Als Szene undurchschaubar, in der Aussage eindeutig: Demonstration türkischer Nationalisten auf dem Ebertplatz (20.9.) | Foto: Martin & Zielinske

Drei Halb­monde für ein Großreich

In den vergangenen Wochen demonstrierten in Köln immer wieder türkische Nationalisten. Wer steckt hinter der Mobilisierung? Und wie hängt das mit dem aktuellen Rechtsruck in der Türkei zusammen?

Solche Szenen hat man in Köln schon lange nicht mehr gesehen. Am 20. September wehte die türkische National­flagge über dem Ebertplatz, junge Männer recken die rechte Hand in die Luft und spreizen Zeigefinger und kleinen Finger ab — es ist der Wolfsgruß der türkischen Nationalisten, der »Grauen Wölfe«. Am Nachmittag hatte eine kleine Gruppe versucht, das kurdische Zentrum Mala Kurda in Mülheim anzugreifen, was aber abgewehrt werden konnte. Einen zweiten Versuch am Abend kann die Polizei bereits am Wiener Platz verhindern. Hinter der Demonstration steckt die türkische Gruppe »Türkiye Gençlik Birli?i« (TGB, »Türkische Jugendvereinigung«). Die TGB hat nicht viele Anhänger und ist auch nicht stark in der türkischsprachigen Community in Deutschland verankert. Aber die TGB steht immer wieder vorne, wenn es um öffentliche Auftritte geht. Eine Woche vor der Demonstration am Ebertplatz mobilisierte sie 500 Teilnehmer für eine Kundgebung auf der Domplatte. Die TGB versteht sich als kemalistisch und linksnationalistisch, sie steht der »Vatan Partisi« von Do?u Perinçek nah, die bei den vergangenen Parlamentswahlen gerade mal 0,35 Prozent der Stimmen erzielte. TGB und Vatan Partisi verbreiten einen vermeintlich »linken« Nationalismus, mit antiimperialistischen Versatzstücken, Verschwörungstheorien und absurde Bedrohungsszenarien um die eigene Nation. Die TGB nutzt die derzeitige nationalistische Stimmung unter der türkischsprachigen Bevölkerung in Deutschland, um für ihre Ideologie eine größere Öffentlichkeit zu gewinnen. Noch ist aber offen, ob die TGB tatsächlich viele neue Anhänger gewinnen wird.

 

Die größte Organisation der türkischen Rechten ist nach wie vor »Milliyetçi Hareket Partisi« (MHP). Die  Anhänger dieser »Partei der Nationalistischen Bewegung« nennen sich »Ülkücü« (»Idealist«), nur selten benutzen sie den in Deutschland bekannten Namen »Bozkurt« (»Grauer Wolf«). Die MHP ist traditionell keine parlamentarische Partei gewesen, sondern eine faschistische Organisation. In den 90er Jahren waren die »Grauen Wölfe« in der Türkei neben staatlich organisierten Paramilitärs und islamistischen Terrororganisationen für zahlreiche politische Morde verantwortlich. 1997, nach dem Tod des langjährigen Parteiführers Alparslan Türke?, wurde die MHP unter Devlet Bahçeli moderater und erreichte so eine größere Anhängerschaft in der Türkei — derzeit erzielt sie rund 16 Prozent der Stimmen. Ihrem Selbstverständnis nach ist die MHP eine nationalistische Partei, die Andersdenkende, Kurden und linke Kräfte lieber offen bekämpft als mit ihnen zu verhandeln.Die MHP-Anhängerschaft organisiert sich in Deutschland in dem Dachverband »Türk Federasyon«, was »türkische Föderation« bedeutet. Darin finden sich neben Moscheevereinen auch die »Ülkü Ocaklar?«, was oft mit »Idealistenclubs« übersetzt wird. Die »Ülkü Ocaklar?« sind politische Zentren der MHP-Anhänger, die insbesondere Jugendliche ansprechen. Hier werden, noch stärker als in den Moscheevereinen, die jungen »Graue Wölfe« ideologisch geschult und in die Partei- und Verbandsstrukturen eingeführt. Die Türk Federasyon hat etwa 7000 Mitglieder und ist damit die stärkste rechtsextreme Organisation in Deutschland. In allen Städten Nordrhein-Westfalens mit einem höheren türkischstämmigen Bevölkerungsanteil gibt es Moscheevereine oder andere Vereine, die den Grauen Wölfen nahestehen, so etwa in Dortmund, Duisburg, Düsseldorf und eben auch in Köln.

