»Nonsens ist der wahre Sinn«
In Hongkong ist der frühere Kinder-TV-Showmaster Stephen Chow Sing Chi schon seit 1990 ein Superstar, der mittlerweile Jackie Chan an den heimischen Kassen den Rang abläuft. Außerhalb der ehemaligen Kronkolonie wussten bislang allerdings nur Fans der lokalen Komödienkultur den Meister zu schätzen. Was nachvollziehbar ist: Zum einen bestechen Chows Filme durch seine virtuos-verwirrenden Sprachverknotungen auf Kantonesisch, dem so genannten »mo lei tau«, und durch sein Spiel mit chinesischen (Populär-)Kultur-Themen, die er immer wieder mit westlichen Motiven kurzschließt; zum anderen hat der lokale Humor einen gewissen Zug zum Herben, der selbst »American Pie«-gestählte Betrachter verwirren kann – das reicht von penetranten Furzereien bis hin zu Witzen über Totgeburten. Chows beste Filme haben jedoch eine so hohe Witzdichte, dass selbst ein westlicher Zuschauer, der bloß ein Drittel der Gags mitbekommen kann, aus dem Lachen kaum rauskommt.
Vor rund drei Jahren hätte Chow auch im Westen endgültig der große Durchbruch mit »Shaolin Soccer« gelingen müssen, einer so irrsinnigen wie erdigen Martial-Arts-Fußball-Komödie. Der deutsche Verleih unterband das jedoch mit seiner heftig gekürzten und miserabel synchronisierten Verunstaltung dieses Meisterwerkes.
Neuer Verleih, neues Glück: »Kung Fu Hustle« heißt Chows jüngster Streich, der im Shanghai der frühen 40er Jahre spielt. Die chinesische Mafia füllt das Machtvakuum zwischen westlichen und östlichen Kolonial- und Okkupationsmächten – zumindest in der Stadt. Am Rande der Metropole, in den Mietskasernen, herrscht Ruhe. Schließlich gibt es da nichts zu holen: Sich mit Landeiern, Proletariern und anderen Habenichtsen zu beschäftigen, wäre für die Gangster der Triaden bloß Zeit- und Energieverschwendung. Hier jedoch wollen sich die zwei Möchtegern-Kriminellen Sing (Stephen Chow) und Gu breitmachen, denn es gibt weder Konkurrenz noch Widerstand. Ihr tölpelhaftes Treiben lässt jedoch bald die echten Triaden, die ganz harten Jungs von der Axt-Bande, auf den Plan treten. Bald brummen die Mietskasernen in der Schweinestallgasse vor echt bösen Buben – was lang vergessene Seiten bei den Armen zu Tage bringt: Einige von ihnen sind nämlich veritable Kung-Fu-Meister.
Seit den späten 70er Jahren hat das Kino Hongkongs eine Obsession für seine hybride Identität kultiviert: Wie eigen ist man eigentlich, wie viel Koloniales steckt in der Kultur, wie viel Chinesisches? Und in wie weit lässt sich das alles überhaupt aufschlüsseln und trennen? Seit 1997 lautet die Frage: Was haben wir eigentlich mit den Festland-Chinesen zu schaffen? Viel, antwortet Chow mit »Kung Fu Hustle«. Wir alle haben ein Jahrhundert im Sturm hinter uns, sagt Chow, und die kleinen Leute haben es überlebt mit Witz und Volkskunst, verkörpert in diesem Fall durch Kung Fu.
Der Mietskaserne am Rande der Stadt kommt dabei als Dreh- und Angelpunkt des Geschehens eine mythische Bedeutung zu: Zum einen weil diese spezielle Art von Wohnblocks zuerst in Shanghai und dann nach deren Vorbild in Hongkong errichtet wurde, zum anderen weil der isolierte, von fremden Mächten umkämpfte Schweinestallgassen-Bau an die Situation Shanghais und Hongkongs während des Zweiten Weltkriegs erinnert. Chows Rekurs auf »The House of 72 Tenants«, eine im Vorkriegs-Shanghai verfasste und im Nachkriegs-Hongkong mehrfach adaptierte Volkskomödie, unterstreicht diese Verbindung nachhaltig. Chow konstruiert eine für alle Chinesen akzeptier-, erinner-, lebbare Geschichtsvision, die die ideologischen Differenzen des 20. Jahrhunderts neutralisiert – zu Gunsten einer Zukunft, die zugleich traditions- wie fortschrittbewusst ist.
Letzteres verkörpert vor allem die wahnsinnige Technik des Films, mit der Chow Ideen auf die Leinwand bringt, die so noch nicht realisiert wurden – am irrsten und visionärsten in einem Kampf mit einem Killerharfenspielerduo. Doch darum geht es eigentlich nicht: Chows Genie liegt darin, dass er sich nicht darauf beschränkt, dem Publikum seine Visionen um die Ohren zu hauen – wie das Hollywood gerne tut, dessen Bilder-Arsenal er höchst kreativ plündert –, sondern dass er Komödie und Melodrama und Sensation perfekt ausbalanciert.
