Mister Nobody
Wie ein Irrwisch springt Peter Sellers durchs Kinderzimmer, zertrampelt die Modellautos und anderes Spielzeug seines Sohnes, kriegt sich gar nicht mehr ein. Eine dieser brüllend komischen Einlagen aus einem seiner mehr als siebzig Filme? Nein, eine traurige Szene aus Stephen Hopkins’ Film »The Life and Death of Peter Sellers«, dem die gleichnamige Biografie von Roger Lewis aus dem Jahr 1996 zugrunde liegt. Film und Buch huldigen dem brillanten Komiker und Schauspieler, während die Beschreibung des Menschen einer Demontage gleichkommt. Auf 500 Seiten hat Lewis Material aus Sellers privatem und beruflichem Umfeld versammelt, aus dem Hopkins eine Art Biopic im Biopic konstruiert. In dem schlüpft Sellers immer wieder in die Rollen von Menschen aus seiner Umgebung, um sein Leben in besserem Licht erscheinen zu lassen. Trotz dieser Brechung könnte es schwer fallen, bei der nächsten Wiederholung von »Der Partyschreck« oder »Der rosarote Panter« unbeschwert loszulachen. Manches hat lediglich anekdotischen Charakter: Dass Sellers Orson Welles bei den Dreharbeiten zu »Casino Royal« absichtlich Stunden warten ließ, indem er immer wieder um das Studio kurvte. Dass Sellers aus Aberglauben die Farbe Grün nicht duldete und einmal in einem Pariser Hotel Badezimmerkacheln in dieser Farbe abschlagen ließ. Dass er Wahrsager für Kontakte zur verstorbenen Mutter und für seine beruflichen Entscheidungen konsultierte. Er wusste allerdings nicht, dass diese ein zweites Salär bezogen von den Studios, die Sellers als Schauspieler verpflichten wollten. So wurde ihm von einem Wahrsager suggeriert, dass die Initialen B.E. von größter Wichtigkeit für ihn sein würden. Gemeint war Regisseur Blake Edwards, der ihn immer wieder in der Rolle des Inspektor Clouseau besetzen wollte, doch Sellers dachte eher an Britt Ekland und heiratete die Schwedin drei Wochen später.
Publikumsliebling und Tyrann
Das alles fällt unter Skurriles und verträgt sich noch mit dem Bild, das man von Sellers auf der Leinwand hat. Wäre da eben nicht auch noch der Publikums- und Kritikerliebling, der seine insgesamt vier Frauen betrog und tyrannisierte und der seinen Kindern ein miserabler Vater war. Der seiner Tochter kurzerhand das Pony wegnahm, um es den Kindern von Prinzessin Margaret zu schenken. Der das Kinderzimmer seines Sohnes zertrümmerte, weil der mit etwas Farbe die kleinen Dellen an Papas Luxuslimousine zu kaschieren versuchte hatte. Der einen Tobsuchtsanfall bekam, als Britt Ekland mit dem schreienden Baby bei einem Dreh erschien. Wenn er seine Familie nicht gerade schlimmer peinigte, erklärte er ihr allen Ernstes, dass er sie liebe – allerdings nicht so sehr wie seine Filmpartnerin Sophia Loren. Der Scheidungsgrund von Britt Ekland, im Film von Charlize Theron gespielt, lautete: schwere seelische Grausamkeit. Das alles passt kaum zu dem Bild, das Zuschauer von Sellers haben: ein Tollpatsch, der in Komödien in größter Arglosigkeit die größten anzunehmenden Unfälle auslöst. Wohl deshalb hatte Sellers schon früh eine bestechende Technik angewandt, um seine irritierende Persönlichkeit zu erklären. Er behauptete einfach, gar keine zu haben, nur ein leeres Gefäß zu sein, das er jederzeit mit anderen Persönlichkeiten füllen könne. In einem Playboy-Interview insistierte er bereits 1962 auf einer Art psychischen Transformation: »Und dann passiert plötzlich etwas Seltsames. Die Figur übernimmt. Der Mann, den man spielt, beginnt zu existieren«. 1978 geht er noch einen Schritt weiter. Jetzt gibt es keine Transformation mehr, sondern nur noch die zu spielende Person: »Ich existiere nicht. Ich habe mich operativ entfernen lassen.« Adressat dieser bizarren Erklärung war ausgerechnet Kermit, der Frosch in der »Muppet Show«. Der wollte auf die Methode der chirurgischen Selbstentfernung lieber nicht weiter eingehen und bat um einen Themenwechsel.