 

Weitgehend unbeachtet sind die türkischen Nationalisten und Rechten in Deutschland seit Jahrzehnten aktiv. Sie betreiben zum einen Organisations- und Stadtteilarbeit und zum anderen die Sicherung von Posten in Parteien und kommunalen Gremien. Die »Grauen Wölfe« konzentrieren sich darauf, »ihre« Stadtteile sichtbar zu dominieren und insbesondere die linke Konkurrenz einzuschüchtern. Auf kommunaler Ebene schaffen es MHP-Kandidaten immer wieder in die Ausländerbeiräte, wo sie Einfluss auf die Lokalpolitik nehmen können. Auf landes- und bundespolitischer Ebene sind die Ülkücüler hauptsächlich in der CDU aktiv. Dort können sie nur begrenzt Einfluss nehmen, sind aber durchaus in der Lage, sich der jeweiligen Situation anzupassen. Während im Dialog mit der türkischsprachigen Bevölkerung die Ideologie offen propagiert wird, wird für die Außenwelt der Schein eines ganz normalen türkischen Kulturvereins aufrechterhalten. Wer nicht die Netzwerke und Organisationen, ihre Symbole und Codes kennt, kann türkische Rechte kaum erkennen.

 

Die Stadtteilarbeit läuft über Moschee­vereine, die als unpolitisch wahrgenommen werden sollen

 

Die Organisations- und Stadtteilarbeit läuft über Moscheevereine, die von außen als unpolitisch wahrgenommen werden sollen. Die Moscheen, die türkischsprachige Muslime besuchen, werden in der Regel von Verbänden betrieben, die entweder der türkischen Religionsbehörde »Diyanet« oder islamistischen und rechten Parteien in der Türkei nahestehen. Die dort propagierten politischen Ziele ändern sich dabei je nach Ausrichtung des Dachverbands, in den Einrichtungen der Moschee wird die Klientel politisch geformt und zusammengehalten.

 

Das Milieu der Grauen Wölfe reicht über die MHP hinaus. Mindestens 8000 Mitglieder hat die »Avrupa Türk-?slam Birli?i« (ATIB). Diese »Union der Türkisch-Islamischen ­Kulturvereine in Europa« ist eine Abspaltung der »Türk Federasyon« und umfasst mehr als 120 Moscheevereine. Da ihr Arbeitsschwerpunkt die Moscheen sind, kann die ATIB sich leicht als moderat darstellen. Sie bietet aber gerade dadurch für jene türkischen Nationalisten, denen die MHP zu radikal ist, die Möglichkeit im Milieu der Grauen Wölfe zu verbleiben.

 

Die »Büyük Birlik Partisi« (BBP, »Partei der Großen Einheit«) ist eine direkte Abspaltung von der MHP und vertritt eine stärker islamistische Ideologie. In der Türkei spielt die Partei nur noch in einigen Regionen eine nennenswerte Rolle, in landesweiten Wahlen bleibt sie unter einem Prozent der Stimmen. Ihr Pendant zu den »Ülkü Ocaklar?« heißt »Alperen Ocaklar?«. In Deutschland ist die BBP organisiert als die »Avrupa Türk Birli?i« (ATB, »Verband der türkischen Kulturvereine in Europa«) mit etwa zwanzig Ablegern. ATIB und ATB sind gewissermaßen die stärker islamisch und islamistischen Ränder im »Graue Wölfe«-Spektrum.

 

In der Türkei wird derzeit viel über die Organisation »Osmanl? Ocaklar?« debattiert. Sie will die Symbole der »Grauen Wölfe« übernehmen, um sie im Sinne der Regierungspartei AKP einzusetzen. So wird aus der roten Fahne eine grüne Fahne, die Halbmonde bleiben. Während die »Grauen Wölfe« auf den Mythos der asiatischen Steppe als Ursprung der Türken zurückgreifen, wird hier das Osmanische Reich als das Goldene Zeitalter verklärt. Es ist derzeitig noch nicht absehbar, ob die »Osmanl? Ocaklar?« zu einer Vorfeldorganisation der AKP formiert wird oder die Organisation vor allem dazu dient, die nationalistische Opposition zu spalten. Ebenso ist unklar, ob die vermeintlichen »Grauen Wölfe«, die zur Zeit bei türkisch-nationalistischen Demonstrationen in Deutschland gesehen werden, nicht in Wirklichkeit AKP-nahe Anhänger der »Osmanl? Ocaklar?« sind. Die Szene der türkischen NationalistInnen an Rhein und Ruhr ist so noch undurchschaubarer geworden.

 

Klar ist dagegen, dass die derzeitige Eskalation in der Türkei genau solche Kräfte fördert. Die Polarisierung der türkischen Gesellschaft führt zu einer Stärkung und Radikalisierung der türkischen Nationalisten. Dies zeigt sich etwa darin, dass der Anschlag von Ankara mit etwa 100 Toten von den türkischen Rechten nicht betrauert wird. Weil die Toten Linke und Kurden sind, scheuen türkische Nationalisten selbst davor nicht, ihre Freude über die Tat öffentlich zu zeigen. Das sind keine gute Aussichten — weder für die Situation in der Türkei noch für die weitere Entwicklung in Deutschland.