Letzte Ausfahrt Rechtsweg
Es war eine Sternstunde der Sophistik, die sich im Dezember im Betriebs-ausschuss Bühnen abspielte. Da fragte Klaus Schäfer, kulturpolitischer Sprecher der SPD, wieso die Bühnen zu 85 Prozent als saniert gelten, die verbleibenden 15 Prozent nun aber 160 Mio. Euro kosten sollen. Worauf Projektsteuerer Turadj Zarinfar erläuterte: Zu den 85 Prozent zählten auch fehlerhaft abgeschlossene Bauabschnitte, die nun rück- und neugebaut werden müssten. Das ist höhere Bau-Philosophie.
Zwar gaben sich die Politiker in der Sitzung zerknirscht, doch seit die neue Oberbürgermeisterin Henriette Reker die Sanierung der Bühnen bei einer Pressekonferenz auf der Baustelle zur Chefinnensache machte und das Worst-Case-Scenario zur Realität erklärte, ist die Erleichterung groß. Ab sofort gilt Dantes berühmtes »Inferno«-Intro: »Die ihr eintretet (in die Hölle großer Bauprojekte), lasset alle Hoffnung fahren!« Vermutlich eröffnete Reker ihr Statement auf der Baustelle deshalb auch mit dem Bekenntnis »Ich glaube an dieses Projekt«. Derzeit liegen die Baukosten bei 291 Mio. Euro und sollen — auch durch die Verzögerung der Bauzeit — um weitere 40 bis 60 Prozent steigen, also um rund 120 bis 170 Mio. Euro. Konkrete Aussagen zu Kosten und Terminen werde es frühestens im dritten Quartal 2016 geben, so Reker. Allein die Neuausschreibung für das gekündigte Planungs- und Bauleitungsbüro Deerns dauert sechs Monate. Mit der Wiedereröffnung sei nicht vor 2018 zu rechnen, vermutlich sogar später. Reker versprach für die Zukunft ein »transparentes, ehrliches und zuverlässiges Verfahren«.
Was dieser Zeitplan für die Interimsspielstätten bedeutet, ist noch nicht klar. Schauspielchef Stefan Bachmann möchte auch nach dem Umzug an den Offenbachplatz das Depot in Mülheim bespielen und legt im Januar ein Konzept vor. Die Oper muss vermutlich ab 2017 das Staatenhaus in Deutz verlassen und sich neue Spielstätten suchen. Zusätzlich bekommen die Bühnen als Bauherr nun einen Technischen Betriebsleiter, der sich ausschließlich um die Sanierung kümmern soll. Warum nicht gleich so?
Die Konsequenz, die aus Bau-Debakeln gezogen wird, lautet in Köln zunächst: Rechtsstreit. Das gilt für den Archiv-Einsturz 2009, das Kalkberg-Desaster (siehe Seite 9) und jetzt die Bühnen. Inzwischen untersuchen Tüv und Dekra die Baustelle, und die Kanzlei Hecker Werner Himmelreich bereitet eine Klage gegen das Büro Deerns vor.
Neunzig Prozent solcher Baurecht-Streitigkeiten werden von der Öffentlichen Hand, nur zehn Prozent von privaten Bauherrn gegen Firmen angestrengt, sagt Klaus Englert. Er ist Rechtsanwalt für Bau- und Architektenrecht, Mediator und Vorstand des Instituts für Baurecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. »Ein normaler Baurechtsstreit dauert sechs bis sieben Jahre«, so Englert. Bei komplexen Fällen müsse mit mindestens 15 Jahren gerechnet werden — mit den entsprechenden Kosten. Und je größer die beklagten Firmen, desto versierter agieren deren juristische Abteilungen. Für Kommunen, die ein Großprojekt planen, hat Englert deshalb nur einen Rat: »Bestellt von Beginn an ein Mediationsgremium mit einem Baurechtler, einem Bauingenieur und einem Baubetriebswirt.« Dieses Gremium könne über alle Bau-Unterlagen verfügen und werde bei Konflikten auf der Grundlage der »Streitlösungsordnung für das Bauwesen« sofort eingeschaltet. In Köln gab es zwar eine Schlichtungsstelle, so Stadtsprecher Gregor Timmer, aber grundsätzlich sei »die Stadt Köln dazu gehalten, den ordentlichen Gerichtsweg einzuhalten«. Englert, der als Mediator in eigener Sache redet, ist dagegen überzeugt, dass sich fast jeder Problemfall außergerichtlich lösen lasse.
Das Scheitern baulicher Großprojekte ist derzeit bundesweit ein Thema. Im Juni 2015 hat die »Reformkommission Bau von Großprojekten« beim Bundesverkehrsministerium ihren Endbericht mit Empfehlungen an Gesetzgeber, Öffentliche Hand, Bauherrn und Baufirmen vorgelegt. Die Liste reicht von der Planung über Kostenschätzung, Reform des Vergabeverfahrens bis zu Fragen der Projektorganisation.
Kurz zuvor veröffentlichte die Hertie School of Governance in Berlin einen Bericht zum selben Thema. »Die wichtigsten Fehler werden am Anfang gemacht«, erläutert Mit-Autor Professor Jobst Fiedler. Zu große Eile und eine unfertige Planung träfen auf überzogenen Optimismus und eine Selbsttäuschung der Politik, vor allem bei der Kostenanalyse. Fiedler empfiehlt, realistische »Risikozuschläge in die Bewilligung eines Projekts« einzubeziehen — selbst wenn es dadurch scheitert. Helfen könnte dabei ein System von »Referenzklassenprognosen«, wodurch Typen von Bauaufgaben international vergleichbar gemacht würden; das gelte zum Beispiel bei komplexen Projekten wie Flughäfen, die nur selten gebaut würden. Vor allem aber fordert Fiedler mehr Sachverstand der Politik bei der Kontrolle von Bauvorhaben, sei es durch Coaching oder durch Hilfe externer Fachleute.
Die Kommunen sind allerdings in einem Dilemma. Das Bauen unterliegt Konjunkturen, die 70er Jahre waren eine Phase reger Bautätigkeit, und auch heute sind die Auftragsbücher voll. Unter dem Druck der Sparpolitik haben allerdings viele Städte ihre Hochbau-Abteilungen ausgedünnt. So fehlen heute Spezialisten, zum Beispiel für die immer kompliziertere Gebäudetechnik oder den Brandschutz. Fachkräfte zieht es aufgrund der höheren Vergütung in die Privatwirtschaft. So sind im Kölner Amt für Gebäudewirtschaft derzeit achtzig Stellen unbesetzt. »Die Gebäudewirtschaft ist leider nicht so leistungsfähig, wie wir uns das gewünscht haben«, sagt Ralph Sterck, Fraktionschef der FDP und seit 1999 im Stadtrat. Um das Problem der unbesetzten Stellen zu lösen, müsse das Amt selbstständiger werden, sagt er. Helfen könne die Umwandlung in eine Anstalt öffentlichen Rechts, meint Gerd Brust, der für die Grünen im Bauausschuss sitzt. Es gebe aber auch hausgemachte Probleme. So habe die Gebäudewirtschaft fünf Architekten an die Schulverwaltung abtreten müssen, sagt Brust. Und das Verfahren, Stellen zunächst intern auszuschreiben, führe zu hoher Fluktuation und Einarbeitungszeit, während Besetzungen von außen häufig aus Spargründen blockiert würden. Brust fordert zudem »eine Kultur, in der sich die Leute verantwortlich fühlen«.
Darüber hinaus ist es kein Geheimnis, dass eine Reform des Baudezernats auf der Agenda fast aller Parteien steht. Konsens ist, dass der Bereich Verkehr in einem eigenen Dezernat gefasst werden soll, möglicherweise gemeinsam mit Umwelt und Grünflächen. Wie der Zuschnitt aussehen wird, dürfte auch Thema der Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und CDU sein. Baudezernent Franz-Josef Höing soll auch an einem Konzept arbeiten. Auf Nachfrage spricht Höing vom »riesigen Portfolio« und »mangelnden Ressourcen« und sagt: »Es gibt kein fertiges Papier.« Angesichts der anstehenden Infrastruktur- und Bauprojekte kann man nur hoffen, dass wenigstens dieser Umbau bei heißlaufendem Betrieb einigermaßen störungsfrei über die Bühne geht.