13.3.1993: Etzelstraße, Mauenheim. Der Ford-Arbeiter Recep S. findet auf einem Parkplatz einen Autostaubsauger. Als er sein Auto damit reinigen will, explodiert das TNT im Staubsauger. Recep S. verliert ein Auge und ist seitdem arbeitsunfähig.

Das Rechte Netz

»Was nach ›Heute Show‹ klingt, ist real«

 

Der Rechtsextremismus-Experte Alexander Häusler über neue Strategien
der Rechten, ihre Endzeit-Rhetorik und das »kommunale Wir-Gefühl« in Köln

 

In Köln sticht ein Mann Henriette Reker nieder, weil sie sich für Flüchtlinge einsetzt. Es brennen Häuser, die Geflüchteten schon oder zukünftig als Unterkunft dienen sollen. Was ist hier los?

 

Seit letztem Jahr hat sich die Stimmung zugespitzt. Im Oktober fand die erste Pegida-Demonstration statt, parallel dazu der Hogesa-Aufmarsch in Köln. Zeitgleich hat auch auf parteipolitischem Feld mit dem Aufkommen der AfD eine Entwicklung stattgefunden. Sowohl in der Wahlkabine als auch auf der Straße gab es damit neue Angebote, die Leute mobilisiert haben, die vorher nur im Wohnzimmer hinter zugezogenen -Gardinen das Geschehen verfolgt haben. Damit wurden erstmals nicht nur die üblichen Verdächtigen auf dem rechten Feld bedient, sondern auch die neuen rechten Wutbürger, die aus der Krise politischer Repräsentanz hervorgehen. 

 

Hat sich die Mitte der Gesellschaft von den Rechtspopulisten bereits mitnehmen lassen?

 

Die zentrale Motivation für den neuen Protest von Rechts ist das Flüchtlings-thema. Jede rechte Politik basiert auf völkisch–nationalistischem Identitätsverständnis. Das ist nichts Neues, aber je nach politischer Konjunktur verändert sich der Resonanzraum. Derzeit ist die Flüchtlingsdebatte ein ideales Einfalltor von Rechts.

 

Täter, die Flüchtlinge oder Migranten angreifen, sind laut Behörden oftmals keine polizeilich bekannten Rechtsextremen, sondern Bürger eben aus dieser Mitte, Nachbarn zum Beispiel.

 

Wir beobachten beides: Nach-ahmer, die vorher nicht in polizeilichen Rastern drin waren, und eine Radikalisierung der existierenden neonazistischen Szene. Die jüngsten BKA-Studien sagen aus, dass die Gefahr einer absoluten Radikalisierung besteht nach dem Motto: Wir müssen jetzt handeln, bevor es zu spät ist. Diese Endzeit-Stimmung wird auch befüttert von sämtlichen Pegida-Protesten oder AfD-Politikern. Und auf der anderen Seite haben wir eine Zunahme von anlass-bezogenen Straftaten. Offenbar gibt es Leute, die vorher nicht polizeilich bekannt waren, und jetzt, weil etwa in ihrer Nachbarschaft eine Flüchtlingsunterkunft entsteht, sagen: Jetzt legen wir los. Das ist eine neue, besorgnis-erregende Entwicklung: Früher hat man sich bewusst gegen organisierte Nazis abgegrenzt, jetzt kommt man anlassbezogen zusammen. 

 

Wächst denn ein neuer rechter Terror heran?

 

Es gibt einen fließenden Übergang von niederschwellig angesetzter Alltagsgewalt zu Formen von rechtem Terror mit gezielten Mordversuchen. Das hat nicht zuletzt das Reker-Attentat gezeigt. Die erklären sich nicht über langatmige Pamphlete, wie es früher vielleicht die RAF gemacht hat. Terror ist Teil des Programms und des normalen politischen Handelns. Im Kontext der Flüchtlingsdebatte gibt es aber auch unter den demokratischen Parteien eine besorgniserregende Entwicklung, etwa wenn die CSU auf die Idee kommt, den ungarischen Ministerpräsidenten Orbán einzuladen. 

 

Auch Horst Seehofer spricht in der von Ihnen beschriebenen Katastrophen- oder Endzeit-Rhetorik. Welchen Einfluss hat das auf das politische Klima?

 

Das ist Brandbeschleunigung, damit wird den rechten Protesten eine inhaltliche Legitimation zugesprochen. Das kennen wir von der CSU schon von Franz Josef Strauß und dessen Haltung: ›Rechts von uns darf es keine demokratisch legitimierte politische Partei geben‹. Immer wenn so etwas entstanden ist wie die Republikaner, die ja Fleisch vom Fleisch der CSU sind, hat die CSU rechts geblinkt, in der Hoffnung, deren Wähler zurückzuholen. Dies hat insgesamt zu einer Verschärfung des Klimas geführt. Aufgrund des Schielens auf Wählerstimmen werden mehr oder weniger die Inhalte der Rechten legitimiert. 

 

In der Öffentlichkeit wird Rechtsextremismus oft als ostdeutsches Phänomen dargestellt. Wie verbreitet ist denn rechte Gewalt in NRW?

 

NRW, auch eingeschränkt, dass wir das bevölkerungsreichste Bundesland sind, ist das Land mit der höchsten Zahl rassistischer und extrem rechter Straftaten. Das Bild des Dunkeldeutschland im Osten und des hellen Westens trifft nicht zu. Es gibt aber schon Unterschiede, Stichwort Pegida-Beteiligung oder bestimmte Gebiete im ländlichen ostdeutschen Raum, wo es eine fast hegemoniale rechte Sub- und Jugend-kultur gibt, wo die Leute sich massivst gegen den Zuzug von Flüchtlingen wehren. Das Thema nimmt dort eine Stellvertreterfunktion ein für das Feindbild, das auf Frustrationen nach der Wiedervereinigung beruht. 

