»Da vergisst man schon mal, dass man für 1,20 Euro arbeitet«
»Ich bin nicht freiwillig im Ein-Euro-Job. Mir bringt die Arbeit beim Roten Kreuz nichts, aber es ist immer noch besser als im Park Papier aufzulesen.« Thorsten ist 25 und seit einem Jahr arbeitslos. Obwohl er zwei Ausbildungen abgeschlossen hat, eine zum Chemikanten, eine zum Systemelektroniker. Chemikant konnte er nicht bleiben, weil er schon während seiner Ausbildung an Asthma erkrankt ist. Derzeit beliefert er als Beifahrer beim Menüservice des Roten Kreuz Alte und Hilfsbedürftige mit Essen. Stundenlohn: 1,20 Euro. »Das ist ja nur eine Aufwandsentschädigung, die geht für meinen Anfahrtsweg und den Unterhalt meines Autos drauf, also arbeite ich eigentlich umsonst.« Thorsten ist nicht zornig, eher fatalistisch: »Was soll ich tun, ich kann’s ja nicht ändern.«
Ein bisschen Berufserfahrung sammeln
Die zuständigen Kölner Behörden rechnen anders als Thorsten: Von den rund 200 Euro, die ein »Integrationsjob« – wie der Ein-Euro-Job offiziell heißt – abwirft, könnte Thorsten sich eine Monatskarte der KVB kaufen. Die kostet 80 Euro, den Rest könnte er für seinen Lebensunterhalt verwenden. Doch ohne Auto und Führerschein, sagt Thorsten, brauche er sich gar nicht mehr zu bewerben, Flexibilität sei enorm wichtig. Die Anforderungen, die Firmen heute stellten, findet er absurd: »Sie wollen beste Zeugnisse und mit 25 schon eine Menge Berufserfahrung. Wie soll das gehen, wenn einen keiner einstellt?«
Mit der Berufserfahrung, die sie in ihrem Ein-Euro-Job sammeln kann, tröstet sich Annika über die miserable Bezahlung hinweg. Die gelernte Erzieherin arbeitet im Porzer Jugendzentrum »Glashütte«, betreut dort vor allem das Kinder- und Jugendmuseum »please touch«, in dem derzeit eine Mitmach-Ausstellung rund um Papier und Karton zu sehen ist. Gerade ist eine Schulklasse da. Annika zeigt den Kindern, wie man Papier schöpft und bändigt nebenher zwei Jungs, die sich mit ihren selbst gemachten Pappschwertern durch den Raum jagen. Annika ist 23, nach der Ausbildung konnte der Kindergarten, in dem sie gelernt hat, sie nicht übernehmen, seither ist sie arbeitslos. Sie gehört zum ersten Schwung junger Erwachsener, die in Ein-Euro-Jobs untergebracht sind. »Ich habe Glück gehabt, dass ich in einem Job untergekommen bin, der mit meiner Ausbildung zu tun hat. So kann ich ein bisschen Berufserfahrung sammeln«, sagt sie. Bei vielen anderen, die sie kennt, sei das nicht so gewesen. In der Tat sind derart passende Arbeitsgelegenheiten die Ausnahme. In vielen Fällen sind die Jobs staatlich subventionierte Beschäftigungstherapien.
Wer sich weigert, bekommt kein Geld
Einen solchen Job abzulehnen, ist natürlich prinzipiell möglich, tatsächlich jedoch nicht ratsam. Wer sich weigert, muss eine Sperre des Arbeitslosengeldes von bis zu drei Monaten hinnehmen. Dieser Grundsatz vom »Fördern und Fordern«, der mit Hartz IV jetzt bundesweit gilt, wurde im Rahmen des »Kölner Modells« schon seit 1998 angewandt. Dass den Billigjobs vergleichbare Maßnahmen hier schon länger angewandt werden, ist ein Grund für den Zahlenwirrwarr: Wieviele Menschen in Köln derzeit tatsächlich in Ein-Euro-Jobs untergebracht sind, weiß niemand genau.
Für die Umsetzung der Hartz-Reformen ist in Köln nun die ARGE zuständig, eine Arbeitsgemeinschaft aus der hiesigen Agentur für Arbeit und der Stadt, prominent vertreten durch Sozialdezernentin Marlis Bredehorst. Die ARGE schätzt, dass in Köln zu Beginn des Jahres 2005 rund 50.000 »erwerbsfähige Hilfebedürftige« auf den Bezug von Arbeitslosengeld II angewiesen waren, davon etwa 4000 »junge Menschen« unter 25. Für die verspricht sich die ARGE eine »Aktivierungsquote« von 100 Prozent. Aktivierung kann vieles bedeuten: eine echte Ausbildungs- oder Arbeitsstelle, eine niedrigschwellige Qualifizierungs-maßnahme oder eben ein Ein-Euro-Job, der in der Regel ein halbes Jahr dauert.
Vier Vereine und Projekte, die sich zum »Konsortium Kölner Beschäftigungsträger« zusammengeschlossen haben, bieten derzeit in Absprache mit der ARGE Ein-Euro-Jobs an: die gemeinnützige Gesellschaft »Eva«, die Jugendhilfe Köln, der Verein »Zug um Zug« und das Arbeitsprojekt des Inter-nationalen Bunds (IB). Das IB-Arbeitsprojekt ist ein Dienstleistungsunternehmen, das schon seit 1985 im Auftrag von Kommune, Land oder Arbeitsamt Qualifizierungs- und Beratungsarbeit macht mit dem Ziel, Langzeitarbeitslose in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren.
