Es nervt
Und dann auch noch die Absage von Fußballspielen! Und auf den Weihnachtsmärkten überlegen sie, den Glühwein billiger zu verkaufen, damit überhaupt jemand kommt. Noch was?
Wenn alles gesagt ist, was auch nur halbwegs eine Information darstellen könnte — was dann? Dann schicken Redaktionsleiter Praktikanten durch die Fußgängerzonen, um »O-Töne einzufangen«. Die Straßenbefragung ist die verrückteste Form des TV-Journalismus: Menschen sagen Sachen, über die sie nicht nachgedacht haben. Das soll so sein, die redaktionelle Leistung besteht darin, die differenziertesten O-Töne als nicht sendetauglich auszumustern. Übrig bleiben emotionale Verpuffungen, zum »Stimmungsbild« geadelt.
Eine junge Frau, befragt zur Absage des Fußballspiels zwischen Deutschland und Holland aufgrund einer Terrorwarnung, empört sich: »Echt jetzt, es nervt total! Dieser scheiß Terror!« Dass sie Sprengstoffgürtel geht-gar-nicht findet, vor allem fashionmäßig, wurde wahrscheinlich rausgeschnitten. Es war aber auch so ein guter Beitrag.
Alle anderen Passanten glauben, für das Fernsehen Sätze sagen zu müssen, die sie im Fernsehen hören: »Wenn wir jetzt Angst bekommen, haben die Terroristen schon gewonnen.« Ich finde, wenn es zwei Handvoll Mordbuben schaffen, mehr als fünfzehnmal so viele Menschen zu töten, dann haben sie, in den Kategorien von Sieg und Niederlage gesprochen, durchaus gewonnen. Und davon bekomme ich Angst.
Wer nicht an Gott glaubt, sollte nicht vorschnell auch den Teufel leugnen. Er besitzt heute andere Waffen als den Dreizack, und er trägt Turnschuhe über seinen Bocksfüßen. Verirrte gehen ihm zur Hand, weil er ihnen üppigen Lohn verspricht — neuerdings nicht mehr in dieser, sondern einer nächsten Welt. Er ist ein Lügner, aber das sind unsere Plakatwände, Werbespots und Lifestyle-Magazine auch.
Ich wurde bislang von Unglücken und Verbrechen, die die Allgemeinheit betreffen, verschont. Alles, was ich darüber weiß, wurde mir in Bildern und Berichten vermittelt. So nahm ich das Leid »zur Kenntnis«. Trotzdem stimmte es mich traurig, wütend oder ratlos. Aber nicht immer. Manches rührte mich nicht an, weil meine Aufmerksamkeit von anderem, stets völlig belanglosem, in Beschlag genommen war. Ich spüre nicht die Detonationen, und ich hörte nicht die schreienden Menschen auf fernen Kontinenten, weil die Steuererklärung morgen fertig sein musste. Sind Sie auch wie ich?
Und ich stelle fest, wie wenig ich über die Katastrophen, die mich erreichten, mit anderen sprach. Mein Freundeskreis ist keine Straßenbefragung. Aber es heißt doch, im Angesicht des Schreckens zu verstummen, sei falsch. Ich weiß aber, dass darüber zu sprechen, umgekehrt nicht zwangsläufig richtig ist. Wer etwa sagt er habe keine Angst, sagt besser gar nichts, sonst kommt man nur auf die Idee, dass er sich etwas einrede.
Jedoch zu sagen, dass der Terror nerve, das erscheint mir nicht bedenklich, sondern bedenkenswert. Es ist eine glamouröse Geste. Eine Haltung, die die Wirklichkeit überwindet, sich eine neue erfindet. Sie ist nicht unmoralisch, sie ist amoralisch. Wer sagt, dass der Teufel nerve, macht ihn kleiner und lächerlich, dieses Arschloch.
Mag sein, es steht einem nicht zu, so zu reden, wenn man selbst nur kaum betroffen ist. Aber vorzugeben, man habe keine Angst, während andere in Furcht und Schrecken versetzt sind, erscheint mir ebenso wenig angebracht.
P.S.: Ich wollte eigentlich über mein Kräuterbeet schreiben. Der Text war fast fertig, ich war zufrieden. Es wäre nicht nur um Kräuterbeete gegangen, sondern um hemmungslosen Sex, Drogenexzesse und knüppelharten Rock’n’Roll-Lifestyle. Sie kennen mich. Nun haben Sie echt was verpasst. Suchen Sie nicht die Schuld bei mir, sondern bei diesen armseligen Schlappschwänzen mit ihren Sprengstoffgürteln. Echt jetzt, es nervt.