Das Vakuum erzählen
Ein Haus für den Tanz war der Bonner Ballsaal schon im 19. Jahrhundert, gebaut für die festlichen Tanzvergnügungen seiner Zeit. Später wurde er als Treffpunkt demokratischer Verschwörer genutzt oder nach dem 2. Weltkrieg als Verteilerstelle für Care-Pakete. Bälle hat der alte Saal schon lange nicht mehr gesehen. Für den Tanz in Bonn ist er jetzt aber wieder ein wichtiges Zentrum: Im vergangenen Herbst ist die Compagnie cocoon dance eingezogen, und mit ihr ein regelmäßiges Bühnentanzprogramm. Gemeinsam mit dem für Theater zuständigen fringe ensemble (s. SR 06/05) betreibt cocoon im Auftrag der Stadt das Theater im Ballsaal als Freies Theaterhaus – mit vierzig bis fünzig Vorstellungen jährlich, inklusive Gastspiele eingeladener Produktionen.
160.000 Euro Jahresbudget
cocoon dance fiel in Bonn, Köln und Düsseldorf zum ersten Mal 2001 mit der magischen Routinehölle von »Silent Running« auf. Drei Tänzer, vakuumverpackt hinter einer durchsichtigen Plastikfolie, drehen darin unaufhörlich durch die Szenen: einen Autounfall, einen Fall aus geöffneten Armen, wirres Ausrollen von Klopapier. In Watte gepackt von Stephan Mauels Elektro-Refrains erlebt das Publikum eine Wahrnehmung, die traumatisch immer wieder an bestimmten Punkten hängenbleibt.
Zu Zeiten von »Silent Running« waren alle cocoon dancer noch hauptamtlich in Pavel Mikulástiks choreografischer Abteilung des Theater Bonn beschäftigt. Von 2000 bis 2003 entstanden die Stücke der Minicompagnie parallel zu dessen Programm. Mit dem Bonner Wechsel von Mikulástik zu Johann Kresnik unter Intendant Klaus Weise wurde cocoon plötzlich in die Freie Szene katapultiert – Kresnik hatte seine eigenen Tänzer mitgebracht. Jetzt, mit dem Theater im Ballsaal und seinen 160.000 Euro jährlich von der Stadt, ist die Gruppe wenigstens ein paar Sorgen der Freien Tanzszene wieder los.
»Dadurch, dass wir diesen Ort haben, können wir wirklich planen«, sagt Rafaële Giovanola. Sie ist die künstlerische Antriebskraft von cocoon dance und war lange Zeit eine der profiliertesten Tänzerinnen von Pavel Mikulástik, zartfühlend und ausdrucksstark.
Ästhetik der refrainhaften Wiederholung
Schon 1990 hatte sie William Forsythes Frankfurter Compagnie verlassen, um von da an Mikulástiks expressiven Erzählstil zu tanzen: »Als Forsythe angefangen hat, sich in seine Improvisationssysteme zu verlieben, habe ich angefangen, mich zu langweilen.« Für allzu futuristische Experimtene war Giovanola also schon damals nicht zu haben. Auch als cocoon-Regisseurin steht sie – gemeinsam mit Ehemann und Dramaturg Rainald Endrass – für gut zugänglichen, theatral unterfütterten zeitgenössischen Tanz. cocoon dance bieten keine Kunst der neuen Wege, aber ihre Arbeiten sind sorgfältig inszeniert und von hervorragenden TänzerInnen – neben Giovanola häufig Bärbel Stenzenberger Marcelo Omine – umgesetzt.
Die Idee, als eine Art Gegen-Katalysator zum Stadttheaterbetrieb ein eigenes Projekt zu gründen, hatten Giovanola und Endrass anlässlich einer Auftrittsmöglichkeit im Off-Programm des Theaterfestivals von Avignon. Das Gastspiel (mit »Jigaboo -Fight for your right to be white«) hatte Erfolg. Im Schutz der Bonner Stadttheaterstrukturen entstanden in schneller Folge kleinere Tanzstücke, die auch auf überregionalen Gastspieltouren zu sehen waren. Heute, nach acht Stücken, hat cocoon dance seine Ästhetik gefunden. Persönliche oder gesellschaftliche Themenkomplexe werden in abstrakte Bilderzählungen gefasst, loopartig zusammengesetzt aus vielen Schleifen und refrainhaften Wiederholungen.
Cocoon blaibt abstrakt
In »You’re dead without a story« (2003) zum Beispiel schickt die Choreografie vier Tänzer immer wieder in parallelen Geraden durch den Raum. Nach vorn zu den Mikrofonen, durch die sie zerfetztes Erinnerungsmaterial präsentieren und hin auf isolierte Punkte im Raum, wo sie sich in marionettenhaften Bewegungen verlieren. Das ganze Stück ist eine düstere, statische und Bewegungs-gestörte Auseinandersetzung mit dem Fernsehphänomen der daily talks.
Ganz anders »I’ll be your mirror« aus dem selben Jahr: ein sehr tanztheatrales, poetisches Duo von Rafaële Giovanola und Bärbel Stenzenberger über die zwei Gesichter einer Diva. Beide Stücke stecken den Rahmen der cocoon-Techniken ab zwischen Theater und Abstraktion. Klassisches Vokabular verbindet sich mit zeitgenössischen Improvisationen und Tanztheater-Szenen, oft mit Pantomime und Slapstick. Auch die aktuelle Eigenproduktion »Fool for you« sucht so das Verrückte im Normalen und das Normale im Verrückten.
»Bei Pavel«, sagt Giovanola über ihre Arbeit mit Mikulástik, »habe ich viel Theater und Schauspiel gemacht. Cocoon arbeitet nicht so, wir bleiben abstrakt. Aber wir haben immer ein Thema, eine szenische Idee. Ich interessiere mich nicht für Bewegungen, die mir nichts erzählen.« Damit haben sie auch als Selbständige Erfolg, in Bonn und auf diversen Gastspielen im In- und Ausland. Und sie können sich alte Wünsche erfüllen: Vergangenen Herbst hat Rafaële Givanola nach langer Zeit wieder mit dem Performancekünstler und ehemaligen Forsythe-Kollegen Antony Rizzi zusammengearbeitet. Entstanden ist »What think eye«, ein sehr frei improvisiertes Solo, das Giovanola selbst vor Filmen und Fotos von Rizzi tanzt. Verrückter und avantgardistischer als sonst, ein spannender Ausflug in tänzerische Parallelansichten.
Gesa Pölert
Termin:
Festival »Spiel ohne Grenzen«
(bis 9.7.): »What think eye«,
Ch: Antony Rizzi, Theater im Ballsaal, 26., 27.6., 19.30 Uhr.
Workshop mit Laroque Dance
Compagnie (Salzburg) und cocoon
dance, 3.-6.7., Info/Kontakt: www.theaterimballsaal.de