Stolz im Flaggschiff

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist wieder voll da. Die Privaten schwächeln

1000 mal »Lindenstraße«, aber ja doch: TV-Pionier aus Bocklemünd, langjähriges Lieblingsobjekt kulturwissenschaftlicher Theoriebildung, das uns Drogensucht, schwulen Zungenkuss, Neonazis, Abschiebung, die fatale Begegnung eines Geschlechtsteils mit einer Geflügelschere und noch so manches Mahnende mehr am sonntäglichen Frühabend darbot. Als jedoch neulich kurz vor viertel nach acht das Kölner Serien-Soziotop im Ersten mit einem ausgedehnten Beitrag zum Jubiläum geehrt wurde, machte sich doch eher Ärger breit. Muss es denn gleich in der > Tagesschau sein? Als wenig später dann die Tagesthemen die eigene Vorverlegung um eine Viertelstunde mit einem ausschweifenden Propaganda-Beitrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk garnierten, wähnte man sich ganz im falschen Film. War das wirklich die ARD, die gemeinsam mit dem ZDF seit Monaten um credibility ringt? Die sich erst kürzlich selbstverpflichtet hatte, sich auf public values zu besinnen? Die auf roadshow geht, um für die umstrittene Gebührenerhöhung zu werben? Sie ist es. Aber derart dreiste Eigenwerbung in den Flaggschiffen der seriösen TV-Information – man wundert sich.

Sagt gerne auch mal »Scheiße«

Und doch, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, über Jahre hinweg in der Defensive gegenüber den alerten Innovatoren des boomenden Privatfernsehens, er ist kraft Durchhaltens und angenehm stetiger Gebührengelder wieder voll da. Was zuletzt aus politischer Rücksicht noch so schamhaft wie ungeschickt kaschiert wurde, bricht nun offen hervor. Beckmann, Bundesliga und zuletzt Harald Schmidt, für teils obszöne Gagen zur ARD zurückgekauft, waren nur der Anfang, da geht noch einiges. Der jüngste Coup des WDR ist Presseberichten zufolge die Verpflichtung der Viva-Moderatorin Sarah Kuttner. Kuttner ist wild, sexy, laut und frech, sagt im Studio gerne auch mal »Scheiße«, einfach so. Nur natürlich, dass da der alte Geselle WDR gleich ganz in Wallung gerät. Und eine Kultursendung mit Kuttner machen will. Noch in diesem Monat soll ein Pilotprogramm für den Kölner Sender produziert werden.
Und das > private Fernsehen? Ist ja dann bald ganz öd und leer gekauft. Nach der großen Party in den 90ern und anschließender Krise haben die meisten Sender ihre Spur noch nicht wieder gefunden. Sogar der ewige Marktführer von der Aachener Straße, RTL, machte zuletzt schlapp und büßte im Jahresverlauf 2004 fast eineinhalb Prozent Marktanteile ein. Die Bilanz der Privatsender im vergangenen Jahr – ein unendliches Meer von Programm-Flops, teilweise mit Grandezza hingelegt. Lediglich zwei neue Formate, die »Supernanny« (RTL) und die Impro-Comedy »Schillerstraße« (SAT.1) waren in der Lage, die durchschnittlichen Marktanteile der jeweiligen Sender zu übertreffen. Und auch 2005 ist nach all den liederlichen Camps und Containern keine Erneuerung in Sicht. Sogar die Werbeindustrie mault schon ob des zunehmend verflachenden Programmniveaus, und die soll das Spektakel schließlich bezahlen.

Vielfalt an Breitband

Wenn schon nicht für mehr Qualität, so immerhin für stetig wachsende Quantität sorgt die schöne neue Breitbandkabelwelt. Digital-TV, Internet, Telefon, einzeln und im Paket – eine wahre Herausforderung für Vermarkter. Die Anbieter tun sich schwer, mit übersichtlichen Angeboten und angemessenem Service zu den Endkunden durchzudringen. Grandios patzte auch der Kölner Telco-Anbieter Netcologne bei der Einführung der neuen drahtlosen Internet-Highspeed-Zugänge (W-LAN). Im Hochglanzprospekt wurden Neukunden mit günstigen Paketangeboten gelockt. Bei der Installation der Anlage und dem Support der vertriebenen Geräte bot das Unternehmen jedoch keinen Service, die städtischen Netcologne-Shops wie auch die Dienstleister zeigten sich angesichts der neuen Technik desorientiert. Hier wusste keiner so richtig, was da verkauft wurde.

Musikvideos im Netz

Breitbandige Internet-Anschlüsse sind auch die Basis, auf der sich das siechende Genre der Musik-Videos wieder aufrichten könnte. Spätestens seit dem Ende von Charlotte Roches »Fast Forward« gibt es für Musikfans über 16 kaum mehr einen Grund, Viva, MTV & Konsorten einzuschalten. Eine Alternative bietet nun tunespoon.tv – allerdings im Internet. Unter der gleichnamigen Web-Adresse werden rund um die Uhr Musikvideos präsentiert, gerne auch von jenseits des Mainstreams oder von Newcomern. Initiiert wurde das Projekt nicht von smarten Medienmanagern, sondern von Studenten der FH Furtwangen. Die Musikpresse war gleich richtig begeistert, und so stiegen die täglichen Nutzerzahlen direkt ins Vierstellige. Derzeit suchen die tunespoon-Macher noch Kooperationspartner, die den Internet-Sender langfristig als Plattform für MusikClips etablieren helfen. Schön wäre das, und wer war nochmal Viva?