Indie — Made in Köln
Beginnen wir mit den good news: Selbst mit dem merkwürdigsten Bandnamen der Welt ist es als Kölner Band offenbar möglich, innerhalb kürzester Zeit zu waschechten Popstars aufzusteigen. Die Rede ist von Annenmay-kantereit (ein Kompositum der Nachnamen), die erst im März ihr erstes reguläres Album über ein amtliches Platten-label herausbringen werden, aber schon jetzt deutschlandweit Spielstätten in der Größe des Palladiums mehrfach hintereinander ausverkaufen. Es fing an mit YouTube-Clips von Live-Performances auf dem Brüsseler Platz, die in Windeseile viral gingen und deren Erfolg wesentlich zurückzuführen ist auf die Ausnahmestimme von Sänger Henning May, der aussieht wie ein halbes Hemd und dabei röhrt wie der uneheliche Sohn von Tom Waits und Rio Reiser. Eine Art Schockeffekt, der auch bei Menschen -zündet, die sich ansonsten weniger für Pop interessieren, durch Annenmaykantereit nun aber ihre musikalische Erweckung erleben.
Die Erfolgsstory von AMK ist für Kölner Verhältnisse schon jetzt beispiellos, ansonsten werden in der Domstadt nämlich seit Jahrzehnten kleinere popmusikalische Brötchen gebacken. Während die elektronische Musikszene seit den 90er-Jahren einen ernst zu nehmenden kulturellen Standortfaktor darstellt, herrschte und herrscht im Indie-Bereich eher Flaute. Die deutschsprachigen Acts Klee, Erdmöbel und PeterLicht müssen immer wieder als Beweis dafür herhalten, dass es auch hier halbwegs funktionieren kann, liegen aber weit unter dem Status, den beispielsweise eine Band wie Tocotronic einnimmt. Ekki Maas, Bassist und Produzent von Erdmöbel findet nicht, dass seine Band von Köln als Musikstadt profitiert: »Es ist so, dass viele Leute unseren Humor einfach nicht verstehen oder uns schräg finden. Besonders Radiostationen tun sich sehr schwer mit dem Regelbruch, den das Spielen von Erdmöbelmusik ganz offensichtlich darstellt.« Sein Fazit: »In Köln tut niemand irgendwas für die Popmusik. Das müssen die Musiker alleine hinbekommen.«
Matthias Kurth sieht das anders. Der Booker des renommierten Kölner Musikfestivals c/o pop ist auch für die Programmgestaltung der Cologne Music Week zuständig, bei der jedes Jahr im Januar vielversprechenden heimischen Acts bei Konzerten rund um den Stadtgarten ein öffentlichkeitswirksames Forum gegeben wird. »Ich finde, dass es in Köln auch unabhängig von der CMW viele Plattformen für junge Bands gibt«, sagt Kurth, »die Stadt Köln unterstützt zum Beispiel gewisse Spielstätten finanziell, die Booker dieser Spielstätten buchen lokale Bands als Support und aufstrebende Bands, die auf Tour gehen wollen, können Fördermittel beantragen.« In puncto Erfolg kommt es für Kurth darauf an, wo man die Messlatte ansetzt: »Es gibt ja schon Bands wie Roosevelt, Coma und Xul Solar, die kontinuierlich wachsen, auch über die Grenzen von Deutschland hinaus, oder Vimes, die schon in Texas auf dem ›South by South West‹-Festival gespielt haben. Es gibt aber weniger Acts, die schnell hochsteigen.«
Viele Kölner Bands frönen laut Kurth einem Sound, der sich an der Schnittstelle von Indie und Elektronik bewegt und »gar nicht darauf angelegt ist, so richtig groß zu werden«. Bestes Beispiel: das hiesige Aushängeschild Von Spar. Die Krautrock/Kunstpop-Formation erfindet sich mit jedem Album neu, genießt im Feuilleton und auch im Ausland eine hervorragende Reputation, kommt bei Facebook aber nicht einmal auf 3.000 Fans (zum Vergleich: Annenmaykantereit liegen aktuell bei 183.000).