Mann ohne eigenes Ich
Ein liebenswürdiger Vater konnte Sellers demnach privat nur sein, wenn er seinen Kindern einen liebenwürdigen Vater vorspielte. Das galt für alle Bereiche, in denen er sich bewegte, behauptet Biograf Lewis. Er stützt sich dabei auch auf gespenstische Interviews mit Journalisten, in deren Verlauf Sellers Duktus und Mimik dem jeweiligen Gesprächspartner schleichend angeglichen habe. Regisseur Stephen Hopkins folgt Lewis konsequent in dieser Sichtweise und findet viele, auf Dauer etwas zu viele Bilder, einen Mann ohne eigenes Ich zu zeichnen: Am Set von Kubricks »Dr. Strangelove« besucht ihn seine dominante Mutter Peg (Miriam Margolyes), doch beim gemeinsamen Essen bleibt Sellers, exzellent gespielt von Geoffrey Rush, in der Rolle des wahnsinnigen Wissenschaftlers im Rollstuhl. Als später der Taxifahrer die Mutter fragt, ob sie ihren Sohn getroffen habe, antwortet sie: »Ich habe ihn nicht gesehen.« Und wenn Sellers einmal, wie in der Bond-Parodie »Casino Royal«, er selbst sein möchte, sich selbst spielen will, dann kommt nichts Witziges dabei heraus. Nur in einer seiner letzten Rollen in »Willkommen Mr. Chance« habe Sellers schließlich unverstellt spielen können, behauptet Hopkins mit seinem Film, weil der Schauspieler eins gewesen sei mit der Figur eines autistischen Gärtners, der nur umsetzen kann, was er sich bei anderen abgeschaut hat. Ob er am Ende den subjektlosen Mr. Chance spielte, oder ob es Peter Sellers ohne Maske war, seine Biographen haben sich dezidiert für die zweite Annahme entschieden: In einer der letzten Einstellungen zeigt Hopkins Sellers winkend vor dem Spiegel stehen, aber es gibt kein Spiegelbild. Jene Erklärung, die Sellers Kermit gab, wird von Biograph Lewis und von Regisseur Hopkins als Befund und Fakt genommen. Sellers wird geglaubt, keine Persönlichkeit zu haben, statt anzunehmen, dass er sie aus guten Gründen verleugnete. Denn Sellers fiel nur auf, wenn er sich verstellte, dann öffneten sich alle Türen: Das war in der Armee schon so, wo er seine Vorgesetzten so perfekt imitierte, dass man ihn zur Truppenunterhaltung schickte, und setzte sich fort, als er – nach vergeblichen Versuchen als Peter Sellers – erst verkleidet und mit falscher Stimme seine erste Filmrolle ergattern konnte.
Nicht keine, sondern eine unglückliche Persönlichkeit
Sellers, dessen vierter Herzinfarkt 1980 sein letzter war, mochte sich nicht: Der Sammler von weit über hundert Luxusautos und ebenso vielen Starlets an den jeweiligen Sets haderte mit der Person, als die er sich empfand: ein ein Meter sechzig kleiner Mensch mit einem Gesicht wie die Persiflage auf einen Buchhalter, dick bebrillt, schmallippig, konturlos, nichtssagend. Viele seiner Arbeiten verachtete er, weil er sie miserabel fand, seine Komödien verachtete er, allein weil sie Komödien waren. Nicht keine, sondern eine unglückliche Persönlichkeit also machte Sellers ganz offenbar aus. Das Lachen im Kinosaal war ihm da so wenig Entschädigung wie seine schnellen Ferraris oder schneller Sex.
Eine Person, die nicht existiert, hat keinen Willen, schon gar nicht, wenn sie tot ist, dachte sich offensichtlich auch »Pink Panther«-Regisseur Blake Edwards, der sich in einer grotesken Filmszene erfolglos um eine Verlängerung der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Sellers bemüht, nach dessen Ableben aber noch rasch aus Resten »Der rosarote Panter wird gejagt« zusammenschnipselte. Geschmacklos oder konsequent, Edwards kann es nicht lassen: Ende September kommt unter seiner Mitarbeit ein neuer »Rosaroter Panter« in die Kinos, als Prequel. Den Inspector Jacques Clouseau gibt nun Steve Martin.
The Life and Death of Peter Sellers (dto) GB 04, R: Stephen Hopkins, D: Geoffrey Rush, Charlize Theron, Emily Watson, 122 Min. Start: 28.4.
Info
Wer sich Filme mit Peter Sellers zuhause ansehen will, ist in einer günstigen Lage: Fast alle seiner wichtigen Filme (darunter alle im Text erwähnten) sind recht preisgünstig und unproblematisch im Medienmarkt um die Ecke oder in allen bekannten Internetversandhäusern zu bekommen.
Die Biografie von Roger Lewis liegt leider nicht in einer deutschen Übersetzung vor. Ebenfalls auf Englisch, aber bereits billig in modernen Antiquariaten zu finden, ist die gebundene Ausgabe von Ed Sikovs »Mr. Strangelove: A Biography of Peter Sellers«.