StadtRevue: Ihr Film rekurriert bewusst auf zwei Klassiker des kantonesischen Kinos: Zum einen auf Chor Yuens »The House of 72 Tenants« aus dem Jahr 1973, zum anderen auf Ling Wans »Buddha’s Palm« aus dem Jahr 1964 ...
Stephen Chow: Ja, für mich hat »The House of 72 Tenants«, überhaupt das ganze Genre der Mietshaus-Komödien, eine sehr persönliche Bedeutung: Ich bin in so einem Haus aufgewachsen, ich kenne all diese Gestalten – vor allem natürlich die tyrannische Vermieterin! Die Geschichte in so einem Haus anzusiedeln, bedeutet für mich, an den Ort zurückzukehren, an dem ich davon träumte, ein großer Kämpfer zu sein wie Bruce Lee.
»Buddha’s Palm« hat in Hongkong wegen seiner Spezialeffekte einen gewissen Kultstatus als Trash-Klassiker, ihr Werk beeindruckt jedoch durch High-Tech-Perfektion.
Der kantonesische Film jener Jahre war sehr arm, weshalb die Spezialeffekte eben sehr schlicht sein mussten. Die Tricks wirken heute vielleicht trashig, aber sie sind ehrlich. Wir haben letztlich versucht, genau so zu arbeiten wie die Leute damals – wir wollen das Publikum zum Staunen bringen -, aber eben mit den technisch und auch finanziell besseren Möglichkeiten unserer Tage.
Einer der Produzenten des Films ist Jeff Lau Tsan Wai, der Sie in den 90er Jahren in einigen Ihrer besten Filme inszenierte und dessen Sinn für postmodernes Pastiche perfekt zu Ihrem Humor passt. Könnten Sie etwas über Ihr Verhältnis zueinander sagen?
Lau Tsan Wai war derjenige, der mich zur Regie gebracht hat – weil ich ihm auf die Nerven ging! Ich habe ihn ständig Sachen gefragt, die gar nichts mit meiner Rolle zu tun hatten, sondern eher filmhandwerklicher Natur waren. Irgendwann raunzte er mich an: »Mach’ selber Filme, dann wirst du das alles herausfinden.« Als ich dann anfing, Regie zu führen, stand er mir mit Rat und Tat zur Seite.
Haben Sie ein Vorbild im Hongkonger Kino, dessen Schaffen Sie inspiriert?
Bruce Lee, Bruce Lee, Bruce Lee! Ich wollte immer so sein wie Bruce Lee! Deswegen ist »Kung Fu Hustle« auch die Erfüllung meiner Kindheitsträume: Ich darf hier einen großen Kämpfer spielen. In einer Szene habe ich auch versucht, Bruce Lee zu imitieren, bin aber mit meinem im Vergleich doch etwas mickrigen Körper kläglich gescheitert.
Bruce Lee ist ein seltsames Vorbild für einen Komiker. Haben Sie eigentlich eine Kampfkunst erlernt?
Aber ja doch: Wing Chun. Allerdings nicht allzu lange. Es reicht, um im Kino glaubwürdig zu wirken. Wenn ich aber wirklich kämpfen müsste, hätte ich ziemliche Probleme.
Was hat es eigentlich mit »mo lei tau« auf sich, dem Komödienstil, den sie geprägt haben?
Im Endeffekt ist es einfach nur eine Art von Sprachwitz, der stark damit spielt, dass im Kantonesischen viele Worte ähnlich klingen und man oft nur durch den Kontext weiß, was ein Wort eigentlich bedeuten soll. Da kann man schon viel verdrehen. Außerdem benutze ich viel Hongkonger Slang und spiele mit Modeworten herum. Bei all dem verziehe ich meist keine Miene und bring meine Sätze so, dass man über sie stolpert – das heißt auch, dass Körper- und Sprachkomik oft nebeneinander stehen. Man übersetzt »mo lei tau« immer mit Nonsens, aber ich finde das falsch, weil für mich der Nonsens oft der wahre Sinn ist. Die Verdrehung ist oft wahrer als die Konsenzbedeutung.
Angesichts dessen, dass ein Gutteil Ihres Handwerks auf Sprachkomik basiert, stellt sich die Frage, ob Sie je jenseits von Hongkong arbeiten können oder überhaupt wollen?
Das hängt alles vom Drehbuch ab – wenn es gut ist, kann ich überall Filme machen, und außerdem stehe ich mittlerweile sowieso lieber hinter als vor der Kamera. Ich habe mir aber bislang keine großen Gedanken darüber gemacht. Ich bin zufrieden damit, wie es in Hongkong bzw. China gerade für mich läuft, und dass meine Filme langsam, aber sicher auch ein Publikum im Rest der Welt finden.
Kung Fu Hustle (Kung Fu) VRC/Hongkong 04, R: Stephen Chow, D: Stephen Chow, Yuen Wah, Yuen Qiu, 99 Min. Start: 2.6.