Während Kurth für die Planung städtisch geförderter Prestige-Events zuständig ist, arbeitet Markus Sängermann seit Jahren an der Basis. Als King Kalk veranstaltet er kleine Konzerte in Läden wie dem Stereo Wonderland und dem Subway, oftmals auch von heimischen Bands. Sein Resümee: »Wenn Sachen umsonst sind, wie die Cologne Music Week oder Tour Belgique, funktioniert das und die Bude ist voll. Da geht es aber weniger um die Musik, sondern mehr um das Event. Wenn aber zum Beispiel die Music Week sechs Euro Eintritt kosten würde, würden die Leute nicht mehr hingehen.« Kölner Bands werden seiner Ansicht nach auch kaum von den überregionalen Medien gehypt. Als Beispiel führt Sängermann die Kölner Diskurs-popper von Locas in Love an, »eine Band, die seit Jahren präsent ist und eine überschaubare aber beständige Zahl an Fans hat, aber noch immer als ein Art Geheimtipp gilt, während eine Band wie Trümmer aus Hamburg umgehend medial gespusht wird.«
Sängermann beobachtet, dass viele Kölner Musiker, die früher Rock- oder Indiemusik gespielt haben, aus -Mangel an Alternativen irgendwann zum Karneval überwandern, »wo es dann auf einmal funktioniert«. Was logisch klingt, gibt es mit dem Karneval schon eine musikalische Dominanzkultur. Kölner Bands verbindet man eher mit derbem Entertainment im Dialekt — und weniger mit intellektueller Feingeisterei. Jan van Weegen, Betreiber und Booker des Gebäude 9, das den Ruf einer der besten Live-Clubs Deutschlands genießt und immer wieder auch heimische Acts ins Programm nimmt, erkennt im Falle Kölns eher ein strukturelles Defizit. In Hamburg und Berlin sei die Musikwirtschaft deutlich besser aufgestellt, während es in Köln derzeit an Labels, Artist-Management-Agenturen und überregional agierenden Konzertagenturen fehle. »Für Künstler in Hamburg und Berlin ist es viel leichter, entdeckt zu werden«, sagt er und führt den Erfolg von Annenmaykantereit auch auf deren in Berlin ansässige Agentur Landstreicher zurück, »ein Management und Booking, das überregional extrem gut vernetzt ist.«
Die strukturellen Probleme setzen aber schon viel früher an. »Die Proberaumsituation in Köln ist desolat!«, weiß Judith Heß, Sängerin und Multiinstrumentalistin bei der Kölner Folkpop-Institution Lingby, zu berichten. »Es gibt den einen großen Anbieter, Art Olive, der ein wahnsinniges Geld scheffelt, beinahe schon einen Monopol-Status hat, und sich gar keine Mühe mehr geben muss, gute Bedingungen zu schaffen.« Gerade richtig junge Bands wie Sparkling leiden unter solchen Zuständen. »Die Räume in den Komplexen sind extrem teuer«, findet Levin Krassel, Sänger und Bassist des Post-Punk-Trios, das eben erst von einem halbjährigen London-Aufenthalt zurück in die Domstadt gekehrt ist. London sei in Sachen Lebenshaltungskosten zwar nicht zu überbieten, dennoch könnte sich Köln von der Popmetropole einiges abschauen: »Dort gibt es eine sehr viel stärker ausgeprägte Live-Kultur, in jedem Pub ist durchgehend ein kostenloses Musikprogramm.« Zudem sei alles viel schneller getaktet: »Es kann sein, dass man binnen einer Woche schon für das nächste Konzert engagiert wird.«
Alles Essig in Köln? Bei weitem nicht. Denn die Stadt bietet auch Vorteile. Genau die richtige Größe zum Beispiel, wie Judith Heß bestätigt: »Man kann jahrelang aktiv sein und trotzdem immer noch genug neue Leute erreichen. Zudem steht man nicht zu sehr unter einem Hipness-Druck. Wenn ich in Berlin bin, denke ich mir: Hier will ich nicht Musik machen müssen.« Der Elektropop-Hoffnungsträger Roosevelt sei nach einem halben Jahr Berlin sogar wieder zurück nach Köln gezogen, erzählt Matthias Kurth von der c/o Pop, »weil er meinte: In Köln läufst du über die Straße, triffst Leute von anderen Bands und verabredest dich abends im Proberaum, da ist der Radius viel kleiner als in Berlin, wo jeder nur in seinem Viertel ab-hängt.« Kleinstädtischere Strukturen fördern natürlich auch die in Köln berühmt-berüchtigte Klüngelei, was Judith Heß — übrigens einer der wenigen weiblichen Aktiv-posten in der Jungs-dominierten Kölner Indieszene — unterstreicht: »Kennst du jemanden, der dich hier oder da spielen lassen will, kannst du im Nullkommanichts an ein super Konzert kommen, wenn nicht, dann nicht.«
Trotz suboptimaler Bedingungen und einer bisweilen zu geringen Wertschätzung: Köln bleibt in Sachen Indiepop quicklebendig. Immer wieder kommen neue Bands mit ebenso interessanten wie divergierenden musikalischen Entwürfen um die Ecke. Ein sich aus der Stadt -heraus entwickelnder Sound von überregionaler Ausstrahlung, eine Schule wie in den 90er-Jahren die Hamburger, ist hingegen im Zeitalter des Internets nicht mehr zu erwarten, zu mannigfaltig sind die -Einflüsse und Möglichkeiten. Wenigen Bands gelingt es, unabhängig vom großen Durchbruch, eine -längerfristige Karriere über mehrere Alben aufzubauen. Bands wie beispielsweise Angelika Express, die nach einer kurzen Phase im Rampenlicht den Atem haben, auf die Langstrecke zu gehen, sind rar. Stattdessen erlebt man Mikrohypes, wenn etwa die experimentellen Dance-Rocker von PTTRNS, die smarten Elektropopper von Woman oder die Allstar-70ties-Wiedergänger von Miami zum stadtinternen next big thing erklärt werden und am Ende — aus welchen Gründen auch immer — doch wieder Sand ins Getriebe gerät. Spannend bleibt es allemal in Köln und ein genaueres Hinhören lohnt immer.