»Die privaten Aspekte des Krieges <br>sind wichtig«

Vor sechzig Jahren erreichten amerikanische Truppen Köln und beendeten damit Krieg und NS-Herrschaft in der Stadt. Wie haben die Kriegserfahrungen Köln geprägt – und wie kann man heute darüber sprechen? Fragen von Thomas Goebel an die Historikerin Karola Fings

StadtRevue: Als die amerikanischen Soldaten am 6. März 1945 in Köln einmarschierten, was für eine Stadt sahen sie da?

Karola Fings: Man kann eigentlich nicht mehr von einer Stadt sprechen, das war eine mehr oder weniger menschenleere Trümmerwüste. Die Amerikaner fanden noch höchstens 10.000 Leute im Linksrheinischen vor, ein Bruchteil der Vorkriegsbevölkerung. Das waren überwiegend Alte, Frauen und ein paar Kinder, Volkssturmmänner und noch etliche Soldaten, die hier stationiert waren.

Wurde die Stadt denn militärisch noch verteidigt?

Es gab kaum Kämpfe. Die Amerikaner haben beim Einmarsch einen Film gedreht, in dem man sieht, dass die Leute ihnen mit weißen Fahnen entgegenkamen oder sich überwiegend freiwillig in Gefangenschaft begaben.

Aachen wurde als erste deutsche Stadt schon im Oktober 1944 eingenommen. Warum hat es noch über vier Monate gedauert, bis die amerikanischen Truppen hier in Köln waren?

Das war ein Riesendrama. Die Deutschen hatten noch Truppen in den Westen geworfen, um den Vormarsch zu verhindern, es gab aber auch verschiedene strategische Fehleinschätzungen der Amerikaner, zum Beispiel saßen sie monatelang in der Eifel, im Hürtgenwald, fest. Dies hatte für die Regimegegner, die tatsächlichen oder potenziellen, hier in Köln fatale Konsequenzen: Im Oktober war der Auftakt von Massenhinrichtungen, die in der Gestapo-Zentrale, im Klingelpütz oder in Brauweiler durchgeführt wurden, und es gab auch offenen Terror auf den Straßen durch die Gestapo, speziell gegen die in den Trümmern untergetauchten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.

Wussten die Menschen in Köln während dieser Monate Bescheid über die Lage?

Es gab eine große Unsicherheit – und das paradoxe Phänomen, dass sich die Leute eigentlich nichts sehnlicher herbeiwünschten als das Kriegsende, auf der anderen Seite aber doch immer noch hofften, dass Deutschland den Krieg gewinnt. Das war eine sehr irrationale Hoffnung bis in die letzten Kriegstage hinein, dass man zum Beispiel durch die V-Waffen das Ganze noch einmal umdrehen könnte. Wir haben eine Reihe von Briefen und Tagebüchern, wo so etwas zum Ausdruck gebracht wird. Wichtig für die Leute ist also: Der Krieg soll endlich zu Ende gehen – und es wäre gut, wenn die Deutschen doch noch gewinnen.

Es gibt Berichte von amerikanischen Soldaten, dass sie beim Einmarsch geradezu freudig begrüßt worden seien. War das die Freude über das Kriegsende, oder doch eher Opportunismus gegenüber den neuen Machthabern?

Die Haltung der Kölnerinnen und Kölner war sehr ambivalent. Es gab sicher eine echte Freude, dass der Krieg endlich zu Ende ist, das war die Erleichterung, dass einem keine Bomben mehr auf den Kopf fallen. Zugleich gab es aber auch die Angst davor, was die Alliierten mit den Deutschen nach dem Sieg vorhaben. Köln war ja mehrere Wochen Frontstadt, die Front lief mitten durch den Rhein, weil das Rechtsrheinische erst Mitte April eingenommen wurde. Es war eine Zeit der großen Unsicherheit. Eine echte Freude über die Befreiung gab es bei den Regimegegnern, denn für sie bedeutete es das Ende des Mordens. Für die Mehrheitsbevölkerung bedeutete das Kriegsende den sprichwörtlichen Zusammenbruch.

Die Alliierten mussten nach der Einnahme der Stadt die Rückkehr der Kölnerinnen und Kölner organisieren und eine funktionierende Verwaltung aufbauen. Wie war das möglich – und mit welchen Leuten?

Die Problematik bestand in der Frage: Kann man einfach auf NSDAP-Mitglieder zurückgreifen, um die Stadtverwaltung aufzubauen? Darüber hat es große Auseinandersetzungen gegeben. Man ist dann pragmatisch vorgegangen, man wusste, dass es ohne diese Leute mangels Masse nicht geht.

Wie stark hat das die Stadt geprägt? Die NS-Hinterlassenschaften waren ja nicht mit einem Schlag verschwunden...

Spannend sind die ersten Wochen nach Kriegsende, weil sich da der ganze Diskurs formiert, der dann mindestens zehn, zwanzig Jahre, wenn nicht sogar länger, vorherrschend ist. Stilbildend war Konrad Adenauer. Er hat schon relativ bald, nachdem er als Oberbürgermeister eingesetzt war, einen Appell an die Kölnerinnen und Kölner gerichtet, der sich durch zwei Dinge auszeichnete: ein generelles Schuldeingeständnis – und den Aufruf, jetzt nach vorne zu blicken und sich für den Wiederaufbau einzusetzen. Das bedeutete ein breites Integrationsangebot auch an die ehemaligen Nazis. Das war typisch katholisch: Erst einmal eine Generalbeichte, und dann geht es weiter nach vorne.

