Am Puls der Zeit
Gerade erst hat Noah Baumbach in »Gefühlte Mitte Zwanzig« die gealterte Generation X mit den Hipstern von heute abgeglichen. Keine fünf Monate später schickt er nun mit »Mistress America« einen weiteren Film hinterher, in dem die Altersdifferenz der Hauptfiguren Anlass zu Reflektionen über deren Lebensumstände gibt. Tracy (Lola Kirke) ist Anfang Zwanzig und kommt mit großen Erwartungen zum Studium nach New York. Aber die Literaturseminare sind langweilig, die Mitstudenten unzugänglich und der Traum, Schriftstellerin zu werden, rückt in weite Ferne, als ihre Kurzgeschichte vom elitären Uni-Magazin abgelehnt wird. Die Mutter verweist Tracy an die Tochter ihres zukünftigen Mannes.
Die dreißigjährige Brooke (Greta Gerwig) kennt alles und jeden in der Stadt. Sie zieht mit ihrer neuen Stiefschwester durch die coolsten Clubs, zaubert für ein Konzert zwei Backstage-Pässe hervor und wird sogar von der Band auf die Bühne gerufen. Mit glänzenden Augen bewundert Tracy die Partydiva zunächst. Sie merkt aber auch bald, dass Brooke eine Schaumschlägerin ist, die viele Ideen hat, aber kaum etwas davon in die Tat umsetzt. Wenn sie von der Mischung aus Frisörsalon und Restaurant erzählt, die sie eröffnen will, scheint nichts ihren Enthusiasmus stoppen zu können. Tracy ist fasziniert von Brookes scheiternden Unternehmensgeist und als angehende Schriftstellerin macht sie sie zur Heldin ihrer Kurzgeschichte.
In »Mistress America« tut sich Noah Baumbach wie schon in »Frances Ha« mit seiner Lebensgefährtin Greta Gerwig zusammen, die hier erneut nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern auch am Drehbuch mitgeschrieben hat. Gerwig ist brillant in der Rolle der Stadtneurotikerin, die sich nach beruflichem und gesellschaftlichem Erfolg sehnt, aber einfach nicht genug Durchhaltevermögen, Realismus und Kaltschnäuzigkeit besitzt, um sich im Kapitalismus-Haifischbecken durchzusetzen.
Wie schon in »Frances Ha« wird die turbulente Identitätssuche nicht mit einer romantischen Liebesbeziehung, sondern mit einer innigen Frauenfreundschaft verbunden, in der Euphorie und Bewunderung genauso ihren Platz haben wie emotionale Kosten-Nutzen-Rechnungen. Das alles summiert sich mit enormem Wortwitz zu einer kompakten Screwball-Komödie, die den Finger an den Puls einer Zeit legt, in der persönliche Sehnsüchte und Identitätsfindung beständig von ökonomischen Zwängen korrumpiert werden.
Mistress America (dto) USA 2015, R: Noah Baumbach, D: Greta Gerwig, Lola Kirke, Seth Barrish, 84 Min.