 

Waren Sie mal bei einer Pegida-Demonstration?

 

Ich war dort und habe versucht, mit den Leuten zu reden. Es ist eine Ansammlung der Wirren, die aber brandgefährlich ist. Da habe ich solche Dialoge geführt, im O-Ton: 

»Hallo. Warum machen Sie hier mit?« 

»Wir wollen nicht so sein wie Sie im Westen.« 

»Warum nicht?« 

»Wir wollen nicht so leben.« 

»Wie leben wir denn?« 

»Ja, wie in Köln.« 

»Was ist denn in Köln?« 

»Da ist alles schon zu spät.« 

»Ja, was denn?« 

»Das ist schon komplett islamisiert.« 

»Waren Sie schon mal in Köln?« 

»Nein.« 

 

Klingt ein bisschen nach ›Heute Show‹.

 

Aber was nach ›Heute Show‹ klingt, ist real. Tatjana Festerling, die gescheiterte OB-Kandidatin von Pegida, hat ernsthaft den »Säxit« gefordert, den sächsischen Austritt aus der Bundes-republik. 

 

Was ist denn in NRW anders?

 

NRW war traditionell noch nie ein gutes Pflaster für rechte Wahlparteien. Trotzdem haben wir eine lange Kontinuität von rechter Gewalt. In den Wahlergebnissen und auf der Straße sind diese Nazi-Strukturen aber bislang nicht in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. In NRW gibt es starke Abwehrtendenzen und Gegenproteste. Wenn die Neonazi-Szene versucht, sich sozialräumlich zu verankern und Territorien zu besetzen, hat das hier nicht wirklich funktioniert. Dementsprechend haben die Akteure darauf zurückgegriffen, sich klandestin zu bewegen und eher eine gewaltförmige Ausübung ihrer Vorstellung praktiziert. 

 

Wieso sind die Rechtsextremen hier stärker isoliert?

 

Das ist politischen Initiativen gegen Rechts zu verdanken. Auch das kommunale Wir-Gefühl in Köln, etwa bei »Arsch huh!«, ist interessant. Natürlich ist da nicht alles rosig, einiges wird unter den Teppich gekehrt. Und ob die Leute in Chorweiler davon abgeholt werden, ist fraglich. Aber trotzdem ist dieses kommunale Wir-Gefühl in Köln ein Riesenunterschied zu einer Stadt wie Düsseldorf, wenn so etwas wie der Hool-Aufmarsch passiert. In Köln wird durch diese Initiativen Widerstand mobilisiert. Das gibt es in Düsseldorf so nicht. Es wäre interessant mal wissenschaftlich zu untersuchen, wie das dann wirklich wirkt. 

 

Die bierselige Kölschlobelei kann einen aber auch etwas stutzig machen.

 

Ich hatte den Reflex zuerst auch. Klar: Wir sind eine Familie, kein Bier für Nazis, damit sind alle Probleme weg diskutiert — das kann irritieren. Aber dennoch: Auf einer Alltagsebene scheint es zu funktionieren.  

 

In Köln haben wir trotzdem den Fall, dass sich ein CDU-Bezirksbürgermeister, Henk van Benthem, mit den Stimmen von Pro Köln und AfD hat wählen lassen.

 

Eine untragbare Situation! Die AfD macht einerseits populistische Politik gegen die Altparteien, so ähnlich wie man es auch von Pro Köln kennt. Aber auf der anderen Seite versuchen sie sich auch abzugrenzen von Rechtsaußen-Parteien und suchen nach Anerkennung im politischen Diskurs. Und da ist es Gift, wenn von CDU-Seite um des eigenen politischen Vorteils, wie bei Henk van Benthem, taktisch auf so etwas zurückgegriffen wird. In den ostdeutschen Bundesländern gibt es auch eine Aufweichung nach ganz Rechtsaußen. In Mecklenburg-Vorpommern hat die AfD den Schweriner Weg aufgekündigt, ein Konsens aller demokratischer Parteien, keine Anträge der rechtsextremen NPD mitzutragen. Die AfD hat seitdem mehrere Anträge der NPD unterstüzt. Das zeigt, wie die Partei agiert, wenn sie realpolitisch handelt. Das sollte solchen Leuten wie Henk van Benthem zu denken geben. 

 

Wie schätzen Sie die AfD in NRW ein?

 

Den Rechtsruck, den die Partei nach dem Sturz von Bernd Lucke durchgemacht hat, kann man auch in NRW sehen. Wir haben mit dem NRW-Vorsitzenden Marcus Pretzell zwar einen eher machtorientierten Politiker als einen so ideologisierten Fanatiker wie Bernd Höcke aus Thüringen, aber man sieht auch bei Pretzell, wie er bewusst die rechtspopulistische Karte spielt. Vor kurzem hat er etwa als letztes Mittel auch zum Schussbefehl gegen Flüchtlinge aufgerufen. Die AfD und ihr Jugendverband Junge Alternative haben gerade den Schriftsteller Akif Pirinçci eingeladen. Nach dem Skandal um seine Rede zeigt das ganz deutlich, wohin die Reise auch hier in NRW geht. 

 

Hat die AfD sich denn irgendwo fest etablieren können?

 

Als realpolitisch handelnde Kraft, die sich in Szene setzt, ist die AfD bislang noch nicht aufgefallen. Ob sie also tatsächlich handlungsfähig ist, steht noch aus. Im Moment muss sie aber auch nicht viel machen außer den Diskurs mitzubefeuern und sich nicht zerstreiten — was bei dieser Partei schwierig ist. Wutbürger heißt nicht umsonst Wutbürger. Das richtet sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen.