezogen und in Kauf genommen hat, das Ansehen der Stadt und der Kultur aufs Spiel zu setzen und unnötige Kosten zu produzieren. Das ist ein Versagen, das man benennen muss.
Ist die hiesige Politik therapieresistent?
Ich glaube, dass es in Köln ein besonderes Geschick dafür gibt, Schwierigkeiten nicht elegant zu lösen. Aber ich glaube auch, dass die großen Probleme gesamtgesellschaftliche sind und in diesem Maßstab betrachtet werden müssen.
Im November steht Ihre große Jubiläumskampagne an. Was ist geplant?
Verraten kann ich, dass es ab dem 20. November losgeht und für jede Kölnerin und jeden Kölner sichtbar sein wird, auch darüber hinaus. Es geht darum, dass »Liebe deine Stadt« als Claim sich nicht auflöst in einer Vervolkstümlichung, sondern ganz klar für die Werte einzustehen, für die er eingetreten ist — nämlich Verantwortung zu übernehmen für den urbanen Zusammenhang, in dem man lebt und sich bewegt.
Am Ende geht es natürlich um eine künstlerische Haltung. Wie gehen Sie an so ein Projekt heran?
Ich schöpfe diese Dinge ja nicht alleine aus mir, sondern bin als Konzeptkünstler eher eine Art Regisseur. Ziel ist es das Ensemble, die unterschiedlichen Gewerke in einen orchestralen Klang zu bringen; es entsteht eine Form von Werk. Das Ganze muss so gemacht sein, dass es die Leute emotional und intellektuell trifft. So verstehe ich gute Kunst, und insbesondere die Konzeptkunst.
Alle Infos auf liebe-deine-stadt.de und merlinbauer.de
In der Dezemberausgabe der StadtRevue (ab 26.11.)
erscheint eine 16-seitige Beilage zum Jubiläumsprojekt