Wenn heute über den Bombenkrieg und das Leid der deutschen Bevölkerung während des Krieges gesprochen wird, dann hat das oft auch die geschichtspolitische Funktion, die Deutschen als Opfer erscheinen zu lassen, nicht als Täter oder Mitläufer. Wie werden Sie in der Ausstellung im El-De-Haus damit umgehen?

Wenn man die Perspektive einer »normalen«, das heißt einer angepasst lebenden und »arischen« Kölnerin einnimmt, dann fallen eben die Bomben einfach von oben. Das ist eine klare Opferperspektive: Man ist passiv und wird von den Amerikanern oder Briten militärisch bekämpft. Diese enge Perspektive werden wir in der Ausstellung nicht einnehmen.

Sondern?

Wir versuchen, eine Mentalitätsgeschichte dieses Krieges zu machen, und zwar nicht nur dessen, was hier in der Stadt erlebt wurde, sondern in der Breite. Zur Erinnerung: Bei Kriegsende lebt ja kaum noch jemand hier. Wir fragen: Wo waren die anderen? Was haben etwa Kölner Soldaten erlebt, was haben sie gemacht, was haben die Kölner und Kölnerinnen, die in der Stadt waren, davon mitbekommen? Man kann dabei feststellen, dass die Leute mit Kriegsbeginn sehr stark auf ihre eigenen unmittelbaren Überlebensinteressen orientiert sind, es ist sehr wichtig, den Kontakt zu den Angehörigen oder nahen Freunden zu halten, über Briefe, Feldpost etc. Das ist auch ein Grund, warum dieser Krieg so lange funktioniert hat.

Die Konzentration aufs private Überleben hat zum Durchhaltewillen geführt, statt zu einem schnellen Ende des Krieges?

Das ist ein wesentlicher Aspekt. Die Soldaten an der Front hören im Wehrmachtsbericht, dass Köln zerbombt worden ist, machen sich dann zuerst Sorgen um ihre Angehörigen, aber es verstärkt auch ihren Durchhaltewillen. Und wenn die Kölner und Kölnerinnen umgekehrt hören, wie es ihren männlichen Familienangehörigen an der Front geht, dann versuchen sie, hier alles auszuhalten, weil sie wissen, das ist eine schwierige Situation. Diese privaten Aspekte des Krieges sind wichtig: Eine oft ambivalente Haltung zu den Nationalsozialisten, aber trotzdem bis zum Schluss erstaunlicherweise ein extremer Durchhaltewillen.

Wie war nach solchen Kriegserfahrungen der Aufbau einer Zivilgesellschaft möglich?

Das fragen wir uns heute alle! Deshalb widmet sich unsere Ausstellung mehr dem Krieg als dem Kriegsende, zumal diese Kriegserfahrungen, die immer mit Verlust und Gewalt zu tun hatten, nie wirklich besprochen worden sind. Ein wichtiger Grund ist sicher der, dass man darüber nicht authentisch sprechen konnte, weil man dann auch über die Begeisterung für den Nationalsozialismus und den Krieg hätte sprechen müssen. So hat man das eher im Privaten und Geheimen gelassen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass man immer direkt oder indirekt beteiligt war an den Verbrechen, die begangen wurden, sei es, dass man als Ausgebombter die Möbel von Juden bekommen hat, sei es, dass man von der Front den Kaviar geschickt bekam, der irgendjemandem weggenommen worden ist. Das wollte man aber nicht sehen, das hat man verdrängt und hat stattdessen eher in den Vordergrund gestellt, wie stark man selber eingeschränkt gewesen ist.

Diese Sicht hat die Nachkriegsjahre geprägt?

Sehr. Eigentlich sollte es langsam aber möglich sein, solche Kriegserfahrungen in der ganzen Breite anzuschauen und zu sagen: Ja, wir waren an den Verbrechen beteiligt, das war ein verbrecherischer Angriffskrieg, in dessen Schatten der Holocaust vollstreckt wurde. Und auf der anderen Seite sollte man auch darüber sprechen können, dass man selbst Angst gehabt hat während des Krieges hier in Köln, ohne die Überlegenheitsgefühle und Siegeswünsche zu unterschlagen. Nehmen wir etwa das Aufgeregtsein eines kleinen Mädchens darüber, dass der große Bruder einen blauen Mantel schickt aus Paris, einen wunderschönen blauen Mantel, aber auch die Trauer darüber, dass dieser Bruder nicht mehr wiederkommt, weil er dann als Soldat irgendwo an der Front stirbt. Die meisten der Kölnerinnen und Kölner, die uns Material für die Ausstellung gegeben haben, sind durchaus in der Lage, diese unterschiedlichen Erfahrungen ohne Aufrechnung zu kommunizieren. Das finde ich erfreulich.

Zur Person
Die Historikerin Dr. Karola Fings ist seit Anfang 2003 stellvertretende Direktorin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln. Sie hat die Ausstellung »Zwischen den Fronten. Kölner Kriegserfahrungen 1939-1945« konzipiert.

Zur Ausstellung
Anlässlich des Kriegsendes in Köln am 6. März vor sechzig Jahren zeigt das NS-Dokumentationszentrum die Ausstellung »Zwischen den Fronten.
Kölner Kriegserfahrungen 1939-1945«. Sie ist vom 8. März bis zum 20. November 2005 im El-De-Haus am Appellhofplatz 23-25 zu sehen. Eine DVD mit Farbfilmen von 1945 und ein Buch werden parallel erscheinen, außerdem gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm (ab März unter www.nsdok.de).