»Es darf kein Arbeitsplatz ersetzt werden«
Untergebracht ist das IB-Arbeitsprojekt im denkmal-geschützten Backsteinbau der ehemaligen Batterie-Fabrik Hagen in der Rolshover Straße – zusammen mit der Chemischen Fabrik war sie einst der größte Arbeitgeber in Köln-Kalk. Jetzt gehen hier Arbeitslose ein und aus. Jeden Mittwoch fahren auch Annika und Thorsten in die Rolshover Straße, zum »Quali-Tag«, wie sie das nennen.
Qualifizierung kann zum Beispiel Bewerbungstraining heißen. Annemarie Fahle-Hecker stellt sich als Personalleiterin des IB-Arbeitsprojekts gerne auch für Rollenspiele zur Verfügung: Die jungen Erwachsenen müssen ein Einstellungsgespräch mit ihr führen. »Parallel zu den Integrationsjobs muss es eine Qualifizierung geben«, sagt Fahle-Hecker. »Und es darf keine vorhandene Arbeitsstelle durch einen solchen Job ersetzt werden. Das ist in Verhandlung mit der ARGE genau so festgelegt worden. Unter anderen Bedingungen würden wir uns als Träger nicht an den Integrationsjobs beteiligen.«
Das IB-Arbeitsprojekt kümmert sich derzeit um 300 TeilnehmerInnen und bietet selbst Arbeitsgelegenheiten an: in der hauseigenen Kantine und Verwaltung sowie in den angeschlossenen Werkstätten für Maler- und Bauhandwerk, Garten- und Landschaftsbau sowie PC-Recycling. Die Werkstätten arbeiten ausschließlich für die öffentliche Hand: Die GärtnerInnen kümmern sich um die Anlage von Spielplätzen oder die Pflege von Parkanlagen, die MalerInnen renovieren Schulen, Kindergärten oder die Wohnungen von SozialhilfebezieherInnen..
Lernen im Container, arbeiten auf der Baustelle
Alles dringliche Arbeiten, die sonst – immer mit dem Argument der leeren kommunalen Kassen – nicht erledigt würden. Das weiß auch Birgit Kircher, Bauleiterin in der Malerwerkstatt des IB-Arbeitsprojekts. Sie macht den Job schon 16 Jahre. »Ich habe viel Elend in dieser Stadt gesehen«, sagt sie auf dem Weg in eine Sozialwohnung in Buchforst. Im Auftrag des Sozialamts renoviert das IB-Arbeitsprojekt hier die Wohnung einer Frau Mitte vierzig, die im Rollstuhl sitzt. Die Ein-Euro-Jobber aus der Malerwerkstatt arbeiten seit dem frühen Morgen, die alten Tapeten in der Küche sind schon runter, die neuen Bahnen werden gerade geklebt. Wie man das richtig macht, lernen die Beschäftigten im so genannten Übungscontainer der Malerwerkstatt in Merheim. Ein Anleiter erklärt hier den jungen Teilnehmern, wie man mit dem Lotband eine Linie zieht, um die erste Tapetenbahn gerade zu kleben. Auf den Baustellen wie etwa in der Buchforster Sozialwohnung setzen sie ihr Wissen dann ein. »Was sie bei uns lernen, erhöht natürlich ihre Chancen, eine Ausbildungsstelle oder eine Arbeit zu finden«, sagt Birgit Kircher. Die Frau im Rollstuhl nimmt währenddessen zwei Maler beiseite und bittet um Hilfe. Ihr Bett ist kaputt. Die beiden gehen ins Schlafzimmer und beseitigen den Schaden. Natürlich gehöre das nicht zum Auftrag, sagt Birgit Kircher, »aber unsere Leute sind sehr hilfsbereit. Sie merken, dass sich sonst niemand kümmert und tun das gerne.«.
Wenigstens sozial anständig
Die kleine Begebenheit am Rande ist beispielhaft. Ob im Jugendzentrum, beim Roten Kreuz oder beim Renovieren einer Wohnung – aus dem sozialen Engagement, der mit ihrer Arbeit verbunden ist, holen sich viele der Ein-Euro-Jobber ihre Würde wieder, die ihnen durch die mangelnde Entlohnung genommen wurde. Der nur symbolische Stundenlohn der Ein-Euro-Jobs, der in Köln tatsächlich zwischen 70 Cent und 1,50 Euro liegt, je nach Alter und Arbeitsgelegenheit, mag zwar die Haushaltskasse der Arbeitslosengeld-Bezieher aufbessern, aber nicht deren Selbstbewusstsein.
Selbstwert und Marktwert hängen in der Arbeitswelt eng zusammen. »Was ich beim Roten Kreuz mache, ist wenigstens sozial anständig«, sagt Thorsten. »Da vergisst man dann schon mal, dass man nur für 1,20 Euro arbeitet.« Seine Chancen, eine normal bezahlte Arbeitsstelle zu finden, schätzt der 25-Jährige als nicht besonders hoch ein. Gerade hat er sich bei einer Zeitarbeitsfirma beworben, doch nur eine formale Absage erhalten. »Mich stellt ja nicht mal einer als Lagerarbeiter ein, dafür bin ich dann wieder überqualifiziert.«
Dass die Einführung von Ein-Euro-Jobs an der grundsätzlich prekären Lage auf dem Arbeitsmarkt nichts ändern wird, weiß auch Annemarie Fahle-Hecker vom IB-Arbeitsprojekt. »Wenn es keine Arbeitsplätze gibt und wir deswegen keinen Vermittlungserfolg haben, heißt das nicht, dass wir schlecht gearbeitet haben. Und die betroffenen Menschen auch nicht.«